„Schulz & Co. müssen mit offenem Visier für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen.“

Angst ist selten ein guter Ratgeber. Das gilt im Leben wie in der Politik. Die leidenschaftliche Ablehnung einer erneuten Großen Koalition in weiten Teilen der SPD ist nachvollziehbar. Die Groko-Gegner bewegt die Sorge, dass von der ehrwürdigen deutschen Sozialdemo-

kratie nach vier weiteren Jahren als Juniorpartner von Angela Merkel nicht mehr viel übrig bleibt – und sie so das Schicksal vieler Schwesterparteien in ganz Europa erleidet. Aber darf eine stolze Volkspartei der linken Mitte, die seit Jahrzehnten für Solidarität in diesem Land eintritt, in einer für die parlamentarischen Demokratie so heiklen Situation ihren eigenen Anspruch quasi beim Pförtner abgeben? Der frühere Vorsitzende Franz Müntefering prägte den Satz, Opposition sei Mist. Nun legte „Münte“ nach. Vor dem entscheidenden Sonderparteitag in Bonn warnte er seine Partei, ein Spiel verloren zu geben, ohne wirklich bis zur 90. Minute gekämpft zu haben. Dies wäre elender als eine Niederlage. Auch Gewerkschaften, Oberbürgermeister und Sozialverbände loben die rote Handschrift im Sondierungspapier mit vielen geplanten Fortschritten für „kleine Leute“, Rentner und Familien. Der Parteivorsitzende Martin Schulz ist bei den Groko-Gegnern ebenfalls mit dieser Botschaft unterwegs. Er wolle eine Altenpflegerin nicht vier Jahre auf bessere Arbeitsbedingungen warten lassen, nur damit die SPD sich wohlfühle. Recht hat er. Gleichzeitig spielt Schulz mit dem Faktor Angst. Bei einem Nein zur Groko würde die SPD in einer Neuwahl abgestraft, warnt Schulz. Nach dem Scheitern von Jamaika im November sagte er noch, die Partei scheue keinen neuen Wahlgang. Die SPD-Führung sollte auf der Zielgeraden nicht taktisch argumentieren, nur um den Parteitag zu überstehen. Schulz & Co. müssen mit offenem Visier für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen – und das lässt sich nur von der Regierungsbank aus erreichen.