30 Häftlinge in Niedersachsen haben sich bereits mit Corona infiziert. Auch in Psychiatrischen Einrichtungen ist die Sorge vor Ausbrüchen groß.

In diesen besonderen Zeiten wird viel über Einrichtungen wie Altenheime, Schulen, Kindergärten und natürlich Krankenhäuser berichtet. Was gut und auch richtig ist. Was mir fehlt: Wie geht es den Menschen in Gefängnissen, Psychiatrien und Forensischen Kliniken? Meiner Kenntnis zufolge bestehen oft keine Besuchsmöglichkeit – auch in psychiatrischen Einrichtungen wie dem Awo-Zentrum in Königslutter. Man kann zwar anrufen, aber die Patienten können nicht telefonieren, sie haben keinen Zugang zu ihren Handys. Ich erinnere mich, dass im Frühjahr die Kontaktmöglichkeiten gelockert wurden, aber wie ist es jetzt?

Das fragt unsere Leserin Helga Laeseke aus Braunschweig

Zu dem Thema recherchierte Dirk Breyvogel

Der Anregung der Leserin kommen wir gerne nach, ohne jedoch zunächst auf die unterschiedlichen Zuständigkeiten und damit auch geltenden Verordnungen zu verweisen. Sie bestehen trotz aktueller Pandemie-Erlasse grundsätzlich weiter. So gelten für Personen, die in niedersächsischen Justizvollzugsanstalten (JVA) Strafen verbüßen andere Regeln als für Menschen, die beispielsweise wegen Eigen- oder Fremdschutzes in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht sind. Für Personen im Maßregelvollzug, die sich auf Grundlage eines richterlichen Beschlusses in einer forensischen Klinik befinden, sind wiederum andere Bestimmungen maßgeblich. Für sie ist das niedersächsische Maßregelvollzugsgesetz bindend. Politische Verantwortung trägt für die beiden letztgenannten Gruppen das von der SPD in Niedersachsen geführte Sozialministerium, während das Justizministerium unter Leitung der CDU-Politikerin Barbara Havliza für die Gefängnisse zuständig ist.

Wie ist die Corona-Lage in Niedersachsens Gefängnissen?

Das Landesjustizministerium lässt durch seinen Sprecher Hans-Christian Rümke unserer Zeitung mitteilen, dass seit Beginn der Pandemie 30 Corona-Infektionen in niedersächsischen Gefängnissen gemeldet wurden, keine wurde in der JVA Wolfenbüttel beziehungsweise in deren Abteilung in Braunschweig registriert (Stand 13. Januar). Schwere Verläufe habe es demnach nicht gegeben. Das Ministerium erklärt hierzu, dass in Fällen schwerer Covid-Verläufe Häftlinge in ein externes Krankenhaus eingeliefert würden, da eine intensivmedizinische Betreuung in den Gefängniskliniken nicht leistbar sei. Zu den Infektionsfällen erklärt Rümke: „Vier Gefangene aus Einrichtungen des offenen Vollzugs haben sich im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung infiziert. Mehrere andere wurden bereits bei ihrer Neuaufnahme positiv auf das Virus getestet und isoliert. Darüber hinaus hat es fünf Erkrankungsfälle im Rahmen von jugendrechtlichen Arresten gegeben. Zwei Gefangene aus dem offenen Vollzug sind erkrankt aus einem kurzen Weihnachtsurlaub zurückgekehrt.“

Aktuell nehmen niedersächsische Gefängnisse wieder Häftlinge auf. Mittlerweile würden laut Ministerium auch alle vormals aufgeschobenen Freiheitsstrafen wieder vollstreckt. Neuankömmlinge werden 14 Tage isoliert und bei Aufnahme auf Corona getestet. Ist auch ein zweiter Test negativ, können sie in andere Bereiche der Haftanstalt verlegt.

Was passiert mit Corona-Infizierten?

Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) (Archivbild).
Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) (Archivbild). © dpa | Julian Stratenschulte

Infizierte Gefangene und Gefangene mit begründetem Infektionsverdacht werden umgehend in Quarantänebereichen isoliert und dem örtlich zuständigen Gesundheitsamt gemeldet, erklärt das Justizministerium. Das weitere Vorgehen werde zwischen Justizvollzugsanstalt und Gesundheitsamt eng abgesprochen. Die erforderlichen Schutzmaßnahmen würden, wie durch das Robert-Koch- Institut empfohlen, durchgeführt. Mit dem Blick auf den Schutz der Bediensteten führt Sprecher Rümke aus: „Das Hygienekonzept der Justizvollzugsanstalten in Niedersachsen sieht in bestimmten Szenarien auch die Verwendung von FFP2–Masken vor, zum Beispiel beim Umgang mit Neuzugängen wenn kein ausreichender Abstand gehalten werden kann – oder im Kontakt mit Verdachtsfällen und Infizierten. Zur Schutzausstattung gehören neben diesen speziellen Masken auch Einmalhandschuhe, Schutzbrillen- und Hauben und Schutzkittel, die je nach Notwendigkeit eingesetzt werden. Diese Ausrüstung ist genügend vorhanden.“

Sind Besuche im Gefängnis erlaubt, wie ist der Freigang geregelt?

Besuche sind nach langer Einschränkung wieder möglich, sind aber abhängig von dem Infektionsgeschehen innerhalb und auch außerhalb der JVA. Größtes Risiko ist die Einschleppung des Virus von außen. Da geht es Insassen von Gefängnissen nicht anders als Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen. Daher gelten in jeder JVA neben den AHA-Regeln strenge Hygienevorschriften. So wurden in Besuchsräumen zusätzliche Plexiglas-Wände eingezogen, erläutert Ministeriumssprecher Rümke, sportliche Aktivitäten seien auf den Individualsport beschränkt. Dem Nachgehen einer Beschäftigung innerhalb der Justizvollzugsanstalt, aber auch Freigänge zur Arbeit sind wieder möglich. Zudem gilt: „Gefangene, die aufgrund der COVID-19-Pandemie wegen der Schließungen von Betrieben oder Bildungsmaßnahmen keine Vergütung erhalten haben, bekamen eine „Entschädigung“ für ihren Lohnausfall.“ Da Besuche das Risiko einer Infektion erhöhen, gibt es laut Rümke bei getätigten Telefonaten Vergünstigungen für die Gefangenen. Auch Anrufe per Sykpe (Video-Telefonie) sind vielerorts möglich.

Wie ist die Stimmung in den Gefängnissen nach Ausbruch der Pandemie?

Ministeriumssprecher Rümke spricht von einer großen Kooperationsbereitschaft in den Gefängnissen, auch Justizministerin Barbara Havliza hat diesen Eindruck gewonnen. Sie antwortet uns schriftlich auf Anfrage: „Die Pandemielage ist für alle Menschen im Land eine große Herausforderung. So haben auch die Strafgefangenen erleben müssen, wie sich ihr Leben im Gefängnis verändert. Dabei konnten wir feststellen: viele Gefangene verstehen und akzeptieren die neuen Umstände und geänderten Regeln. Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass die neuen Bestimmungen und Einschränkungen dem eigenen Schutz dienen. Es zeigt sich, gute Kommunikation ist der richtige Weg: Wir setzen darauf, Maßnahmen zu erläutern und Regeln verständlich zu machen. Eine wichtige Aufgabe des Strafvollzugs ist es ja gerade, den Gefangenen Verantwortung für ein gesellschaftliches Miteinander und das Einhalten von Regeln beizubringen. Die Gefangenen verstehen das trotz der Einschränkungen sehr gut.“

Wie ist die Situation in Psychiatrien und forensischen Kliniken?

Das Awo-Psychiatriezentrum in Königslutter ist die mit Abstand größte Einrichtung ihrer Art in unserer Region. Es bietet ambulante Behandlungen, teilstationäre Therapie in Tageskliniken sowie in Königslutter vollstationäre Behandlung in den Kliniken für Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie an – darunter fällt auch die Abteilung der forensischen Psychiatrie, die Menschen in Obhut nimmt, die für eine Straftat nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Die forensische Klinik beschreibt ihre Aufgaben wie folgt: „Bei psychisch kranken oder suchtkranken Menschen kommt es vor, dass Gutachter sie nach sorgfältiger Abwägung der Persönlichkeit und der Tatumstände als,vermindert schuldfähig’ oder ,schuldunfähig’ beurteilen. Diese Menschen werden zum Maßregelvollzug verurteilt, um fachlich mit hohen Sicherheitsvorkehrungen therapiert und resozialisiert zu werden. Die Verbindung von Therapie und Sicherheit gewährleistet einen verlässlichen Schutz der Bevölkerung.“

Was hat sich durch Corona geändert?

Die Corona-Pandemie hat auch erweiterte Regeln im Psychiatriezentrum notwendig gemacht. Das gilt sowohl für neue Bewohner als auch für Besucher. Auf der Internetseite des Zentrums (www.awo-psyciatrienzentrum.de) sind diese nachzulesen, weiter besteht auch eine Corona-Beratungshotline. Vor der Pandemie sei man ein sehr offenes Haus gewesen, erklärt Pressesprecherin Monika Hilbert- Jansen. „Jetzt gilt ein amtliches Betretungsverbot“, sagt sie. Man könne wegen Corona aktuell keine „touristischen Besuchergruppen“ durch das Haus führen, auch der Betrieb des Cafés sei derzeit eingestellt. Besuche von Bewohnern seien weiter möglich, wenn erstens die Hygieneregeln beachtet würden und zweitens dem keine richterlichen Beschlüsse entgegenstünden.

Die Besuchszahl ist laut Angaben der Awo in Königslutter auf einen Besuch am Tag beschränkt. Besucher müssen ihre Daten hinterlegen, gibt es Anzeichen auf eine Infektion, ist ein Treffen nicht möglich. Auch die Besuchsdauer ist offiziell geregelt, sie unterscheidet sich aber je nach Stationsform. Beschütze Stationen: 30 Minuten, Offene Stationen: 45 Minuten. Für die forensische Klinik müssen im Vorfeld individuelle Absprachen getroffen werden. Hier sei man mit Blick auf die Besuchsdauer auch schon mal kulant, da Angehörige oftmals eine längere Anreise hätten, erklärt Hilbert-Jansen. „Wir behandeln Menschen, die aus ganz Deutschland kommen. Einige von ihnen haben ihre Wurzeln im Ausland. Ist Besuch von Gerichtswegen gestattet, wäre es ein falsches Signal, Angehörige nach 30 Minuten wieder wegzuschicken“, sagt sie. Diese Regelung habe aber auch schon vor Corona gegolten.

Müssen neue Bewohner zunächst in Quarantäne?

Ja. Nach der Aufnahme und einem Corona-Test gilt eine sechstägige Isolation. Dafür gibt es eingerichtete Aufnahmestationen, die aber nicht die forensische Abteilung miteinschließen. Nachdem über Wochen das Awo-Psychiatriezentrum als „covidfrei“ galt, gibt es nun laut Sprecherin Hilbert-Jansen einzelne Fälle auf den Stationen der Gerontopsychiatrie und der Allgemeinpsychiatrie.

Dürfen Bewohner die Stationen oder die Anlage verlassen?

Auch das, so Hilbert-Jansen, ist gesetzlich geregelt. Hier gelten neben richterlichen Beschlüssen im Einzelfall die Bestimmungen im Maßregelvollzugsgesetz. In diesem wird zwischen der „Ausführung“ (Ausgang innerhalb der Einrichtung), dem „Ausgang“ (außerhalb der Einrichtung), dem Freigang (um bsp. einer Arbeit nachzugehen) und dem Urlaub unterschieden. Zudem sind auf Grundlage gerichtlicher Entscheidungen Abstufungen möglich. So kann juristisch entschieden werden, dass Bewohner einzeln oder aber auch in Gruppen die Station verlassen dürfen. Auch, ob dieser Ausgang unter Aufsicht erfolgen muss, kann geregelt sein. Nach Angaben des Chefarztes der Forensischen Psychiatrie gelten trotz neuerlichen Lockdowns die Regeln, die auch schon zu Beginn der Pandemie maßgeblich den Schutz der Bewohner gewährleistet hätten.

Wie schützen sich die Mitarbeiter?

Nach Angaben der Pressesprecherin wird versucht, so engmaschig wie möglich die Angestellten im Awo-Psychiatriezentrum zu testen. Hierfür stünden Antigen-Tests zur Verfügung. „Mitarbeiter auf Stationen werden alle 14 Tage, Mitarbeiter der Verwaltung alle vier Wochen kontrolliert.“ Täglich würde zudem bei jedem Mitarbeiter vor dem Einlass Fieber gemessen.

Was sagt das Awo-Psychiatriezentrum zu den Aussagen der Leserin?

Die Leserin will nicht nur wissen, wie Einrichtungen wie die in Königslutter mit Corona umgehen, sie gibt auch ihre eigenen Erfahrungen weiter. Helga Laeseke schreibt dieser Redaktion in einer Mail: „Ich unterstütze seit drei Jahren einen jungen Mann, der wegen einer Bagatellstraftat 2013 in die Forensische Psychiatrie Königslutter eingewiesen wurde. Derzeit ist er dort wegen eines Bewährungswiderrufs wieder untergebracht. Es besteht keine Besuchsmöglichkeit, man kann zwar anrufen, aber die Patienten können nicht telefonieren, sie haben keinen Zugang zu ihren Handys. Es ist für alle eine sehr belastende Situation, sowohl für die Patienten als auch für die Angehörigen. Und es sind nicht nur Mörder und Kinderschänder, die dort untergebracht sind, aber auch die müssten ein Recht darauf haben, Kontakte nach außen pflegen zu können.“ Hierzu stellt Hilbert-Jansen fest: „Selbst die Handy-Nutzung kann durch einen Gerichtsentscheid

geregelt sein. Ist der Fall von der Leserin zutreffend beschrieben, muss die Person gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben, ansonsten wäre ein Bewährungswiderruf nicht vollstreckt worden.“ Im Allgemeinen habe man nach Ausbruch der Pandemie versucht, die Möglichkeiten der Handy-Nutzung und des Telefonierens zu lockern. Über Gerichtsbeschlüsse könne man sich aber nicht hinwegsetzen.