„In Deutschland wurde der Stickstoffdioxid-Grenzwert 2003 gesenkt. Grundlage dafür war eine Studie an Menschen.“

Nichts ist im politischen Diskurs so billig zu haben wie moralische Empörung. Sie erlaubt dem Politiker, sich öffentlichkeitswirksam als guter Mensch in die Brust zu werfen, ohne dass daran irgendwelche Konsequenzen geknüpft wären. Entsprechend gern, häufig und heftig wird sich in Berlin oder Hannover empört.

Das ließ sich zuletzt wieder bei den Reaktionen auf die Stickstoffdioxid-Versuche an Menschen am Uniklinikum Aachen beobachten. Kanzlerin Angela Merkel ließ über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilen, die Tests seien „ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen“. Niedersachsens Ministerpräsident legte noch einen drauf und verurteilte die Versuche als „absurd und widerlich“. Und für eine Moderatorin des Deutschlandfunks erzeugten die Versuche gar „ganz üble Bilder – gerade bei uns hier“, womit sie allen Ernstes auf den Holocaust anspielte. Innerhalb einiger Stunden war somit die Empörungsspirale dermaßen eskaliert, dass von einer wissenschaftlichen Studie, bei der Studenten sich freiwillig und folgenlos kurzzeitig einem Reizgas ausgesetzt haben, eine Linie zur Vergasung von Menschen in der Schoah gezogen wurde.

Es sind solche Reaktionen, nicht die Versuche, die es verdient hätten, als absurd und widerlich bezeichnet zu werden. Einem Industriearbeiter in der Schweiz darf acht Stunden am Tag das Doppelte der Konzentration an Stickstoffdioxid zugemutet werden, die die Studenten in Aachen für drei Stunden atmeten. Mehr noch: Es sind genau solche Versuche, die für die Festlegung von Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW) benötigt werden. Entsprechend sind sie im Widerspruch zu Herrn Seiberts Behauptung sehr wohl ethisch zu rechtfertigen. Sie wurden es sogar – durch eine Ethikkommission am Uniklinikum Aachen. In Deutschland wurde der AGW 2003 gesenkt. Grundlage dafür war übrigens eine Studie an Menschen aus dem Vorjahr.