“Es liegt nicht nur am Generationswandel und einer veränderten Arbeitswelt, dass die Baumeister seltener werden.“

„Ein gut angewendetes Leben ist lang.“Leonardo da Vinci

Es war an einem schönen, sommerlichen Abend beim Kartoffelfest in Wedtlenstedt, einem Dorf im Kreis Peine, das zu Vechelde gehört. Man trifft sich dort am Feuer, bei Kartoffelpuffern und anderen Leckereien. Wir waren gerade erst nach Niedersachsen zurückgekehrt und fremdelten noch ein wenig mit dem neuen Wohnort. Ein hochgewachsener Mann kam auf uns zu. Ein Herr, hätte man früher gesagt. Er fragte uns, wie es uns hier gefällt, erklärte ein wenig, lud uns ein, das Dorf und seine Angebote besser kennenzulernen. Wir spürten: Das ist einer, zu dem man Vertrauen haben darf, der weiß, was er sagt, kultiviert ist und offensichtlich hoch gebildet. Dieser Mann beeindruckte uns sehr.

Seine Name ist Wolfgang Paul. Er steht für eine Generation, die im bestem Gemeinschaftssinn zusammen anpackte, statt mäkelnd am Rande zu stehen. Diese Woche ist Wolfgang Paul zu Grabe getragen worden. Er wurde 75 Jahre alt.

„Er hat Menschen bewegt“, sagt Pastorin Susann Golze. Das ist eine Feststellung, die jeder Überprüfung standhält. An diesem Nachmittag ist das Dorf auf den Beinen. Diesmal sind sie nicht gekommen, weil Paul zum Einsatz für die Feuerwehr, für den Kindergarten, die Schützen, die Schule oder den MTV gerufen hatte. Diesmal erweisen ihm die Wedtlenstedter die letzte Ehre. Viel zu klein ist die Matthias-Kirche, mit Mikrophon und Lautsprechern wird die Andacht nach draußen übertragen. Bürgermeister Ralf Werner beschreibt, was dieser Mann für die ganze Gemeinde war. 35 Jahre lang hatte sich der Christdemokrat im Ortsrat engagiert, 25 Jahre im Gemeinderat, 15 Jahre in dessen wichtigstem Gremium. Zehn Jahre lang vertrat er den Bürgermeister. Und über zwei Generationen war Wolfgang Paul eine treibende Kraft, die im Gespann mit anderen seiner Generation das schnell wachsende Dorf am Braunschweiger Stadtrand voranbrachte.

Gäbe es ohne ihn die Grundschule und die Kita? Wohl kaum. Hätte der MTV zwei schmucke, gut genutzte Turnhallen? Ohne Wolfgang Paul, den Unternehmer Erich Mundstock und dessen Stiftung ganz sicher nicht. Es sind Einrichtungen, die als Begegnungsorte dauerhaft Kraftquellen dieses 1600-Seelen-Ortes sind. Sie sind sein bester Schutz gegen das Abgleiten in die Anonymität eines Schlafdorfes ohne eigenes Leben.

Wolfgang Paul selbst hätte mit großer Sicherheit darauf verwiesen, dass kein Mensch alleine etwas bewegt. Aber die Trauergemeinde weiß, was sie dem Mann verdankt, der zu den Baumeistern einer Gemeinschaft gehörte. Wie viele hat er angesteckt mit einem Idealismus, mit seinem Willen, für Wedtlenstedt etwas zu erreichen? Wie viele hat er ermutigt, weil sie mit ihm das Gelingen eines Vorhabens erlebten? Und wie vielen Tatkräftigen aus dem Dorf gab er den politischen Geleitschutz im Gemeindeparlament, nicht nur für Geld und Genehmigungen?

Paul war Forscher bei der FAL in Braunschweig. Studiert hatte er in Darmstadt. Aber mit der Liebe zu einer Wedtlenstedterin, die wie er sozial engagiert ist, wurde er zu „einem vom Dorf“. Jeder hätte ihm geglaubt, wenn er behauptet hätte, seine Familie sei seit Generationen hier zuhause. Er hatte sich Wedtlenstedt zur Heimat gemacht.

Wolfgang Paul steht für eine besondere Art Mensch. Es gibt sie, auch wenn dieser Mann in vieler Hinsicht einzigartig war, in zahlreichen Gemeinden. Man merkt es einem Stadtteil, einem Dorf an, ob es dort solche Einwohner gibt. Am Ausmaß und an der Qualität des sozialen Miteinanders vor allem.

An einem Tag, an dem ein Baumeister zu Grabe getragen wird, ist das Bewusstsein geschärft. Man nimmt noch klarer wahr, wie kostbar guter Wille und gute Arbeit sind. Es steht außer Frage, dass es ein Gebot der Klugheit ist, solche Menschen zu unterstützen. Und dass es dumm wäre, sie mit kleinkarierter Kritik zu drangsalieren.

Baumeister sind resiliente Persönlichkeiten. Sie lassen sich nicht so leicht entmutigen. Aber allzu viele beuten diese Eigenschaft gedankenlos aus – statt sich zu überlegen, wie sie selbst mithelfen könnten. Es liegt nicht nur am Generationswandel und einer veränderten Arbeitswelt, dass die Baumeister seltener werden.

Wir alle aber spüren, dass die Professionalisierung aller öffentlichen Belange weder wünschenswert noch finanzierbar ist. Bürgerschaftliches Engagement verdient Achtung, Respekt und Unterstützung. Wolfgang Pauls Beispiel ist eine Ermutigung, die nicht an den Grenzen seines Dorfes endet.