„Trotzdem müssen wir auch anerkennen, dass minderjährige Flüchtlinge ein Risikodarstellen.“

Die Tat von Kandel löst große Empörung aus, weil hier ein Mensch getötet wurde, ein junges Mädchen, das noch alles vor sich hatte. Das vielleicht zum ersten Mal verliebt war und auf einen Jungen vertraute – der ihr das Wertvollste genommen hat, ihr Leben. Die Tat löst aber auch Wut aus, weil hier einer ein Kapitalverbrechen beging, der in Deutschland Asyl suchte. Der aus Afghanistan als unbegleiteter Jugendlicher kam. Ohne Eltern, ohne Freunde, der vom Staat unterstützt wurde und schließlich seine Dankbarkeit mit einer Bluttat ausdrückte.

Doch ist es so einfach? Parteianhänger der AfD nutzen die Gefühlsebene, um mit Mias Tod Politik zu machen. Gegen Flüchtlinge zu hetzen, Abschiebungen und einen Aufnahmestopp zu fordern. Bei aller Wut und Empörung hilft Hetze am wenigsten. Es müssen die richtigen Fragen gestellt werden. Haben Polizei und Strafbehörden auf die Anzeige der Eltern gegen den Jungen wegen Bedrohung richtig reagiert? Wurde der
Afghane gut genug betreut? Und ist er wirklich erst 15 Jahre alt? Nur, wenn Behörden klären, welche Vergangenheit der Jugendliche mitbrachte, lassen sich Generalisierungen ausschließen. Nur dann wird deutlich, dass Täter wie der Afghane nur einen Bruchteil unter den 55 000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ausmachen. Trotzdem müssen wir auch anerkennen, dass minderjährige Flüchtlinge ein Risiko
darstellen. Dass sie Traumata
und andere Einstellungen mitbringen – und dass Integration eine große, schwere Aufgabe ist.

Eine Zurückhaltung in der Berichterstattung, wie sie die „Tagesschau“ vorgenommen hat, lässt zu viel Raum für Interpretation. Die Macht des Aussprechens dessen, was ist, ist immer – zitiert nach dem deutschen Politiker Ferdinand Lasalle – das gewaltigste politische Mittel gewesen. Dies gilt für glaubhaften Journalismus ebenso wie für das Vertrauen in Behörden, Polizei und Regierung.