„Viel zu wenige Schüler haben Zugang zu Computern. Das ist selbstmörderisch für eine Industrienation.“

Nichts verändert unser Leben so radikal wie die digitale Revolution. In Fabriken und Büros, Läden, Autos und Wohnungen entlastet uns immer intelligentere Technik von stupider Routinetätigkeit. Sie verschafft uns neue Möglichkeiten der Kommunikation – zwischen Menschen und Maschinen.

Wer diese Chancen nicht erkennt und zu beherrschen lernt, wird bald aufs Abstellgleis rollen. Der Umgang mit den Möglichkeiten dieser neuen Welt ist eine gewaltige Herausforderung. Gewerkschaften und Industrie gehören zu denen, die sich mit den Auswirkungen am intensivsten auseinandersetzen.

Auch an den Schulen ist die Digitalisierung angekommen, in Ansätzen immerhin. Glücklich der Schüler, der auf einen Lehrer mit technischem Verstand trifft. Oft genug müssen Schüler ihre Lehrer trainieren. Es ist ein wenig so, wie Ephraim Kishon in seiner Satire „Unternehmen Babel“ schrieb: „Die offizielle Sprache unseres Landes ist das Hebräische. Es ist auch die Muttersprache unserer Kinder – übrigens die einzige Muttersprache, welche die Mütter von ihren Kindern lernen.“

Noch glücklicher sind die Schüler und Lehrer, denen zeitgemäße Technik zur Verfügung steht. Selbst in den Computerräumen deutscher Schulen sind veraltete Rechner und Betriebssysteme nicht selten; IT im Klassenzimmer bleibt die kostbare Ausnahme. Nur 1,6 Prozent der Schüler, so ergab eine Studie 2014, haben in der Schule täglichen Zugang zu Computern. Deutschland steht deshalb in internationalen Vergleichsstudien auf hintersten Plätzen. Das ist selbstmörderisch für eine Industrienation.

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka will fünf Milliarden Euro zur Verfügung stellen, damit sich etwas ändert. Es ist ein richtiges und hilfreiches Signal. Die deutsche Kleinstaaterei im Bildungswesen erschwert die Initiative, aber das macht sie nicht weniger sinnvoll.

Wanka hört nun lautstarke Kritik. Man solle das Geld besser in die Sanierung kaputter Schulgebäude stecken, heißt es. „Wo in Klassenzimmern der Schimmel die Wände hochkriecht und Schulklos verstopft sind, reicht es nicht, Tablets und W-Lan bereitzustellen“, sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Die Kritik am beklagenswerten baulichen Zustand vieler Schulen ist berechtigt. Aber man darf eine dringliche Aufgabe nicht als Schlagwaffe gegen eine andere, mindestens genauso wichtige einsetzen. Übrigens ist es nicht der Bundesbildungsministerin vorzuwerfen, wenn Bund und Länder den Städten und Gemeinden seit Jahrzehnten eine Finanzausstattung verweigern, die sie zur Erfüllung ihrer wichtigen Aufgaben benötigen. Johanna Wanka kann auch nichts für die Fehlsteuerung in manchen Kommunen, die das Geld lieber in Prestigebauten stecken als in unsere Kinder.

Alarmierend ist unterdessen die Ignoranz, mit der einer der profiliertesten Vertreter der Lehrerschaft auf Wankas Initiative reagiert. Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, sagte gestern im Interview: „Ich glaube nicht an die Segnungen der Digitalisierung von Unterricht, die man uns immer versucht einzureden.“ Häppchenwissen bringe nichts, der Verlust von Konzentrations-, Kommunikations- und Diskursfähigkeit drohe.

Für diese Schwarz-Weiß-Malerei sollte sich ein kluger Mann zu schade sein. Man kann Informationstechnologie nicht für pädagogisch nutzlos erklären, weil unablässiges Surfen und Daddeln zu einer „digitalen Demenz“ führen können, wie der Hirnforscher Manfred Spitzer schreibt. Es wird ja auch niemand Leselampen verbieten, weil zu grelles Scheinwerferlicht die Augen blendet! Kluge und wahrscheinlich jüngere Pädagogen werden einen Weg finden, die digitale Welt in den Unterricht zu integrieren. Sie werden unseren Kindern die Interaktion und die kreativ-spielerischen Lernmöglichkeiten erschließen, die in anderen Ländern heute schon ganz selbstverständlich zur Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten genutzt werden.

Vielleicht führt Wankas Initiative dazu, dass alle staatlichen Ebenen endlich gemeinsam anpacken. Es wäre sehr zu wünschen. Wanka, die wir in Niedersachsen als herausragende Wissenschaftsministerin kennengelernt haben, hätte den Erfolg verdient; das Land hätte ihn nötig. Denn auch wenn Lehrerfunktionär Kraus es nicht wahrhaben will: Schulen auf dem technologischen Niveau von Wilhelm Buschs „Lehrer Lämpel“ kann sich Deutschland nicht leisten. Unsere Kinder müssen IT-kompetent werden, wenn sie dieselben Chancen auf Wohlstand und Sicherheit haben sollen wie ihre Eltern und Großeltern.