Braunschweig. Die Braunschweiger Geologie-Professorin Antje Schwalb findet, von den Klimaprotesten von Fridays For Future könnten sich Ältere etwas abgucken.

Wie kalt war es vor 13.000 Jahren? Derlei weiß Prof. Antje Schwalb. Auch zu den heute virulenten Klimathemen hat die Geologie-Professorin eine klare Ansicht. Wir trafen sie in ihrem Büro an der TU Braunschweig.

Der Klimastreik in Wolfenbüttel zog circa 500 Teilnehmende an.

Als Sie begannen, sich mit Geologie, Geoökologie und Klimageschichte zu befassen, war das sicher ein Nischenfach. Hätten Sie je gedacht, dass die Frage, wie sich erdgeschichtlich das Klima entwickelt hat, derartig in die Mitte der Debatten rücken würde?

Eigentlich schon. Als in den 80er Jahren die Klimadebatte so richtig losging, wurde der Blick bald auch verstärkt auf das Klima der Vergangenheit gerichtet. Und mir persönlich ist eigentlich seit Ende der 80er Jahre, Anfang der 90er Jahre klar: Wir bekommen ein Riesenproblem. Dieses Problem ist „menschengemacht“. Es geht einfach nicht so weiter. Aber die Debatte war oft wirklich furchtbar – und deshalb finde ich heute auch so viele Diskussionen ermüdend. Erinnern Sie sich daran, was los war, als das bleifreie Benzin eingeführt wurde? Und siehe da: Wir haben es überlebt. So wie auch das Verbot von FCKW-Kühlschränken 1991. Man müsste das doch mal einsehen: Wir können uns schnell an neue Rahmenbedingungen gewöhnen – eigentlich…

Der Blick aus dem Hubschrauberfenster zeigt - noch - unversehrten Regenwald im Osten des Kongos.
Der Blick aus dem Hubschrauberfenster zeigt - noch - unversehrten Regenwald im Osten des Kongos. © dpa | Ulrike Koltermann

Sie sagten soeben „menschengemacht“. Aber Sie erforschen die Geschichte von Klimaveränderungen und sind insofern prädestiniert für die Erörterung des Arguments „Alles halb so wild – Klimawandel hat‘s immer gegeben…“

Ja, die Paläoklimatologie ist einer meiner Schwerpunkte. Wir wollen aus der Vergangenheit lernen, welche Klimavariabilität es gibt. Wie groß ist die Bandbreite, wie schnell traten welche Änderungen auf, wie hat sich das Ökosystem angepasst? Und wenn es heißt „Es war doch auch schon mal zehn Grad wärmer“, dann sage ich: Ja, wenn wir ein paar Millionen Jahre zurückgehen. Aber so etwas wie das Tempo, in der die Erderwärmung derzeit vor sich geht, hat es noch nie gegeben. Es ist vor 13.000 Jahren mal in 30 Jahren 7 Grad kühler geworden, aber das kann man nicht gut vergleichen. Und als es vor ein paar Jahren hieß „Das ist bloß die normale Sonnenaktivität“, da war das leider auch falsch. Völlig falsch sogar. Denn dann ist die Sonnenaktivität natürlicherweise wieder zurückgegangen – die Temperaturen stiegen weiter an. Nein, es ist der Mensch. Wir verursachen diese Erwärmung.

Sie berichten, dass es Ihnen und den meisten Wissenschaftlern schon länger klar ist, wie bedrohlich die Tendenz ist. Wünschen Sie sich heute, dass Sie die Probleme offensiver thematisiert hätten?

Ja, heute ist dank der Fridays-for-Future-Bewegung vieles in Bewegung gekommen. Für unsere Generation ist das ganz schön peinlich. Auch deshalb unterstütze ich – zum Beispiel hier an der Universität – die Nachhaltigkeitsinitiative und diesbezügliche Veranstaltungen. Wobei sich aber natürlich wieder das Problem stellt: Wer macht denn mit? Es sind ja ohnehin die, die kaum überzeugt werden müssen.

Und was sagen Sie an dieser Stelle den anderen, den Skeptischen?

Wir müssen uns entscheiden, welche Rolle wir spielen wollen. Wollen wir als eine der reichsten Industrienationen klimapolitisch vorangehen? Wir wissen es doch: Neue Technologie wurde oft aus Krisen geboren. Der Innovationsdruck muss hoch sein. Ich höre es auch nicht gern, wenn gesagt wird, dass wir „nur“ einen Anteil von zwei Prozent an den Emissionen haben. Nein, wir müssen ein Beispiel geben und dann Verbündete suchen. Der Klimawandel könnte überhaupt ein Anlass sein, die internationale Zusammenarbeit ganz grundsätzlich zu verbessern. Die Weltgemeinschaft muss zusammenrücken. Aus einem Problem würde eine Möglichkeit. Aber dafür wäre es wichtig, dass die Politik die Expertise aus der Wissenschaft ernsthafter einbezieht. Es gibt so viel wichtige Forschung zu diesen Themen. Auch viele große Projekte, zum Beispiel unser Tibet-Projekt.

Was hat es damit auf sich?

Das ist ein Graduiertenkolleg, international und interdisziplinär aufgestellt. Das läuft seit 2018. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert es, derzeit bereiten wir den Fortsetzungsantrag vor. Es geht um den Klimawandel und seine Auswirkungen auf dem Tibet-Plateau. Diese Hochebene reagiert besonders empfindlich, dort ist die Temperatur wesentlich stärker angestiegen als im globalen Durchschnitt. Es gibt dort riesige Eismassen, weshalb man das Plateau auch als „dritten Pol“ bezeichnet.

Dieses Eis taut, die Gletscher ziehen sich zurück. Unsere Frage ist unter anderem: Was können wir von den Tibetern vor Ort lernen, wie bereiten die sich vor, wie gehen die damit um? Und die folgenden Fragen sind ja dort wie auch anderswo: Was tun die Menschen, die durch Klimaveränderungen ihre Lebensgrundlage verlieren? Sie machen sich auf den Weg. Wo gehen diese Menschen hin? Und da sage noch einer, wir seien ja nicht so direkt betroffen…

Wie umstritten sind solche Gedanken in der Forschungsszene, soweit Sie sie überblicken?

Ja, es gibt einige Kollegen, die kritisch sind bezüglich der Annahme eines „menschengemachten Klimawandels“. Das ist natürlich völlig in Ordnung. Kritik ist wichtig und hilft uns, die eigenen Argumente zu hinterfragen. Das ändert aber nichts daran, dass die Grundlinien auch dessen, was ich jetzt hier sage, von der überwältigenden Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen so gesehen werden. Wir brauchen gewaltige Veränderungen – und zwar sehr bald. Das kann man übrigens von China lernen, wie schnell bestimmte Dinge umzusetzen sind. Ich arbeite seit 2004 mit Chinesen zusammen und kann nur sagen: Bei deren Tempo bleibt einem immer wieder der Atem weg.

Nun pfeift aber das China, zumindest wie es meinen Klischees entspricht, genau auf diese Nachhaltigkeitsfragen, die Ihnen wichtig sind, oder?

Das ist so nicht mehr wahr. Die Chinesen haben durchaus eingesehen, dass sie etwas ändern müssen, da bewegt sich was. Ich sage es mal so: Jedes Land hat sein Tempo. Jedes Land hat seine Umweltprobleme in Bezug auf die jeweilige wirtschaftliche Entwicklung. Und wir, gerade wir sollten uns besonders anstrengen, uns schnell zu verändern.

Viele Menschen hören all dies aber nicht gern, sei es, weil es unangenehm ist, ein schlechtes Gewissen zu haben, sei es, weil sich niemand gern von Schülern belehren lässt…

Nun ja: Es geht doch den meisten hier ganz gut, oder? Vieles, was wir haben, brauchen wir gar nicht unbedingt. Ich habe mitunter auch ein schlechtes Gewissen, wenn ich mit meinem Auto herumfahre. Wir haben ein Haltungsproblem. Wir müssen selbstkritischer werden, auch demütiger, brauchen mehr Mut und auch Demut. Nicht immerzu die Dinge schönreden, übrigens auch nicht alle Themen personalisieren, das stört mich sehr oft. Manchmal mag das vielleicht sogar ein Ausdruck von Hilflosigkeit sein. Wir müssen uns schon um die Inhalte kümmern, nicht nur um Köpfe, Regularien und mögliche Einwände. Und an den demonstrierenden Schülern finde ich zunächst einmal sehr gut, dass sie mit so einer gesunden Naivität an die Sache rangehen. Davon können wir uns etwas abschauen. Denn die Frage ist: Wie dick muss es eigentlich noch kommen, bis wir uns von fossilen Energieträgern wirklich trennen und den Blick nach vorne wagen? Ich sage es mal so: Die Erde kommt auch gut ohne uns klar.