Braunschweig. Frieden in Europa schien sicher, bis Russland die Ukraine überfiel. Jetzt wird über den Zivil- und Katastrophenschutz diskutiert. Reicht der aus?

Es war der 24. Februar, der Donnerstag vor zwei Wochen, der vieles, was in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in Vergessenheit geraten war, zumindest wieder in eine bedrohliche Nähe rückte. So änderte sich am Tag, als Russland seinen Nachbarn, die Ukraine, überfiel, auch der Umgang mit der Frage: Welche Konsequenzen zieht Deutschland aus einer militärischen Bedrohung vor der eigenen Haustür?

Auch innere Wehrhaftigkeit auf dem Prüfstand

Beantwortet wurde sie drei Tage später mit dem Ausruf einer Zeitenwende durch Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag und dem Bereitstellen eines 100-Milliarden-Euro schweren Sondervermögens für die Bundeswehr, mit dem diese befähigt werden soll, im Zweifel das Land zu verteidigen.

Dass diese Zäsur auch Konsequenzen für den Schutz der Bevölkerung im Katastrophenfall hat, wurde schnell klar. Aus dem Innenministerium in Hannover heißt es heute, die Ankündigung von Scholz, massiv Geld in die Bundeswehr zu stecken, sei gleichzeitig das Signal gewesen, auch im Inneren die Wehrhaftigkeit hochfahren zu müssen: Bedeutet: den bei Ländern und Kommunen angesiedelten Katastrophenschutz und den im Verteidigungsfall vom Bund zu leistenden Zivilschutz dementsprechend zu ertüchtigen.

Landesinnenminister Boris Pistorius hatte schon Ende Februar angesichts des russischen Angriffs auf den Ausbau des Zivilschutzes in Deutschland gepocht. „Wir müssen wieder in einen Modus, in eine Praxis zurück, wie wir sie leider bis 1990 immer aus anderen Gründen gebraucht haben und wie wir sie augenscheinlich jetzt wieder in ähnlicher Form brauchen werden“, hatte der SPD-Politiker gesagt.

Pistorius plant mehr Ausgaben für den Bevölkerungsschutz

Als Beispiele nannte er die Reaktionsfähigkeit bei Cyberangriffen auf die kritische Infrastruktur, Mangellagen bei Treib- und Brennstoffen sowie Versorgungsengpässe durch Sanktionen. Investiert werden müsse unter anderem in Sirenen zur Warnung der Bevölkerung, Notstromaggregate, Fahrzeuge, Zelte zur Notunterbringung, Trinkwassernotversorgung, Sanitätszüge, mobile Sanitätseinrichtungen oder Ersatz-Kommunikation wie Satellitentelefone. In diesem Zusammenhang kündigte Pistorius ein „Ad-hoc-Paket“ des Landes an, das „sowohl planerische als auch technische Maßnahmen zur Stärkung des Zivil- und Katastrophenschutzes im Angesicht der neuen Lage“ vorsieht. Dafür könnten auch zusätzliche finanzielle Mittel bereitgestellt werden, hieß es da.

Nach dem Ende des Kalten Krieges habe man sich an eine friedliche Welt gewöhnt, und damit einhergehend sei das Gefahrenbewusstsein gesunken, erklärte Pistorius. Viele Menschen seien es nicht mehr gewohnt, mit Gefahren umzugehen – das habe sich zuletzt auch schon bei Katastrophen wie Starkregen und Überflutungen gezeigt.

FDP-Politiker Kuhle fordert mehr Kompetenzen für den Bund

Die Frage, die sich vermutlich viele Menschen stellen: Wenn die Warnung vor tagelangen Regenfällen, wie im Sommer 2021 geschehen, in Flut-Katastrophen mit Hunderten Toten endet, wie soll dann die Abwehr einer ständigen Bedrohungslage wie die eines Krieges gemeistert werden?

Für den Göttinger Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle (FDP) kann die Konsequenz daraus nur die verbesserte Zusammenarbeit beim Zivil- und Katastrophenschutz der Behörden aus Bund und Ländern sein. Schon die Flut im Ahrtal habe gezeigt, dass dieses Thema in Deutschland nicht länger vernachlässigt werden dürfe, erklärte er gegenüber unserer Zeitung. Kuhle, stellvertretender Fraktionschef und Mitglied des Ausschusses für Inneres und Heimat, fordert ein Umdenken, auch in den Behörden. „Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) muss nach dem Vorbild anderer Behörden, etwa des Bundeskriminalamtes, mit einer Zentralstellenfunktion ausgestattet werden. Damit könnte der Bund zusätzlich Aufgaben bei der Koordinierung und Schwerpunktsetzung übernehmen.“ Allzu oft, so Kuhle, verteidigten staatliche Ebenen bloß bestehende Strukturen und seien nicht bereit für echte Veränderungen.

Den Vergleich mit dem Bundeskriminalamt (BKA) wählte Kuhle wohl bewusst. Was bei der Kriminalitätsbekämpfung funktioniere, könne auch dem Katastrophenschutz dienlich sein, so vermutlich die Überlegungen des Innen- und Rechtsexperten. Eine BKA-Sprecherin erklärt den Sinn der Schaffung einer übergeordneten Behörde mit sogenannter „Zentralstellenfunktion“, die auch Kuhle als wünschenswert betrachtet. Man sei nicht die „Oberpolizei“ in Deutschland, sondern die Länder seien zuständig, sagt sie. „Aber wir als BKA sammeln Informationen, speichern sie zentral und spielen diese bei Anfragen in die Länder zurück. Zudem sind wir Ansprechpartner für europäische und internationale Polizeibehörden“, erklärt sie. Die Erkenntnis sei bereits in den 1950er Jahren gereift, dass sich Täter nicht an Ländergrenzen, schon gar nicht an Bundesländergrenzen orientierten, so die Sprecherin. Auch Naturkatastrophen tun das oftmals nicht.

So könnte das THW in Katastrophenfällen eingesetzt werden

Das Technische Hilfswerk in Niedersachsen, mit ihren Ortsgruppen stets dort, wo es nicht nur brennt, sondern manchmal auch das Wasser bis zum Hals steht, beschreibt den Bevölkerungsschutz in Deutschland als „integriertes Hilfeleistungssystem“ zwischen den Behörden des Bundes und der Länder. Sprecherin Sabine Rittershaus erläutert: Dem Prinzip des Doppelnutzens folgend, können für den Zivilschutz in Bundeskompetenz die Kräfte des Katastrophenschutzes der Länder genutzt werden. Im Zivilschutz baut der Bund auf den Katastrophenplänen und Vorsorgemaßnahmen der Länder und Kommunen aus dem Katastrophenschutz auf. Als Pläne für den Zivilschutz kann man also die Summe aller Vorsorgemaßnahmen im Katastrophenschutz bezeichnen.“

Vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen russischen Überfalls auf die Ukraine richte sich der Blick der Bundesregierung auch auf eine „Gesamtverteidigung der Bevölkerung“, die neben der militärischen auch die zivile Verteidigung beinhalte. Hier könnte das THW seine erworbenen Fähigkeiten durchaus einbringen. Sie seien nicht nur im Falle von Naturkatastrophen und anderen Lagen „einschlägig“, sondern auch im Verteidigungsfall. Dazu zähle das Bergen und Retten, die Notversorgung, die Notinstandsetzung und Führungsunterstützung. Unter letztgenanntem Punkt versteht das THW unter anderem die Einrichtung von Krisenstäben oder das Erkunden von Notunterkünften.

Bunker-Betrieb seit 2007 eingestellt

Die Entscheidung, wo wir in Deutschland Schutz suchen, wenn, Gott bewahre, wieder Bomben fallen sollten, hat uns das BBK abgenommen. Die oberste Behörde beim Bevölkerungsschutz hatte 2007 beschlossen, Investitionen in den Erhalt von Luftschutzbunkern einzustellen. Das Szenario eines konventionellen Krieges schien „nicht mehr zeitgemäß“, hieß es aus dem BBK. Statt Bunker aufzusuchen, schreibt die Behörde, solle man bei einem Angriff in einen innen liegenden Raum mit möglichst wenigen Außenwänden gehen. Noch besser: in U-Bahn-Stationen.

Die Zeiten ändern sich, so wie jahrelange Gewissheiten.