„Integration gelingt nur, wenn Bürger mit Wurzeln woanders und Einheimische aufeinander zugehen.“

Auf dem Essener CDU-Parteitag 2016 spielte sich eine bemerkenswerte Szene ab. Der konservative Jungstar Jens Spahn, heute Gesundheitsminister, brachte CDU-Chefin Angela Merkel eine Niederlage bei – bei der doppelten Staatsangehörigkeit.

Nach seiner Rede stimmte der Parteitag knapp dafür, dass die CDU den mit den Sozialdemokraten umgesetzten Kompromiss zum Doppelpass aufkündigen solle. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern dürfen seit 2014 beide Staatsangehörigkeiten behalten, wenn sie hier aufgewachsen sind.

Merkel marschierte nach der Abstimmung wutentbrannt vor eine Fernsehkamera, um zu erklären, dass sie sich an das Votum ihrer Partei nicht halten werde. Die Kanzlerin weiß, dass der Doppelpass in einer globalisierten Welt gelebte Normalität ist. Und das ist gut so.

Viele Länder entlassen ihre Bürger gar nicht erst aus der Staatsbürgerschaft. Umgekehrt wird die deutsche Staatsbürgerschaft nicht mal eben so verschenkt. Wer Deutscher werden will, muss mindestens acht Jahre hier leben, sich zum Grundgesetz bekennen, Deutsch sprechen, einen Test bestehen, Arbeit und ein sauberes polizeiliches Führungszeugnis haben.

Ist es geschafft, bleibt die Einbürgerungsurkunde für viele ein Schatz, den sie voller Stolz hüten. Seht her, ich gehöre dazu – ich bin ein Teil davon! Die Wirklichkeit holt sie rasch ein.

Die Debatte über die Fußballnationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die sich vor der WM mit dem autoritären türkischen Präsidenten Erdogan ablichten ließen, und die im Netz folgende MeTwo-Bewegung zum Alltags­rassismus haben den Nachholbedarf bei Integration und Identität aufgezeigt. Gerade Deutschtürken haben die bittere Erfahrung gemacht, dass sie auch nach Jahrzehnten oft wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden.

Integration gelingt nur, wenn Bürger mit Wurzeln woanders und Einheimische aufeinander zugehen. Wer wie viele Pässe hat, sollte dabei herzlich egal sein.