Braunschweig. Ein Wissenschaftler erklärt, warum er Laschets Wahl-Lapsus ganz schlimm und eine Ampel-Koalition wahrscheinlich findet.

Professor Nils Bandelow ist Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Braunschweig. Die Berichterstattung über die Bundestagswahl hat ihn in mehrerlei Hinsicht erschüttert.

Herr Professor Bandelow, Sie haben vor den Wahlen eine aufwendige Umfrage konzipiert, die auch bestimmte Wahlergebnisse vorhergesagt hat. Wie ist Ihr Fazit?

Was die Kommunalwahl angeht, haben wir ja tatsächlich bei allen neun Bürgermeister- bzw. Landratsentscheidungen in der Region Recht behalten. Allerdings war es in Helmstedt sehr knapp – knapper, als wir das erwartet hatten.

Alle Neune also, herzlichen Glückwunsch!

Danke. Wenn die Fragestellung einfach ist, dann ist so eine Vorhersage durchaus möglich. So etwas wie Prozentzahlen in Stadträten kann man auf unsere Weise nicht prognostizieren. Und ich war von vornherein der Meinung, dass unsere Befragung mit Blick auf die Kommunalwahlen verlässlicher ist als mit Blick auf die Bundestagswahl.

Trotzdem nun zur Bundestagswahl: Was haben Sie am Sonntag gedacht, während all die Wahlsendungen liefen?

Ich war zwischendurch doch etwas erschüttert von der Naivität mancher Spitzenpolitiker. Über Laschets Desaster mit dem Wahlschein kam ich nicht so leicht hinweg. Darüber darf man sich als Politikwissenschaftler auch mal aufregen! Wir haben ein Wahlgeheimnis – mit guten Gründen. Wenn Putin das gemacht hätte… Eigentlich finde ich das sogar schlimmer als das Lachen bei der Flut. Da ist Laschet überrascht worden, das waren womöglich unklare Umstände. Aber im Wahllokal ist gar nichts unklar, das ist eine inszenierte Aktion. Bestimmt hat er mit seiner Frau vorher darüber gesprochen, wie das abläuft. Derlei darf einem Spitzenpolitiker einfach nicht passieren. Er hat eine Vorbildfunktion. Sie merken: Ich bin wirklich empört.

Sie erwähnten aber die Naivität „mancher“ Spitzenpolitiker. Wer kam Ihnen noch naiv vor?

Ich finde es schon erstaunlich, dass die FDP eine Art offizielles Nachwahl-Foto entstehen lässt, auf dem nur Männer zu sehen sind, die einander auch noch recht ähnlich sehen. Das ist merkwürdig ungeschickt nach einer Wahl im 21. Jahrhundert. Aber auch von der Spitzenkandidatin der Grünen bei der Berlin-Wahl war ich überrascht: so viel Emotionalität, so viel Siegessicherheit angesichts völlig unklarer Prognosen – irritierend. Das war ein markanter Gegensatz zu der professionell distanzierten Reaktion von Olaf Scholz. Er hat sich so gegeben wie einer, den man aufs internationale Parkett schicken kann.

Alle Welt spricht seit Sonntagabend von der Ampel-oder-Jamaika-Konstellation für Deutschland. Was sagen Sie?

Eigentlich ist die Lage recht klar. Fast alles spricht für eine Ampel-Koalition unter Scholz. Die hauptsächliche Einschränkung scheint ja zu sein, dass niemand weiß, was Christian Lindner macht. Aber ich möchte es fast ausschließen, dass es sich die Grünen erlauben können, Laschet zum Kanzler zu wählen. Das wäre eigentlich das Ende der Grünen. Die sind gewählt worden von Menschen, die von Leuten wie Rezo beeinflusst wurden. Für die ist die CDU das Feindbild schlechthin. Das junge Milieu, das sich für die Grünen entschieden hat, ist mehrheitlich Laschet-feindlich. Und das Milieu, das sich für die FDP entschieden hat, ist mehrheitlich nicht Lascht-freundlich. Damit will ich sagen: Es zerreißt die FDP nicht, wenn sie Olaf Scholz ins Kanzleramt verhilft. Vielleicht zerreißt es sie sogar eher, wenn sie wieder nicht mitmacht beim Regieren.

Würde ein Bündnis mit den Grünen und der FDP – nach dieser Wahl! - nicht auch für die Union eine Zerreißprobe?

Tja. Wahrscheinlich müssen sie jetzt sagen, dass Sie wirklich eine Jamaika-Koalition verhandeln wollen. Für Laschet ist damit ja auch verbunden, dass sich der Tag der Abrechnung verzögert. Die Union geht ja traditionell gnadenlos mit Wahlverlierern um. Entscheidend ist wohl jetzt, dass sowohl die Grünen als auch die FDP sich bald zusammensetzen und darüber sprechen, welches ihre Preisschilder sind. Die FDP legt Wert auf das Finanzministerium und die Steuerpolitik. Und die Grünen haben eine Expertin für Völkerrecht, die sich vielleicht als Außenministerin sieht. Robert Habeck könnte dann ein Klimaministerium führen, das um viele Bereiche wie Landwirtschaft ergänzt wird. Die SPD bekäme dafür das Innenministerium…

Ich habe fast das Gefühl, Sie könnten zackig so ein Bundeskabinett zusammenstellen.

Ja, eigentlich ist das gar nicht so furchtbar schwierig.