„Einfach mal den Mund halten wäre ein bedeutender Beitrag im Kampf um den Verbleib in der Liga.“

„Der Erfolg hat viele Väter. Der Misserfolg ist ein Waisenkind.“


Richard Cobden

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So scharf, wie häufig behauptet, kann die Trennung zwischen Eintracht Braunschweig und dem VfL Wolfsburg nicht sein. Zumindest teilen die beiden wichtigsten Fußballteams unserer Region an diesem Wochenende dasselbe Schicksal. Beide haben die ganze Saison über sehr unglücklich gespielt, aus Pech oder Unvermögen viel zu wenige Tore geschossen, beide könnten an diesem Wochenende absteigen. Für beide wäre es ein sportlicher und wirtschaftlicher Schlag von der Art, die man nicht mal eben über die Sommerpause verdaut.

Mit der Krise kommen Begleiterscheinungen, die zum sportlichen Erfolg ganz sicher nicht beitragen. Die Wichtigste: Personalspekulationen. Eintracht Braunschweig war bisher ein Musterbeispiel für personelle Konstanz und ruhige, überlegte Führung; namentlich die Bekundungen der Wertschätzung für Trainer Torsten Lieberknecht sind aus gutem Grund Legion. Seine sportliche Zehn-Jahres-Bilanz ist beeindruckend. Sie wird durch Aufstiege und Beinahe-Aufstiege bestimmt – und durch eine für Eintracht nicht unbedingt typische sportliche Konstanz.

Nun aber, da das Spiel- und Verletzungspech in dieser Saison beinahe tragische Dimensionen erreicht – entsprechend der statistisch bestätigten Regel, dass erfolglose Fastaufsteiger in der Folgesaison massiv zu kämpfen haben – scheinen vergangene Erfolge für manche nicht mehr zu zählen.

Seit Monaten raunen Wissende und solche, die dafür gehalten werden möchten, Lieberknecht werde Braunschweig nach dieser Saison verlassen, aller Fan-Solidarität („Lieber Knecht als Klüngel“) zum Trotz. Damit lassen es die Gerüchteköche nicht bewenden. Kaum eine Woche vergeht, in der unsere Redaktion nicht eine weitere „Nachricht“ erreicht, die als Indiz für den Lieberknecht-Abschied herhalten soll. Von Woche zu Woche werden diese Gerüchte unappetitlicher. Diejenigen, die sie verbreiten, treten die Würde und die Privatsphäre dieses verdienten Sportlers mit Füßen. Sie betreiben, aus Absicht oder mangels Reflektion, Mobbing übelster Art. Wer, so frage ich mich, stellt sich eigentlich breit und öffentlich vor Lieberknecht und weist die Mobber in ihre Schranken? Warum gibt es Stadionverbote nicht auch für Inhaber hoch bezahlter Posten und Stadionsitzplätze, die der Mannschaft und dem Verein dieser Tage einen Bärendienst erweisen? Einfach mal den Mund halten wäre ein bedeutender Beitrag im Kampf um den Verbleib in der Liga.

Das beliebte Spiel „Trainerwechsel löst alle Probleme“ sollte für den VfL Wolfsburg an Reiz verloren haben. Seit Dieter Heckings unnötigem Abgang am 17. Oktober 2016 hat der VfL drei weitere Trainer verschlissen – nach Valerien Ismael kam Andries Jonker, gefolgt von Martin Schmidts halbjährigem Gastspiel. Aber nun wollen die Gerüchteköche schon gesehen haben, dass auch über Bruno Labbadia die Geier kreisen. Quellenangabe: Fehlanzeige. Der Verein hat einen bevorstehenden Rauswurf immerhin dementiert.

Das Wechselspiel hat dem VfL Wolfsburg nicht geholfen. Wenn man sich fragt, warum exzellente, teure Spieler bei einem Verein regelmäßig deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurückblieben, stößt man unweigerlich auf die Strukturfrage. Ein Fußballclub, der wie eine Konzern-Abteilung geführt wird, wird schwerlich die Leidenschaft ausstrahlen, die im Fußball mindestens so wichtig ist wie Etat, kluge Mannschaftszusammenstellung und Taktik. Wenn selbst verdiente Mitglieder hoher Vereinsgremien berichten, dass sie bei entscheidenden Weichenstellungen kaum eingebunden wurden, erkennt man die Größe des Vermittlungsproblems. Es scheint selbst vor dem sportlichen Führungspersonal nicht haltgemacht zu haben. Munter sei hineinregiert und dazwischengegrätscht worden, heißt es. Wenn man die Mannschaft schon immer wieder neu zusammenkauft, müssen Trainer und Sportdirektor mit starker Hand ein Team formen können. Wer deren Autorität untergräbt, trägt am Scheitern Mitverantwortung. Ein Lichtblick: Dem neuen Aufsichtsratschef Frank Witter ist besseres Augenmaß zuzutrauen.

Er ist übrigens einer, der das angeblich Unversöhnliche scheinbar mühelos verbindet. An Witters Schlüsselanhänger wurden die Farben von Eintracht Braunschweig gesichtet. Das passt zu einem Wochenende, an dem die Mannschaften des VfL Wolfsburg und der Braunschweiger Eintracht breite Unterstützung brauchen. Sollte Erstliga-Fußball in unserer Region gar nicht mehr und zweite Liga nur noch in Wolfsburg zu sehen sein, würde das Leben zwischen Harz und Heide ein Stück ärmer.

Weil Verdienste von Brückenbauern nicht immer honoriert werden, sei an dieser Stelle noch einmal die Initiative der Oberbürgermeister von Braunschweig und Salzgitter, Ulrich Markurth und Frank Klingebiel angesprochen. Sie prüfen ein gemeinsames Gewerbegebiet. Beide sagen: Es gibt Probleme, die gelöst werden müssten. Die Verkehrsbelastung der Anwohner ist ein wesentlicher Teil dieser Aufgabe. Gut ist aber, dass sich die Stadtoberhäupter nicht abschrecken lassen. Denn wenn diese bedeutendste Industrieregion Niedersachsens florieren soll, braucht sie Entwicklungsmöglichkeiten für Unternehmen traditioneller und neuer Branchen. Und in Sachen Gemeinsamkeit hat unsere Region massiven Nachholbedarf.