Braunschweig. Viele Firmen hatten zwischen 1850 und 1960 Weltgeltung. Die neue Dauerausstellung des Städtischen Museums zeigt im Altstadtrathaus viele Exponate.

Ledermantel, Lederkappe, Lederstiefel dicker Rollkragenpullover, Motorrad-Brille – das müssen schon harte Jungs gewesen sein. Einer von ihnen steht – zumindest als Puppe – abfahrbereit im Altstadtrathaus. Da denkt man ans regengepeitschte Winterwetter und hat fast Mitleid. Denn solche Männer, klärt Museumsdirektor Peter Joch uns auf, hätten einst für die Firma Büssing Lastwagen ohne Chassis zur Weitererverarbeitung gefahren – oft bis nach Belgien.

Derlei Kuriosa gibt es auch in der neuen Dauerausstellung „Mensch, Maschine“ des Städtischen Museums. Zuvörderst ist diese Schau natürlich dazu gedacht, Glanz und Elend der Braunschweiger Industriegeschichte zu präsentieren. Vor allem Glanz. Durchaus nicht unberechtigt. Denn seit der industriellen Revolution wirkten Braunschweiger Unternehmer und Firmen innovativ, errangen Weltgeltung.

Wer hat’s erfunden?

Man könnte es fast machen wie die Schweizer in ihrer Bonbonwerbung: Wer baute 1841/42 die erste Metallkamera der Welt? Ein Braunschweiger war’s: F. W. Voigtländer. Wer schuf 1903 den ersten fahrtüchtigen Lastkraftwagen und richtete 1904 die erste erfolgreiche Kraftpost-Omnibuslinie der Welt zwischen Braunschweig und Wendeburg ein? Heinrich Büssing war’s. Wer war um 1900 führend in der Signal- und Eisenbahntechnik? Der Braunschweiger Fabrikant Max Jüdel. Wer wurde in den 20-er Jahren zur bedeutendsten Mühlenbauanstalt der Welt? Die Miag.

Weiter: Wer revolutionierte die Rechenmaschine? Genau: die Brunsviga. Wo waren zeitweise fast 50 Prozent der deutschen Konserven-Industrie versammelt? Weiß jeder. Mit welcher Kamera beliebte die britische Königin Elisabeth ihre Schnappschüsse zu fertigen? Es war eine kleine goldfarbige Rollei. Und die schönsten Fahrräder der Welt entstanden sowieso in den Panther-Werken. Die mit der Raubkatze auf dem Schutzblech.

Absack-Waage

Mag sein, dass im Schloss und den Museen der Stadt die Feudalgeschichte der Residenz sehr im Vordergrund steht. Auch dies ein längst verblichener Glanz. Insofern ist es schon überfällig, dass nun auch die Industriegeschichte an prominentem Ort aufgefächert wird – in sehr gedrängter Form allerdings.

Was auf den ersten Blick in die historischen Gemäuer sofort neugierig macht, ist die Fülle an Exponaten. Da ist nichts theoretisch, wenig Flachware, dafür umso mehr überlieferte Gerätschaften, durchaus geschickt arrangiert. Die innovativen LKWs und Busse Büssings sind als Modelle um das Wappentier, den Burglöwen, herumgruppiert. Ein mächtig gewaltiger Sechszylinder-Motor aus der Büssing-Lehrwerkstatt verklart mit farblichen Markierungen zugleich die Funktionsweise. Eine Absack-Waage der Miag ist noch voll funktionstüchtig. Die überquellende Werkbank eines Rollei-Mechanikers samt Linsen, Objektiven und Kameras wirkt so, als wäre der Meister nur kurz in die Kantine gegangen. An einer Brunsviga-Maschine darf jeder Besucher herumrechnen.

Sammler freuen sich

Das Museum hat die eigenen Bestände durchforstet, bedankt sich aber auch bei zahlreichen Leihgebern aus ganz Deutschland. „Bisher hatte ich ja hauptsächlich mit Kunstsammlern zu tun“, meinte der Museumsdirektor bei der Präsentation. „Die sind oft ziemlich zögerlich, manchmal auch zickig. Bei den Industriesammlern ist es genau umgekehrt: Die freuen sich unheimlich, wenn sie ihre Schätze präsentieren können.“

Allerdings seien diese Experten oft auch Nerds, „die ganz genau nachweisen können, dass eine Innovation nicht, sagen wir, im November 1861, sondern erst im Februar 1862 zur Marktreife kam“. Insofern bitte: Gnade, liebe Nerds, mit diesem Text.

Mehr Informationen!

Zumal die pralle Fülle an Exponaten – zumindest beim Presserundgang – auch ein Manko aufwies. Es bräuchte dringend eine größere Informationstiefe zu den Objekten. Und über den Niedergang der einst ruhmreichen Weltfirmen erfährt man so gut wie nichts.

Allerdings gab es eben nicht nur Glanz, sondern auch das Elend der Industrialisierung. Zwar steht hier ein klassizistisches Denkmal vom hoch geachteten Max Jüdel mit halbnackten Arbeitern – so schön, dass sie einer Kollegin einen verzückten Seufzer entlockten. Anderswo allerdings ging es hart zu. Der Firmenpatriarch Büssing kündigte 1919 der gesamten Belegschaft, als sie sich gegen Akkordarbeit wehrte (was bisher nicht thematisiert wird). Und die Konservenindustrie war eine Knochenmühle.

Arme Arbeiterinnen

Die Ausstellung zeigt Fotos von stumpfsinniger Arbeit, etwa dem Spargelschälen, auch Dokumente über die Arbeitszeitverlängerung der meist ungelernten Arbeiterinnen und einen aufrüttelnden Artikel des Sozialdemokraten Wilhelm Bracke zu deren Arbeitsbedingungen in seinem „Volksfreund“.

Joch will die Industriegeschichte fortschreiben, etwa mit dem Computer-Bahnbrecher Commodore oder der modernen Flugtechnik. Ein Bereich der Schau ist für wechselnde Themen vorgesehen.

Geöffnet Di.-So. sowie auch an Feiertagen 10-17 Uhr. Der Eintritt ist frei.