„Eine Kunsthochschule ist etwas anderes als ein Wirtschaftsbetrieb. Aber auch sie bedarf eines jederzeit klar erkennbaren, allgemein respektierten Rahmens.“

„Wenn Freiheit überhaupt eine Bedeutung hat, dann die, das Recht zu haben, den Leuten zu sagen, was sie nicht hören wollen.“
George Orwell

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In meinem nächsten Leben, sagte dieser Tage ein genervter Zeitgenosse, werde ich Baken-Verleiher. So viele Baustellenabsperrungen wie an unseren Straßen haben selbst hartgesottene Verkehrsteilnehmer selten gesehen. In das Ächzen der Stau-Geplagten mischt sich die Hoffnung, dass die Verkehrsbehinderung einem guten Zweck dient – dass uns nämlich keine Berliner Verhältnisse drohen. Unsere Kollegen der „Berliner Morgenpost“ hatten am Dienstag über den Sanierungsbedarf auf öffentlichen Straßen der Bundeshauptstadt berichtet. Die Senatsverwaltung schätzt ihn auf schwindelerregende 1,3 Milliarden Euro.

Protestbanner an der HBK.
Protestbanner an der HBK.

Dennoch fragt man sich, ob die Baustellen gut koordiniert und dem Verkehrsfluss dienlich eingerichtet werden. Warum zum Beispiel sind Baustellen entlang niedersächsischer Autobahnen grundsätzlich mindestens so lang, wie der Ärmelkanal breit ist? Die Bautätigkeit beschränkt sich in der Regel auf ein paar Hundert Meter. Geht das nicht anders? Unsere Redaktion wird es recherchieren.

Derweil entwickelt sich die Dauerbaustelle, die wir als Hochschule für Bildende Künste kennen, mehr und mehr zur herrschaftsfreien Zone. Das lange Schweigen der Präsidentin Vanessa Ohlraun weckt Zweifel an der Handlungsfähigkeit dieser wichtigen Einrichtung. Auch nach ihrer Gesprächseinladung an die Studenten bleibt der Eindruck, dass Ohlraun die zunehmende Gefahr für die Eigenständigkeit nicht erkennt.

Die HBK war in Gefolge von Misswirtschaft und Schlendrian zum Sanierungsfall geworden. Vor allem dem bisherigen Vizepräsidenten Nikolas Lange ist zu verdanken, dass sich die Hochschule wirtschaftlich, organisatorisch und in ihrer Bausubstanz erholt hat.

Lange war bereit, sich zum Nutzen der HBK tief in die Kammern des Schreckens zu begeben. Leider hat es ihm weder das Land Niedersachsen noch die Hochschule selbst gedankt. Das Land verweigerte ihm eine leistungsgerechte Dotierung und Perspektive, aus Hochschulkreisen wurden er und seine Familie mit Anfeindungen bis hin zur Bedrohung konfrontiert. Nun geht er. Lange hat sich, wie wir jetzt wissen, schon im April dazu entschlossen. Das Maß war längst voll.

Eine Kunsthochschule ist etwas anderes als ein Wirtschaftsbetrieb, sie unterscheidet sich sehr von einer Technischen Universität. Aber auch sie bedarf zur Wahrung der Balance zwischen Freiheit und Verantwortung eines jederzeit klar erkennbaren, allgemein respektierten Rahmens. Der scheint der HBK verloren gegangen zu sein – sie kann ihn nur unter kraftvoller Leitung und engagierter Moderation wiederfinden.

Die HBK steht am Scheideweg. Gelingt der Präsidentin die Kommunikation mit den streikenden Studenten? Gelingt ihr eine Lösung des Konflikts? Wird sie, im Interesse der großen Mehrzahl der Studierenden, die Rückkehr zu zivilisierten Verhaltensweisen durchsetzen? Bei aller Sympathie für den Wunsch nach größtmöglichem Spielraum: Partybetrieb auf dem Rücken der Anwohner, Vandalismus und Freiheitsberaubung sind nicht durch die Freiheit von Kunst und Lehre gedeckt. Fällt die HBK nach Langes Rücktritt in alte Sünden zurück? Dann müsste das Wissenschaftsministerium eingreifen – bisher ließ man es mit einer Stippvisite der scheidenden Ministerin bewenden.

Die Schwierigkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen, ist ein auffälliges Merkmal des Konflikts an der HBK. Es mag sein, dass auch die Kunsthochschule an einem Zug der Zeit leidet: Es scheint schwerer zu fallen, Meinungs- und Interessengegensätze auszuhalten, sie konstruktiv auszutragen. Zwischen der Neigung zu massivem Zusammenstoß und unnatürlicher Schonhaltung ist möglicherweise etwas verloren gegangen, das man mit dem Wort Streitkultur benennen kann.

Der frühere britische Großrabbiner Jonathan Sacks äußerte diese Woche in einer Kolumne für die BBC seine Sorge um die Meinungsfreiheit. Ihn beunruhigen keineswegs nur Extremisten, die die Wahrheit gepachtet haben und dazu neigen, alle anderen abzuurteilen, anzugreifen und niederzuschreien. Sacks sieht eine Gefahr, die ausgerechnet von der Bewegung ausgeht, die sich besondere Sensibilität auf die Fahnen geschrieben hat (und nicht nur an britischen Universitäten einigen Einfluss gewonnen hat). Aus Sorge vor der diskriminierenden, verletzenden Wirkung von „Mikroaggression“ hatte ein College in Oxford die evangelikale Christian Union vom Campus verbannt – Studenten könnten sich befremdet fühlen.

Der Bann, der sich auf die bloße Möglichkeit einer Verletzung stützte, wurde von einer Welle der Empörung fortgespült. Aber er zeigte, dass auch übergroße Empfindlichkeit einer Kultur des offenen, unaufgeregt ausgetragenen Wettbewerbs der Meinungen gefährlich werden kann. Die Grenzen zur Intoleranz sind fließend. Vielleicht sollten die Konfliktparteien der HBK Sacks’ anregende Kolumne nachhören.

Die Radio-Kolumne von Jonathan Sacks aus der BBC-Serie „Thought For The Day“ finden Sie unter der Internetadresse: http://www.bbc.co.uk/programmes/p05mnp8x

Einen Artikel zum Thema finden Sie hier: Atelierbesetzung – die Protestierenden bleiben friedlich