Braunschweig. Peines Landrat Einhaus reiht sich ein in die Liste von OBs, Klinik-Chefs und Polizisten. Die Kritik ist riesig.

Nun also auch Peines Landrat Franz Einhaus und der Erste Kreisrat Henning Heiß (beide SPD). Sie haben sich wie Peines Klinikchef Wolfgang Jitschin, dessen Assistentin und dessen Sekretärin bereits vor chronisch Kranken, Über-80-Jährigen und Pflegekräften impfen lassen. Weil Impfstoff knapp ist, gibt es eine strikte Reihenfolge für Immunisierungen. Doch ausgerechnet so mancher Klinikchef und einige wenige Lokalpolitiker halten sich nicht daran.

Im ostfriesischen Klinik-Verbund Aurich-Emden-Norden ließen sich neben Verwaltungsangestellten auch ein Geschäftsführer vor Ärzten und Pflegekräften impfen. An einer Klinik in Wittmund ließ sich ebenfalls ein Geschäftsführer impfen, wie der Landkreis am Freitag nach Medienberichten bestätigte. An einer Klinik in der Region Hannover nahmen zwei leitende Angestellte ohne Kontakt zu Corona-Patienten hausinterne Impftermine wahr, wie der NDR am Freitag berichtete.

Parteifreund Pantazis verurteilt Einhaus‘ Impfung scharf

Auch im benachbarten Sachsen-Anhalt häufen sich solche Fälle. So sind im Landkreis Stendal schon mehr als 300 Polizisten immunisiert worden, ebenso der Oberbürgermeister von Halle, Bernd Wiegand (parteilos) sowie zehn Stadträte. Auch der Landrat von Wittenberg, Jürgen Dannenberg (Linke), und sein Stellvertreter Jörg Hartmann (CDU) sollen schon geimpft worden sein. Kritik kam prompt aus dem Gesundheitsministerium Sachsen-Anhalts.

In Niedersachsen ist die Kritik ebenso groß. Einhaus’ Parteifreund Christos Pantazis verurteilte dessen frühzeitige Impfung scharf. „Das geht so nicht. Ich habe absolut kein Verständnis dafür“, sagte der Landtagsabgeordnete und SPD-Fraktionsvize unserer Zeitung. Pantazis, der auch stellvertretender Vorsitzender des SPD-Bezirks Braunschweig ist, forderte: „Einhaus wird sich der SPD gegenüber erklären müssen.“ Der Mediziner Pantazis fürchtet, dass durch solche frühzeitigen Impfungen ein großer gesellschaftlicher Schaden entstehen könne. „Als Mensch, als Politiker und auch als Arzt bin ich sehr enttäuscht. Das Vertrauen in die Politik darf nicht erodieren“, sagte er.

Müller fordert Rücktritt

Derzeit sollen in Deutschland nur Menschen geimpft werden, die zur höchsten Prioritätsgruppe gehören, wie sie in der Bundesimpfordnung festgelegt ist. Neben Menschen über 80 Jahren, Bewohnern in Alten- und Pflegeheimen sind das Pflegekräfte und medizinisches Personal, das Covid-19-Erkrankte behandelt oder Patienten, die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben.

Wie Pantazis übt auch der Braunschweiger CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller scharfe Kritik. „Von der Selbstbedienungsmentalität des Landrates und seines Stellvertreters bin ich tief enttäuscht. Landrat Einhaus und Erster Kreisrat Heiß sind den Anforderungen an ein Führungspersonal offensichtlich nicht gewachsen“, sagte Müller per Mitteilung. Deshalb sollte eine vom Ersten Kreisrat Heiß angestrebte Wiederwahl zunächst ausgesetzt bleiben.

Auch das von Landrat Einhaus vorgebrachte Argument, dass nur er und sein Stellvertreter wichtige Entscheidungen im Katastrophenschutzfall treffen könnten, geht laut Müller komplett fehl: „Durch Vertreterregelungen ist der Landkreis Peine auch in Katastrophenschutzfällen jederzeit handlungsfähig.“ Angesichts dieses unglaublichen Verhaltens der Selbstbegünstigung stehe ohnehin in Frage, ob die beiden SPD-Politiker an der Spitze des Landkreises Peine Entscheidungsnotwendigkeiten in besonderen Gefahrenlagen überhaupt gewachsen seien, so Müller. Das kann als eine mehr oder weniger diskret formulierte Rücktrittsforderung gewertet werden. Mit Rücktrittsforderungen sah sich auch schon der Oberbürgermeister von Halle nach seiner Vorab-Impfung konfrontiert.

Städtetag: Auf Oberbürgermeister und Landräte kommt es an

Kritisch sehen das Verhalten von Peines Landrat Einhaus und den Klinik-Chefs aus Niedersachsen auch der Landkreistag und der Städtetag in Niedersachsen. Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages in Niedersachsen, wollte sich nicht weit aus dem Fenster lehnen. Einhaus ist Präsidiumsmitglied beim Landkreistag. Und doch sagte Meyer auf Anfrage: „Man mag zur Impfverordnung des Bundes stehen, wie man will, eine Vorab-Impfung von Landräten sieht sie aber nicht vor. Die Impfverordnung ist eindeutig, das muss man akzeptieren.“ Andererseits sollten Impfstoff-Dosen auch nicht verfallen. „Wie man mit den Impfresten umgeht, muss man vor Ort entscheiden“, sagte Meyer.

Jan Arning, der Hauptgeschäftsführer des Städtetags in Niedersachsen, hebt hervor, dass nicht nur Kanzlerin Angela Merkel, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und die Bundes- und Landesminister gerade ein wichtiges Corona-Management zu erledigen haben. „Auch auf Landräte und Oberbürgermeister kommt es gerade ganz besonders an“, sagte Arning auf Anfrage. Der Städtetag habe angesichts der öffentlichen Debatte um die Impf-Reihenfolge aber ganz bewusst von einer Forderung abgesehen, dass Verwaltungs-Chefs mit als erstes an der Reihe sein sollten. „Das wäre chronisch Kranken und Über-80-Jährigen wohl nicht vermittelbar gewesen“, so Arning angesichts des knappen Impfstoffs.

Einen Anspruch auf eine möglichst frühe Impfung habe deshalb auch Peines Landrat Franz Einhaus nicht gehabt. Wie Meyer vom Landkreistag meint auch Arning, dass es schlecht sei, Impfstoffreste einfach in die Tonne zu werfen. Allerdings sei auch das kein Freibrief für Landräte, Oberbürgermeister und Klinik-Chefs in Niedersachsen und anderswo.

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