„Die überwältigende Mehrheit aller Patienten in psychiatrischen Kliniken ist freiwillig dort.“

Der Film „Der fremde Sohn“ (2008) erzählt eine schreckliche Geschichte. In ihm wird eine Mutter im Los Angeles des Jahres 1928 von einem Polizisten wegen „Hysterie“ gegen ihren Willen in eine Nervenheilanstalt eingewiesen und dort schwer misshandelt. Der Film ist realistisch, denn er erzählt eine wahre Geschichte. Zugleich bestätigt er aber auch ein falsches, weil veraltetes Bild von Psychiatrie.

Denn die Zeiten, in denen Ärzte paternalistisch entschieden haben, was gut für ihre Patienten ist, sind glücklicherweise vorbei. Heute erhalten Patienten ihre Diagnose und werden dann über mögliche Therapien informiert. Gemäß dem Leitbild des mündigen Patienten entscheiden sie selbst über die weitere Behandlung – so zumindest das Ideal.

Dieses Ideal gilt auch für die Psychiatrie. Die überwältigende Mehrheit aller Patienten in psychiatrischen Kliniken ist freiwillig dort. Ihre Therapien wählen sie selbst, und viele verlassen die Klinik bereits nach einigen Wochen wieder. Trotzdem ist Psychiatrie auch heute noch nicht völlig frei von Zwang. Bei ihrem Protest gegen den Vortrag des Psychiaters Manfred Lütz am Mittwoch bezeichneten Demonstranten der „Initiative Zwangbefreit“ den Einsatz von Neuroleptika gegen den Willen von Patienten als Körperverletzung.

Gerade angesichts der düsteren Geschichte der Psychiatrie in Deutschland ist es wichtig, Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Kliniken streng zu überwachen. Doch in manchen Fällen sind sie unerlässlich. Menschen mit einer bipolaren Störung laufen während manischer Episoden Gefahr, sich durch ihr Verhalten finanziell und sozial zu ruinieren. Schizophrene können sich in Wahnfantasien hineinsteigern, die sie zur Gefahr für sich und andere werden lässt. In solchen Fällen müssen Psychiater notfalls gegen den aktuellen (!) Willen des Patienten handeln. Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung.