Braunschweig. Goldene Kuppeln, bleiernes Schweigen. Putins Überfall ist in den Kirchengemeinden ein heikles Thema. „Bitte schreiben Sie nicht meinen Namen!“

Der Priester ist aufgeregt. „Es ist für uns alle… wie soll ich sagen? Es ist eine Wunde.“ Alle verstünden das in der Gemeinde, die irgendwo in Deutschland zu Hause ist, alle Russen, Ukrainer, Weißrussen, Kasachen… Gemeinsam versuchten sie, einander Halt zu geben. Trotz der furchtbaren Nachrichten aus der Ukraine. Oder gerade deswegen. „Es zerreißt uns das Herz.“ Der Priester sagt, er habe Verwandte in der Ukraine. Der Priester sagt, die verfluchten Waffen seien das Problem. Und zum Schluss sagt er: „Bitte schreiben Sie nicht meinen Namen.“

Der Satz fällt immer wieder in Gesprächen zu der Frage, wie die russisch-orthodoxen Gemeinden in Deutschland mit dem Thema Krieg umgehen. Eine Frau sagt mit bebender Stimme ins Telefon: „Das ist alles so schrecklich, ich möchte öffentlich nichts dazu sagen“. Und aus der großen, für Gläubige weit und breit attraktiven russisch-orthodoxen Community in Gifhorn heißt es: „Die Gemeinde hält zusammen, trotz des Krieges. Wir beten für den Frieden, Krieg ist immer schlecht“, Der Priester dieser Gemeinde möchte öffentlich übrigens gar nicht „darüber“ sprechen, wie sein Sohn am Telefon kurz mitteilt.

Frieden ist gut, Krieg ist schlecht – das leuchtet allen ein. Aber was ist mit der Schuldfrage? Kann man die wirklich ausklammern? Dazu sagt der anonyme Priester einen echten Priester-Satz: „Wenn man mich fragt, auf welcher Seite ich stehe, dann sage ich: ,Ich stehe auf der Seite von Jesus Christus‘.“

Öffentlich äußern würde er sich über diesen Krieg nur, wenn „Metropolit Mark“ das erlaube. Nun, das wird so schnell nichts werden, denkt man nach eiliger Recherche zu diesem Herrn, der mit weltlichem Namen Michael Arndt heißt, aus Chemnitz stammt und seit 1982 der höchste religiöse Würdenträger der russisch-orthodoxen Kirche in Deutschland ist. Er lebt in einem Kloster in Bayern und erregte 2020 viel Unmut durch ein Sendschreiben, in dem der Ausbruch der Corona-Pandemie mit der notorischen Missachtung des „gottgegebenen Unterschieds zwischen Mann und Frau“ in Zusammenhang gebracht wurde – wozu Lars Castellucci (SPD) damals die witzige Bemerkung machte, dem Brief des Metropoliten liege womöglich ein Datumsfehler zugrunde: „Es handelt sich sicherlich um ein Schreiben aus dem Jahr 1020.“

Marx’ Appell an Kyrill I.

Auch wenn das Thema Orthodoxie und Krieg nicht in Konservatismus-Klischees erstickt werden sollte: Man hält sich wirklich auffallend bedeckt. Der Münchner Kardinal Marx hat jetzt den Patriarchen von Moskau, Kyrill I., dazu aufgerufen, sich beim russischen Präsidenten Putin für den Frieden einzusetzen. Doch fraglich ist nicht nur, ob der das könnte, sondern auch, ob er das wollte. Am Tag des Überfalls rief Kyrill dezidiert beide Seiten dazu auf, Zivilisten zu schützen. Er erklärte, dass die „sich vollziehenden Ereignisse“ sein Herz mit tiefem Schmerz erfüllten. Zur Schuldfrage äußerte auch er sich nicht, legte laut Medienberichten am Sonntag die bezeichnende Bemerkung nach, die Russen dürften sich nicht „von dunklen und feindlichen äußeren Kräften verhöhnen lassen“. Kompliziert ist an diesem Thema auch, dass zwar sowohl in Russland als auch der Ukraine die Mehrheit der Christen der orthodoxen Kirche angehört (in der Ukraine also 70 Prozent von 45 Millionen Menschen). In der Ukraine ist die Orthodoxie aber kein einheitlicher Block. Es existieren nebeneinander die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats und die eigenständige „orthodoxe Kirche der Ukraine“. Vor vier Jahren ließ sich das „Ehrenoberhaupt der Orthodoxie“, der Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel, davon überzeugen, diese Kirche anzuerkennen. Weshalb es in Moskau also auch einen kirchenpolitischen Grund gibt, die Ukrainer nicht zu mögen. Und in dem überfallenen Land einen „Metropoliten von Kiew und der Ukraine“ namens Onufrij, der dazu aufruft, den „Bruderkrieg“ zu beenden, aber auch betont, seine Kirche verteidige die territoriale Unversehrtheit der Ukraine…

Kirche „außerhalb der Politik“?

Was Wunder, dass man an der orthodoxen Basis in Deutschland besonders vorsichtig ist. „Wir verurteilen die Aggressionen gegen die Menschen, die dort gerade stattfinden“, sagt in Potsdam Erzdiakon Daniel Koljada der Deutschen Presseagentur. Die Gemeinde, zu der auch viele ukrainische Staatsangehörige oder ukrainisch-stämmige Deutsche gehörten, sei tief betroffen. Man wolle versuchen, „außerhalb der Politik“ zu stehen – und fürchte sich vor Aggressionen gegen Russen in Deutschland.

Schweigen, Spaltung, Furcht… Am Dienstagnachmittag erreicht man noch eine russischstämmige Frau aus einem Kulturverein unserer Region. Auch sie sagt gleich, dass sie nicht namentlich genannt werden möchte. Doch dann erzählt sie, wie eng und wie freundschaftlich die oftmals auch verwandtschaftlich geprägten Beziehungen zwischen Russen und Ukrainern in fast allen Familien ihres Umfelds seien. „Zumindest bis jetzt.“