Braunschweig. Niedersachsen hat die Corona-Studie mit anderen Ländern in Auftrag gegeben. Das Ergebnis ist eindeutig, doch die Studie hat Schwächen.

Ähnlich wie die Gastronomie und die Hotellerie leiden Verkehrsbetriebe ganz besonders unter der Corona-Krise: Busse und Bahnen sind deutlich leerer seit Beginn der Pandemie – teils weil Pendler und Schüler zu Hause arbeiten und lernen, teils, weil sie öffentliche Verkehrsmittel ganz einfach aus Angst vor einer Infektion meiden. Forscher der Berliner Charité haben nun die Sicherheit von Bussen und Bahnen untersucht und kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Infektionsgefahr im öffentlichen Nahverkehr ist nicht größer als etwa im eigenen Auto.

Es muss gesagt werden, dass es sich um eine reine Auftragsstudie handelt. Elf Bundesländer haben sich beteiligt, darunter Niedersachsen. Auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) war Initiator. Sie beauftragten gemeinsam die Charité Research Organisation, um wieder für mehr Vertrauen in Bus und Bahn zu sorgen. Das Institut ist ein Tochterunternehmen der Charité und führt vor allem klinische Studien durch.

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Wie ist die Studie aufgebaut?

Die Experten verglichen das Ansteckungsrisiko von Pendlern in Bussen und Bahnen mit dem von Menschen, die regelmäßig mit dem Auto, Motorrad oder Fahrrad unterwegs sind. Bereits seit dem Frühjahr 2020 gilt für den Nahverkehr eine Maskenpflicht.

Über fünf Wochen wurden seit Februar insgesamt 681 freiwillige Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Alter von 16 bis 65 Jahren im Gebiet des Rhein-Main-Verkehrsverbundes begleitet. Der Verkehrsverbund wurde ausgesucht, weil er mit seinem Mix aus Großstädten und ländlichen Räumen besonders repräsentativ für die Nahverkehrsnutzung in Deutschland ist.

Alle 681 Teilnehmer der Studie wurden in zwei annähernd gleich großen Gruppen aufgeteilt und zu Beginn und am Ende der fünf Wochen auf Antikörper getestet – ein Zeichen für eine durchgemachte Corona-Infektion.

Was ist das Ergebnis?

Bei ungefähr gleich vielen Teilnehmern in jeder der beiden Gruppen wurden Corona-Antikörper nachgewiesen. Im öffentlichen Nahverkehr waren 325 Probanden unterwegs, von denen 12 im Anschluss positiv getestet wurden. Im Individualverkehr waren es 314, von denen 14 positiv waren.

Daraus schließen die Autoren, dass das Infektionsrisiko im Alltag mit der Nutzung des ÖPNV nicht steigt. Einige Probanden waren während der Studie ausgeschieden, etwa weil sie geimpft wurden.

Hat die Studie Schwächen?

Das Ergebnis ist sehr eindeutig und weist grundsätzlich darauf hin, dass der öffentliche Nahverkehr kein wesentliches Infektionsrisiko darstellt. Vorausgesetzt natürlich, die Fahrgäste halten sich diszipliniert an das Tragen einer Maske.

Das Ergebnis dürfte für die meisten Pendler, die auf Bus und Bahn angewiesen sind, beruhigend sein. Doch die Studie hat Schwächen. Der Teilnehmerkreis mit 681 Probanden ist nicht valide genug. Außerdem sind Busse und Bahnen derzeit nicht so ausgelastet wie vor der Pandemie. Im Rhein-Main-Verkehrsverbund lag die Auslastung der Busse und Bahnen im Untersuchungszeitraum nur bei durchschnittlichen 47 Prozent. Der Untersuchungszeitraum ist mit fünf Wochen auch relativ kurz.

Die Forscher untersuchten auch nicht, ob sich diejenigen, die im ÖPNV unterwegs waren und sich in dieser Zeit angesteckt hatten, auch tatsächlich in Bus oder Bahn infiziert hatten. Der Infektionsort ist in der Regel auch nur schwer feststellbar, auch das Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlicht zwar eine Statistik zu den Ausbruchsorten, jedoch sind sie in der Mehrheit der Fälle unbekannt.

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Was sagt Niedersachsens Verkehrsminister Althusmann?

Niedersachsens Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) geht mit der Studie sehr offensiv um. Niedersachsen hatte sich mit 177.000 Euro an der Finanzierung der 2 Millionen Euro teuren Untersuchung beteiligt. Althusmann sagte: „Die Ergebnisse der Studie, die auf die Situation in Niedersachsen übertragbar sind, belegen eindeutig, dass kein höheres Infektionsrisiko bei der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel besteht.“

Gleichzeitig würden die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die „sorgfältigen Infektionsschutzmaßnahmen der Verkehrsunternehmen und die staatlichen Schutzvorgaben wie die Maskenpflicht“ im ÖPNV wirksam seien. „Das schafft Sicherheit für alle, die auf die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sind“, sagte Althusmann. „Keiner muss Sorge vor einer Infektion haben, wenn er Bus und Bahn nutzt. Ich hoffe sehr, dass die neuen Erkenntnisse dazu beitragen, in den nächsten Wochen immer mehr Fahrgäste für den ÖPNV zurückzugewinnen“, so der Minister.

Was sind weitere Reaktionen?

Holger Kloth, Landesgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, begrüßt die Studie. Es ist ja sein Verband, der die Studie zusammen mit den Ländern in Auftrag gegeben hat. Kloth versichert, dass die Verkehrsunternehmen in Niedersachsen weiterhin alles dafür tun würden, damit sich die Fahrgäste in Bus und Bahn nicht anstecken. So hätten viele Verkehrsbetriebe nach dem Ausbruch der Pandemie noch einmal ganz besonders in die Klima- und Lüftungsanlagen der Busse und Bahnen investiert. „In vier Minuten ist die Luft komplett ausgetauscht“, so Kloth. Er wünsche sich eine sachlichere Diskussion. „Es stimmt einfach nicht, dass sich die Leute im ÖPNV mehr als anderswo infizieren.“ Das zeige die Studie eindeutig. Kloth sagte aber auch: „Mir ist natürlich klar, dass die Leute nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Bauch entscheiden.“ Es gelte, weitere Überzeugungsarbeit zu leisten.

So sieht es auch Ralf Sygusch, Direktor des zuständigen Regionalverbands Großraum Braunschweig und zugleich Chef des Verkehrsverbunds Region Braunschweig, in dem sich 19 Verkehrsbetriebe zwischen Harz und Heide zusammengeschlossen haben und ein einheitliches Tarifsystem anbieten. Er sagte: „Wir hoffen, dass die Menschen das Ergebnis der Charité-Studie erreicht. Und wir hoffen, dass die Fahrgäste bald wieder in alter Zahl zurückkommen werden.“

Wie lautet das Fazit?

Es handelt sich um die erste Studie dieser Art für den öffentlichen Nahverkehr. Sie war längst überfällig. Die Charité ist eine Institution, die Ergebnisse sind eindeutig. Das dürfte viele Zweifler, die in den letzten Monaten lieber mit dem eigenen Auto oder mit dem Fahrrad gefahren sind, beruhigen. Die Studie hat aber Schwächen. Sämtliche Zweifel an der Sicherheit von Bus und Bahn sind nicht ausgeräumt.