Braunschweig. Braunschweiger Anwohner fordern, die teils hohen individuellen Straßenausbaubeiträge abzuschaffen – wie in anderen Gemeinden schon geschehen

Anfang November 2021 flatterten den Anwohnern der Straßen Rosenkamp und Blumenweg in Braunschweigs nördlichem Stadtteil Wenden Briefe ins Haus, die wohl die wenigsten erfreut haben dürften. Die Stadt Braunschweig teilte ihnen mit, dass ihre Straßen erneuert und umgebaut werden sollen. Von den voraussichtlichen Gesamtkosten von rund 756.000 Euro werde ein Anteil von 60 Prozent – rund 453.700 Euro – auf die Anlieger umgelegt, die sich je nach Größe, Art und Nutzung des Grundstücks beteiligen müssten.

Von Volker Berkhan, Rosenkamp 4, fordert die Stadt etwa 14.350 Euro. Der 74-Jährige ist damit nicht einverstanden. „Eine so hohe Summe belastet einen Rentner wie mich immens. Mein mühsam gefüllter Topf mit Rücklagen für Reparaturen und Notfälle wäre auf einen Schlag leer“, sagt er. Zusammen mit mehreren Nachbarn will er sich wehren gegen die Beiträge, die andere niedersächsische Kommunen – in unserer Region etwa kürzlich die Gemeinde Wendeburg im Landkreis Peine – abgeschafft haben. „Dass wir das bezahlen müssen, die Leute in den Nachbargemeinden aber nicht, ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“, empört er sich. Seine Nachbarn Gerd Niemitz (59), Klaus Schmidt (51) und Wilfried Sager (74), alle an Berkhans Esstisch versammelt, stimmen energisch zu.

Strabs-Flickenteppich in Niedersachsen und in der Region

Vereint gegen die Strabs: Gerd Niemitz (von links), Klaus Schmidt, Volker Berkhan und Wilfried Sager.
Vereint gegen die Strabs: Gerd Niemitz (von links), Klaus Schmidt, Volker Berkhan und Wilfried Sager. © regios24 | Stefan Lohmann

Beim Thema Straßenausbaubeiträge ist unsere Region, genauso wie das ganze Land Niedersachsen, ein Flickenteppich. Während etwa Wolfsburg und Salzgitter sie nicht mehr erheben, greift in vielen Gemeinden der Landkreise Gifhorn, Helmstedt und Peine weiterhin die Straßenausbaubeitragssatzung, abgekürzt Strabs. So auch in Braunschweig: Die Stadtverwaltung erklärt auf Anfrage unserer Zeitung, dass ohne die Beiträge für den Straßenbau weniger Mittel zur Verfügung stünden und Sanierungsmaßnahmen nur noch in geringem Umfang möglich wären.

In den vergangen Jahren mussten nach Angaben der Stadt jeweils gut 1000 Braunschweigerinnen und Braunschweiger Straßenausbaubeiträge zahlen. Das Gesamtaufkommen lag demnach jährlich bei rund 2,2 Millionen Euro. Der Durchschnittswert von 2200 Euro ist laut der Stadt aber nicht aussagekräftig, „da der Beitrag stark abhängig ist vom Umfang der Baumaßnahme, von der Anzahl der Anlieger und von Art und Größe der jeweiligen Liegenschaft“.

Explosive Gemengelage

Aber nicht nur die hohen Kosten haben den Widerwillen der vier Wendener erregt. Klaus Schmidt beklagt: „Die ganze Baumaßnahme leuchtet uns nicht ein. Ich frage mich, warum das jetzt in dieser Art und Weise gemacht werden muss.“ Aus Sicht der Stadt ist die Sanierung der beiden Straßen nicht nur aufgrund des an vielen Stellen augenfällig maroden Straßenbelags notwendig, sondern auch wegen der gesetzlichen Verpflichtung, eine Kanalisation für das Regenwasser einzubauen. „Dabei“, sagt etwa Niemitz, „habe ich überhaupt kein Problem damit, wenn das Wasser weiter wie bisher auf meinem Grundstück versickert“. Und noch etwas stört ihn: „Wenn die ihren Willen durchkriegen, fallen jede Menge Parkplätze weg.“ Der von der Stadt bevorzugte Plan sieht vor, aus der bisherigen „Zone 30“ einen verkehrsberuhigten Bereich zu machen, mit Bäumen, einer gemeinsamen Verkehrsfläche für alle Verkehrsteilnehmer – und eben weniger Parkraum für Autos.

Auch wenn die Straßenausbaubeiträge und die Unzufriedenheit der Wendener über die Art des Ausbaus streng genommen zwei Themen sind, wird es durch die Gemengelage besonders explosiv. Die Anwohner sollen etwas bezahlen, was sie in dieser Form nicht wollen. Schmidt erklärt: „Wir wollen weder die Rohrleitungen noch diese Art des Umbaus. Die Stadt hat unsere Straßen über Jahrzehnte vernachlässigt. Dass man uns jetzt die Pistole auf die Brust setzt und wir die Suppe auslöffeln sollen, das stinkt mir.“ Unter den diesen Bedingungen sei es ihm lieber, wenn alles beim Alten bliebe, ergänzt Niemitz. „Schließlich haben wir uns an diese Buckelpiste schon gewöhnt.“

Infoveranstaltung stellte Anwohner nicht zufrieden

Noch im November, kurz nach den Briefen sammelten Berkhan, seit Jahren aktiv im Verband Wohneigentum Niedersachsen, und seine Mitstreiter Unterschriften, um die Stadt zu einer öffentlichen Informationsveranstaltung aufzurufen. Am 8. Juni fand diese auch statt in der Aula des Lessinggymnasiums. Nach missglücktem Start – laute Knallgeräusche der Verstärkeranlage führten bei mehreren der rund 100 Teilnehmer für den Rest des Abends zu Hörproblemen – brachte die Veranstaltung nach Bericht der vier kaum Neues. So habe die von vier Vertretern der Stadtverwaltung gezeigte Präsentation, während der zunächst nicht einmal Zwischenfragen zugelassen wurden, im Wesentlichen nur das ohnehin bereits Bekannte wiederholt.

Volker Berkhan (Schriftführer im Kreisverband Braunschweig des Verbands Wohneigentum e.V., VWE) wohnt im Wendener Rosenkamp. Diese und weitere Straßen sollen ausgebaut werden. Gegen die Beteiligung an den Kosten will er sich wie viele andere Anlieger wehren.
Volker Berkhan (Schriftführer im Kreisverband Braunschweig des Verbands Wohneigentum e.V., VWE) wohnt im Wendener Rosenkamp. Diese und weitere Straßen sollen ausgebaut werden. Gegen die Beteiligung an den Kosten will er sich wie viele andere Anlieger wehren. © regios24 | Stefan Lohmann

Auch Heidemarie Mundlos, die für die CDU um Bezirksrat Wenden-Thune-Harxbüttel sitzt, hat die Veranstaltung als wenig zufriedenstellend erlebt. Ihre anschließenden Gespräche mit Teilnehmern hätten gezeigt, dass die Frustration, Verbitterung und Wut groß seien, berichtet sie unserer Zeitung. Viele hätten den Eindruck, dass ihre Sicht der Dinge überhaupt nicht gefragt sei. Daran, dass sich die Zahlung für die Wendener noch abwenden lässt, glaubt die langjährige Landtagsabgeordnete nicht mehr. „Das sagt mir meine Erfahrung.“ Allerdings hofft sie, dass die Stadtverwaltung die Anregungen und Wünsche der Anlieger in ihren Plänen berücksichtigt. Momentan warte man im Bezirksrat, wo das Thema „durch alle Fraktionen diskutiert“ werde, gespannt auf die hoffentlich überarbeitete Vorlage der Stadt.

Aus Mundlos’ Sicht wirft vor allem der beabsichtige Regenwasser-Kanal Fragen auf: Wenn man angesichts des Klimawandels künftig besser dafür sorgen wolle, dass Niederschläge in die Böden gelangten, statt abgeleitet zu werden, dann sei der Kanalisationsplan sogar kontraproduktiv und letztlich „rausgeschmissenes Geld“, sagt sie. Selbst wenn eine solche Ableitung momentan gesetzlich verpflichtend sei, müsse man „da ran“, so Mundlos.

Kommunalpolitikerin Mundlos plädiert für Abschaffung

Ihre Partei, die CDU, steht den Straßenausbaubeiträgen uneinheitlich gegenüber. Die Kommunalpolitikerin plädiert jedoch, wie Landtagswahl-Spitzenkandidat Bernd Althusmann für deren Abschaffung. „Der Flickenteppich, den wir jetzt haben, ist einfach ungerecht“, sagt Mundlos. „Daher fänd ich’s konsequent, wenn das Land das abschafft. Aus meiner persönlichen Sicht ist das ein landesweites Problem, das auch landesweit gelöst gehört.“ Das sieht auch Berkhan so. „Ich habe alle Parteien zu dem Thema angeschrieben“, berichtet er. Geantwortet habe ihm aber allein die FDP, die sich gegen die Strabs ausspricht.

Für den Wendener Schmidt bedeutet die absehbare Ausgabe – aufgrund der Lage seiner zwei Grundstücke erhielt er übrigens gleich drei Strabs-Benachrichtigungen –, dass er die geplante Sanierung der Fenster seines Hauses jetzt auf unbestimmte Zeit verschieben muss. Er fände es gerechter, wenn die nur alle paar Jahrzehnte anfallenden hohen Forderungen auf mehr Schultern verteilt würden. „Dieses System ist einfach ein Fail“, meint er mit Blick auf die Strabs. „Aus guten Gründen haben andere Städte und Kommunen das abgeschafft.“

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