„Das Wikipedia-System hat bei all seiner Qualität auch Schwächen. Dies anzuerkennen, wäre keine Schande, sondern bloß intelligent gewesen.“

„Wenn du kritisiert wirst, dann musst du irgendetwas richtig machen. Denn man greift nur denjenigen an, der den Ball hat.“
Bruce Lee

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Was könnte es Schöneres geben als junge Talente zu entdecken, zu ermutigen und zu fördern? „Jugend forscht“ tut das seit mehr als 50 Jahren. Die Aktion dürfte Deutschlands bekanntester Nachwuchswettbewerb sein, seine Träger gehen jedenfalls selbstbewusst davon aus. Tausende ehrenamtlicher Helfer, engagierte Lehrer und Eltern, der Bundespräsident als Schirmherr (seit 1977!) und, als Unterstützer in unserer Region, die Braunschweigische Stiftung sind eine starke Allianz.

Um das Online-Lexikon Wikipedia ging es in einem Jugend-forscht-Beitrag. Für einige „Wikipedianer“ war das wohl schwer zu ertragen.
Um das Online-Lexikon Wikipedia ging es in einem Jugend-forscht-Beitrag. Für einige „Wikipedianer“ war das wohl schwer zu ertragen. © dpa

Wer auf der Internetseite www.jugend-forscht.de surft, wird sehen, dass die Saat der Begeisterung für die Forschung aufgeht. Beeindruckend sind die Vielfalt der Forschungsprojekte, die Entdeckerlust der Jugendlichen, ihre Ernsthaftigkeit. Unsere Redaktion hatte sich vor diesem Hintergrund entschlossen, in einer Porträtserie über die Regionalsieger zu berichten. Die Resonanz unserer Leserinnen und Leser war ausgesprochen positiv.

In einem der Projekte beschäftigte sich eine Teilnehmerin aus Braunschweig mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia, die ihrerseits eine ganz wunderbare Sache ist. In Wikipedia findet der geballte Sachverstand von Abertausenden Autoren aus der ganzen Welt zusammen. Dieses an Hierarchie arme, an Diskussionsfreude reiche soziale Wissensprojekt beschämt nach Feststellung mehrerer Studien die großen Lexika und Enzyklopädien, weil es in der Sache weniger Fehler macht, durch offen geführte Diskussionen wesentlich transparenter und häufig auf tagesaktuellem Stand ist. Und Wikipedia ist für den Nutzer kostenlos, nicht einmal Werbung ziert seine Seiten. So etwas geht nur auf der Basis von Spenden und großem ehrenamtlichem Engagement, das mindestens so anerkennenswert ist wie das im Rahmen der Aktion „Jugend forscht“.

Leider musste die Braunschweiger Schülerin schmerzhaft erfahren, wie sehr dieses Engagement die Fähigkeit mancher Aktivisten zur Selbstkritik mindert. Die junge Forscherin hatte Wikipedia getestet, sie hatte in selbstverfasste Lexikon-Artikel Fehler eingebaut und beobachtet, ob sie von der Community entdeckt würden. Manches Falsche blieb stehen, manches Irrelevante auch, weshalb die junge Forscherin unterm Strich die Verlässlichkeit von Wikipedia in Zweifel zog.

Dies ist ein wunder Punkt – die Wikipedia-Community fühlt sich seit Jahren ungerecht behandelt, weil die tatsächlich erstaunliche Qualität ihrer Arbeitsergebnisse immer wieder in Abrede gestellt wird. Das Projekt der jungen Forscherin kam durch unsere Berichterstattung auf den Schirm der Wikipedia-Gemeinde. Das hätte uns gefreut, belegt es doch die Wirksamkeit und Verbreitung der Arbeit unserer Redaktion. Nur verlor der allergrößte Teil der Diskutanten nach der Lektüre unseres Artikels die Contenance – manche arbeiteten sich an der Schülerin ab, als gelte es, ein Sakrileg zu ächten.

Das Gefühl, betrogen und vorgeführt worden zu sein, überlagerte eine wichtige und potenziell fruchtbare Erkenntnis: Das Wikipedia-System hat bei all seiner Qualität auch Schwächen. Dies anzuerkennen, wäre keine Schande, sondern bloß intelligent gewesen. Unsere Großeltern hätten gesagt, Selbsterkenntnis weist den Weg zur Besserung. Einige sachliche Diskussionsteilnehmer retteten die Ehre der Community. Einer erinnerte unter anderem daran, dass auch die Sicherheit von IT-Systemen durch gezielte Hackerangriffe getestet wird, der Ansatz der jungen Forscherin also legitim sei. Beschämenderweise konnte keiner der scharfen Kritiker behaupten, die Arbeit der jungen Forscherin im Original gelesen zu haben.

Die Wikipedia-Administratoren scheinen erkannt zu haben, dass dieses Beispiel miserabler Debattenkultur keinerlei Ruhm verspricht. Inzwischen sind die Beiträge für normale Nutzer nicht mehr zu finden. Eine außerhalb von Wikipedia verbreitete denunziatorische Persiflage unseres Artikels, die lediglich die dümmliche Arroganz ihres oder ihrer Verfasser demonstriert, erreichte hoffentlich nur einen kleinen Kreis.

Unsere Gesellschaft tut sich zunehmend schwer damit, Dissens auszuhalten und sachlich zu diskutieren. Dass auch eine Community des Wissens nicht davon verschont bleibt, ist vielleicht kein Wunder, illustriert aber die Notwendigkeit, für eine wertschätzende Diskussionskultur zu werben. Wollen wir hoffen, dass auch die Wikipedia-Gemeinde aus der jüngsten Erfahrung lernt – und dass die junge, ganz offensichtlich hoch talentierte Forscherin nicht die Lust verliert, sich so beeindruckend zu engagieren.