Berlin. Kanzlerin Angela Merkel verurteilt bei der Generaldebatte im Bundestag die Ereignisse in Chemnitz. Die AfD verlässt nach der Wutrede den Saal.

In der Haushaltswoche des Bundestages geht es gemeinhin um Zahlen. Doch der Etat des Kanzleramtes – so ist es Tradition – ist Anlass für einen Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierungsparteien. In Tagen, in denen die Republik vor allem über die Ereignisse von Chemnitz debattiert, wird die Generaldebatte am Mittwoch zu einer sehr denkwürdigen – mit Beiträgen zwischen „Menschenwürde“ und „Misthaufen“, einem Auszug aus dem Parlament und Sorge über den Zustand des Landes.

Von Angela Merkel werden klare Worte erwartet: zu den Vorfällen in Chemnitz, zur Diskussion über Hetzjaden und zum Verhalten von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der ihre Auslegung der Ausschreitungen in Chemnitz öffentlich infrage gestellt hat.

In Chemnitz war Ende August ein Deutscher erstochen worden. Tatverdächtig sind drei Asylbewerber, zwei von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. Nach der Tat gab es fremdenfeindliche Ausschreitungen, bei denen es auch zu Übergriffen kam. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von „Hetzjagden“ auf Ausländer, Maaßen widersprach.

Martin Schulz widerspricht Gauland auf das Schärfste

Merkel positioniert sich zu Chemnitz sehr klar, zu Maaßen äußert sie sich nicht. Die Kanzlerin mahnt deutlich die Achtung der Menschenwürde an, verurteilt zugleich die Gewaltverbrechen: „Solche Taten machen mich betroffen, die machen alle betroffen.“ Die Täter gehörten mit voller Härte der Gesetze bestraft. Es sei das gute Recht aller Deutschen, gegen diese Taten zu demonstrieren. Sie lasse aber keine Entschuldigung gelten für Hetze, die Anwendung von Gewalt, Nazi-Parolen oder die Anfeindung von Menschen mit Migrationshintergrund. „Es gelten bei uns Regeln. Diese Regeln können nicht durch Emotionen ersetzt werden. Das ist das Wesen des Rechtsstaates“, so die Kanzlerin.

In Anspielung auf die Debatte, ob es Hetzjagden gegeben hat, sagt Merkel, Streit über Begrifflichkeiten führe nicht weiter. Es gelte Artikel eins des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wer dagegen verstoße, stelle sich gegen die Werte von Einigkeit, Recht und Freiheit. Die CDU-Vorsitzende bezieht sich dabei auf ihren Vorredner, AfD-Fraktionschef Alexander Gauland. Der Chef der größten Oppositionspartei nutzt das Recht des ersten Wortes für einen Rundumschlag gegen das „politisch-mediale“ Establishment, das den inneren Frieden gefährde.

Er zählt Straftaten auf, die in Deutschland in den vergangenen Tagen verübt wurden – erwähnt aber nur Taten von Ausländern. Bei den Demonstrationen in Chemnitz habe es „ein paar Hohlköpfe“ gegeben, die „Ausländer raus!“ gerufen und den Hitlergruß gezeigt hätten: „Idioten und Dumpfbacken“. Die Wahrheit sei aber, dass es keine Menschenjagden gegeben habe. „Und so widerlich Hitlergrüße sind: Das wirklich schlimme Ereignis war die Bluttat zweier Asylbewerber“, sagt Gauland. Den anderen Parteien wirft er vor, sie würden „eine Art Volksfront gegen die AfD aufbauen“.

Diese Rede bringt den früheren SPD-Chef Martin Schulz in Rage: Gauland bediene sich der „Mittel des Faschismus“. Die Reduzierung auf nur ein Thema, die Migration, sei ein bekanntes Stilmittel: „Die Migranten sind an allem schuld. Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon einmal gegeben“, kritisiert Schulz. Es sei an der Zeit, „dass sich die Demokratie gegen diese Leute wehrt“. Und poltert – mit Blick auf Gaulands frühere Aussage, die NS-Zeit sei im Verlauf der deutschen Geschichte nur ein „Vogelschiss“: „Herr Gauland, die Menge von Vogelschiss ist ein Misthaufen. Und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte.“

Merkel schließt Beteiligung an Syrien-Konflikt nicht aus

Auch FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt greifen die AfD scharf an. Diese sei „auf dem rechten Auge blind“ und stelle die Legitimität des politischen Systems infrage. Zum Eklat kommt es nach Bemerkungen des SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs: „Rechtsradikale in diesem Parlament sind unappetitlich“ und „Hass macht hässlich, schauen Sie in den Spiegel“, ruft er der AfD zu. Die AfD-Fraktion verlässt geschlossen den Saal. Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich (CSU) mahnt Kahrs. „Solche Aggressivität“ sei „nicht zielführend“.

In der Hitze des Gefechts geht ein Paradigmenwechsel fast unter: Merkel schließt eine Beteiligung der Bundeswehr im Syrien-Konflikt nicht mehr aus. „Von vornherein einfach Nein zu sagen, egal, was auf der Welt passiert, das kann nicht unsere Haltung sein.“ Die SPD lehnt einen Militäreinsatz dagegen strikt ab – eine Belastung für die Koalition.