„Ehrenamtlich Engagierte sollten sich von Enttäuschungen nicht entmutigen lassen.“

„Allein ist besser als mit Schlechten im Verein, mit Guten im Verein ist besser als allein.“


Friedrich Rückert (1788 - 1866)

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Kürzlich konnten Sie, liebe Leserinnen und Leser, über die Preisträger beim Gemeinsam-Preis mitentscheiden. Unsere Zeitung zeichnet am 17. Mai im Braunschweiger Dom zum 15. Mal ehrenamtlich Engagierte aus: Menschen aus der Region, die Großes leisten und trotzdem zu selten im Rampenlicht stehen.

Die Nominierten gehören zu den 15 Millionen Deutschen, die ein Ehrenamt ausüben. Laut „ZiviZ-Survey“, einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zur organisierten Zivilgesellschaft, gab es 2016 exakt 603 882 eingetragene Vereine – knapp 200 000 mehr als 1995. Traditionelle Handlungsfelder für Ehrenamtliche sind Feuerwehren, Rettungsdienste oder Sportvereine; sie haben meistens stabile oder leicht steigende Mitgliederzahlen. Besonders stark wachsen Vereine, die sich für fairen Handel, internationale Solidarität, Kitas oder außerschulische Bildung einsetzen – Themen, die besonders jüngere Menschen ansprechen.

Mit Blick auf die Statistiken steht es ums Ehrenamt also gar nicht so schlecht. Doch das Gesamtbild ist wohl wesentlich differenzierter. In ländlichen Regionen, etwa dem vom demografischen Wandel gebeutelten Harzvorland, sterben Vereine. Junge Erwachsene, die oft mit erheblichem Aufwand als Nachwuchs gewonnen wurden, verlassen für Ausbildung oder Studium ihre Heimatdörfer. Und nicht alle Arbeitgeber unterstützen Ehrenämter ihrer Mitarbeiter so wie beispielsweise Volkswagen. Manche freiwillige Feuerwehren sind an Werktagen nicht mehr einsatzfähig, weil die Feuerwehrleute ihre Arbeitsplätze nicht verlassen dürfen.

Besonders schwierig ist es inzwischen, Menschen für Vorstandsämter zu gewinnen. Die Erfahrungen vieler Vereinsvorstände werfen Fragen auf: Was können sie in ihrer Freizeit leisten, was ist ihnen eigentlich zuzumuten? Kann man zum Beispiel guten Gewissens Kassierer sein, ohne ein Proseminar in Vereins- und Steuerrecht belegt zu haben? Finanzämter prüfen Vereinskassen wie die Steuererklärungen der Superreichen. Rücklagen dürfen Vereine nur dann bilden, wenn sie konkrete Investitionen planen – anderenfalls steht der Status der Gemeinnützigkeit auf dem Spiel. Dann müssten unter Umständen Vorstände mit ihrem privaten Eigentum haften. Wenn die Einladung zur Jahreshauptversammlung nur einen Tag zu spät in der Presse abgekündigt wird, erkennt das Amtsgericht die Jahreshauptversammlung nicht an. Als gäbe es nicht schon genug Bürokratie, müssen sich Vereine derzeit mit der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung auseinandersetzen. Diese Richtlinie betrifft nicht nur datenhungrige Großkonzerne wie Facebook, sondern auch alle Institutionen, die personenbezogene Daten ihrer Mitglieder und Gönner verarbeiten.

Schließlich: Wer in einem Vorstand Verantwortung übernimmt und Entscheidungen trifft, muss sich früher oder später mit Kritik auseinandersetzen. Im E-Mail- und Social-Media-Zeitalter ist diese nicht immer konstruktiv, der allenthalben Beklagte Verfall der Diskussionskultur geht auch an Vereinen nicht spurlos vorbei.

Die Mitgliederversammlung der Sektion Braunschweig des Deutschen Alpenvereins endete jetzt mit einem Eklat, die meisten Vorstandsmitglieder traten zurück. Dabei geht es dem Braunschweiger Zweigverein eigentlich gut: Er hat mehr als 3700 Mitglieder, besonders klettersportbegeisterte Kinder und Jugendliche treten ein. Auf der Braunschweiger Hütte in Tirol übernachten jedes Jahr mehr Bergwanderer. Doch hinter den Kulissen gärt es. Heute eröffnet das neue Kletterzentrum am Braunschweiger Westbahnhof; der Alpenverein hat mit den Investoren bislang keine Kooperationsvereinbarung geschlossen. Vielmehr ringt er seit Jahren mit der Frage, ob er besser eine eigene Kletterhalle bauen sollte. Auch um die Braunschweiger Hütte gibt es immer wieder Diskussionen: Manche Mitglieder empfinden die nur mit hohem Aufwand zu unterhaltende Bergsteigerunterkunft als Klotz am Bein.

Den großen Knall beim Alpenverein löste jüngst der gescheiterte Ausschluss eines Mitglieds aus. Es habe sich laut Erklärung der zurückgetretenen Vorstände „schwerwiegendes Fehlverhalten“ geleistet. Auch der Ehrenrat hatte sich für den Ausschluss ausgesprochen, die Mehrheit der Mitglieder lehnte diesen in der Versammlung jedoch ab. Das werteten Teile des Vorstandes als Entzug des Vertrauens.

Sicher ist es Aufgabe von Vorstandsmitgliedern, verschiedene Strömungen in einem Großverein zu moderieren. Doch müssen sie persönliche Angriffe, E-Mail-Fluten, nächtliche Anrufe oder gar Sachbeschädigung ertragen? Sicher nicht. Wenn ehrenamtliches Engagement mit schlaflosen Nächten und Magendrücken verbunden ist, ist es legitim, auszusteigen.

Nun steht der größte Natursportverein unserer Region vor einem Scherbenhaufen. Ende Juni soll bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung ein neuer Vorstand gewählt werden. Werden sich Kandidaten finden?

Solchen Enttäuschungen zum Trotz: Ein Ehrenamt kann extrem viel geben, etwa soziale Kontakte, eine erfüllte Freizeit und häufig die Dankbarkeit derer, um die man sich kümmert. Engagierte sind das Salz in der Suppe unserer Gesellschaft. Sie sollten sich von Enttäuschungen nicht entmutigen lassen.