„Der Lackmustest für Erdogans ,Operation Annäherung‘ ist die Menschenrechtsfrage.“

Wie sich die Zeiten ändern. Gemessen an seinen Auftritten im vergangenen Jahr gab sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Freitag ungewohnt samtpfötig. Damals hatte Erdogan Bundeskanzlerin Angela Merkel noch mit „Nazi“-Vorwürfen überhäuft. Man sollte sich aber von Erdogans aktueller Charme-Offensive nicht täuschen lassen. Er geht nicht strategisch, sondern taktisch vor. Erdogan braucht Deutschland mehr denn je. Er wünscht sich vor allem psychologische Rückendeckung: Das beruhigt die nervösen Märkte. Der Präsident kann vielleicht sein Land kujonieren und die eigene Zentralbank an den Pranger stellen – bei den internationalen Anlegern funktioniert dies nicht. Und er erhofft sich Investitionen. In die EU geht fast die Hälfte aller türkischen Exporte. Deutschland ist der wichtigste Ausfuhrpartner.

Der Lackmustest für Erdogans „Operation Annäherung“ ist die Menschenrechtsfrage: Eine Normalisierung der Verhältnisses zu Deutschland und zur EU ist nur möglich, wenn der Präsident die Knebelung in seinem Land aufhebt. Mehr als 150 Journalisten sitzen im Gefängnis – ein Schlag gegen die Pressefreiheit. Dass er von Merkel offen die Auslieferung des im Berliner Exil lebenden Pu­blizisten Can Dündar verlangt, zeigt, dass Erdogan die Lektion nicht gelernt hat. Kritik und Opposition sind das Lebenselixier von Demokratie und Rechtsstaat. Die türkische Präsidial-Autokratie ist damit nicht vereinbar. Nur wenn sich Erdogan in diesem zentralen Punkt bewegt, kann sich der Westen bewegen. Darum sind der Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen Grenzen gesetzt. Dass es wieder Gespräche gibt, ist gut. Doch bei den grundsätzlichen Differenzen sollte Klartext geredet werden. Merkel und Bundespräsident Steinmeier haben hier die richtige Balance gefunden.