“Es gibt nur einen Weg: In Spanien und in Katalonien muss eine politische Lösung gefunden werden.“

Was derzeit in Katalonien passiert, geht uns alle etwas an.

Zuerst sei gesagt, dass Katalonien eine wirtschaftlich starke und stabile Region ist, dessen Geschichte, Kultur, Sprache, Demokratie und dessen „Kampf“ um Unabhängigkeit bis mindestens 1283 zurückreicht, als ein Katalanisches Parlament gegründet wurde.

Die derzeitige Krise ist aber erst vor kurzem – und völlig ohne Not – entstanden, da der Partido Popular (PP, gegründet 1976 von einem ehemaligen Innenminister Francos) gegen die im Jahr 2006 von Spanien und vom König abgesegnete Katalanische Verfassung geklagt hat.

Dadurch hat er erreicht, dass 2010 mehrere Artikel außer Kraft gesetzt wurden. Darunter befindet sich eine für Katalanen besonders wichtige Passage, in der Katalonien als Nation innerhalb Spaniens anerkannt wird – so wie in Deutschland Bayern und Sachsen als Freistaaten definiert sind. Dadurch ist Katalonien heute die einzige der 17 Regionen Spaniens, die keine von der Bevölkerung gewählte Verfassung hat.

Die harte Haltung des PP stärkte ihn in „Rest-Spanien“, weshalb die Partei seit 2011 mit Mariano Rajoy den Ministerpräsidenten stellt. Gleichzeitig hat aber dieser Vorgang in Katalonien die Kräfte gestärkt, die schon immer für mehr Autonomie waren, und nun – da eine mit Madrid vereinbarte Verfassung nicht mehr möglich erscheint – die Unabhängigkeit Kataloniens anstreben. 2016 traten daher Carles Puigdemont und eine Koalition an Parteien mit dem erklärten Ziel zur Wahl an, ein Referendum über die Unabhängigkeit abzuhalten. Die Zentralregierung in Madrid hat ein solches Referendum per Gericht verbieten lassen. Nach dieser Demütigung – so die Sicht der Katalanen – wurde in Barcelona beschlossen, das Referendum trotzdem abzuhalten, und, wenn schon, denn schon, nun bindend zu machen.

Die Regierung in Madrid hat, im Namen der „notwendigen Verteidigung des Staates“ gegen den allerdings ausnahmslos pazifistischen Ungehorsam von über zwei Millionen Katalanen beim Referendum am 1. Oktober 2017 mit Gewalt geantwortet. Über neunhundert normale Bürger, darunter viele Rentner, wurden von der militärisch organisierten staatlichen Polizei blutig geschlagen, nur weil sie von der Politik durch demokratische Mittel, also durch Wahlen, gehört werden wollten. Was ist in der EU eine Demokratie noch wert, wenn man nicht einmal mehr wählen darf?

Kurz danach hat das katalanische Parlament eine einseitige Unabhängigkeitserklärung verabschiedet, diese aber sofort auf Eis gelegt, um mit der Regierung in Madrid irgendwie doch verhandeln zu können. Die Zentralregierung hat ihrerseits anhand des Artikels 155 der spanischen Verfassung die legitime Regierung Kataloniens abgesetzt, die kommissarische Leitung übernommen und neue Wahlen für den Dezember 2017 in Katalonien aufgerufen.

Puigdemont und die Separatisten haben auch diese Wahl gewonnen – wenn auch knapp. Da aus Sicht von Madrid die Bürger in Katalonien eindeutig immer wieder falsch wählen, behielt die Zentralregierung trotz nur gerade vier Prozent Zustimmung für den PP in Katalonien die Leitung der Regionalregierung und sie weigert sich nach wie vor zu verhandeln.

Nach dem 1. Oktober und nach dem 21. Dezember hat eine Welle an Inhaftierungen in Katalonien stattgefunden. Gewählte katalanische Parlamentarier sitzen seit zum Teil mehr als 170 Tagen in Untersuchungshaft. Andere, unter anderen der alte und wiedergewählte Präsident Carles Puigdemont, sind ins Exil gegangen, da ihnen drakonische, für die deutsche Justiz undenkbare Strafen von 30 Jahren Gefängnis wegen „Rebellion“ drohen. Unzählige leitende Funktionäre wurden entlassen oder mit Androhung von Geldstrafen von mehreren Hunderttausenden von Euro eingeschüchtert.

Wie soll das alles ausgehen? Deutlich muss gesagt werden, dass eine Unabhängigkeit Kataloniens für den größten Teil der Spanier – und auch für viele Katalanen – nicht in Frage kommt. Das mag auch daran liegen, dass Spanien sich immer noch als ehemalige Weltmacht definiert, auch wenn es nach und nach – und niemals freiwillig – alle Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen musste. Die Angst, schon wieder ein Stück Spanien zu verlieren, steckt vielen Untertanen von König Felipe VI. de Borbón in den Knochen.

Wie aber können wir Missstände in aller Welt kritisieren – gleichzeitig aber solche Zustände in der EU akzeptieren und dulden? Es gibt nur einen Weg: In Spanien und in Katalonien muss eine politische Lösung gefunden werden, in der die Mehrheit sich wiedererkennen und welche die Minderheit der Bürger akzeptieren kann.