„Weiß denn Jens Spahn nicht, dass die Kirchen über ihre karitative Arbeit dem Staat jede Menge Arbeit abnehmen?“

Kirchentage sind seit jeher mehr als Stadiongottesdienste und Bibelexegese in Messehallen. Sie sind politische Ereignisse – und dazu da, über die großen Themen zu sprechen, über Moral, über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Kirchentage können dabei helfen, aufs Neue zu klären, was Christsein bedeutet. Und seit jeher setzen sich auch Spitzenpolitiker damit auf den Kirchentagen auseinander. Es soll ja vorkommen, dass politische Verantwortliche, Minister, Kanzler und Bundespräsidenten auch Christen sind – und als solche eine Meinung haben.

Nun muss gerade die Evangelische Kirche mit dem Vorwurf leben, sie lasse ihren Kirchentag zu einer Politveranstaltung abstumpfen. Dass der frühere US-Präsident Barack Obama gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vor großem Publikum über Demokratie spricht, dient den Kritikern als bestes Beispiel für ihre These, die Kirche biete der Kanzlerin eine grandiose Wahlkampfbühne. Und dann ist da der umtriebige CDU-Politiker Jens Spahn, der die großen Konfessionen auffordert, sich mehr auf „ihre Kernthemen“ zu konzentrieren. Den Kirchen fehle oft der Realitätsbezug, dafür mischten sie sich zu oft in die Tagespolitik ein. In welcher Realität lebt ein Politiker, der so etwas sagt? Weiß er nicht, dass die Kirchen gerade über ihre karitative Arbeit dem Staat eine Menge Aufgaben abnehmen?

Die Kirchen wissen nur zu genau, wo es Gerechtigkeitslücken gibt. Darüber zu sprechen, ist nicht nur ihr gutes Recht, sondern ihre christliche Pflicht. Die handelnde Politik tut gut daran, zuzuhören. Die punktuelle Politisierung der Kirchen stellt noch lange keine parteipolitische Tendenz dar. Im Übrigen war es Merkel selbst, die auf dem Kirchentag klarstellte, dass für sie und die CDU die Religion in den öffentlichen Raum gehöre. Es sei besser, die Kirchen mischten sich ein, als dass sie sich immer zurückhielten. Genau das tut der Kirchentag.