Braunschweig. Das Fotografieren unter fremde Röcke ist künftig strafbar. Die Übergriffe sind ein gesellschaftliches Problem, erklärt eine Psychologin im Interview.

Es dauert nur wenige Sekunden: Blitzschnell hält ein Mann einer Frau sein Smartphone unter den Rock, drückt den Auslöser und fotografiert heimlich ihren Intimbereich. Upskirting nennt sich dieser Übergriff – er soll ab Herbst strafbar sein. Im Interview erklärt Ann-Kristin Hartz, Diplom-Psychologin bei der Braunschweiger Frauen- und Mädchenberatung bei sexueller Gewalt, wieso Hilfe zu suchen vielen Frauen schwer fällt, wie sie das neue Gesetz findet und warum sexualisierte Gewalt immer mit Macht zu tun hat.

Frau Hartz, ab voraussichtlich Herbst soll Upskirting strafbar sein. Frauen ungefragt unter den Rock zu fotografieren gilt ab dann als Sexualdelikt. Was halten Sie davon?

Wir als Team der Beratungsstelle für Frauen und Mädchen bei sexueller Gewalt finden das sinnvoll und begrüßen das Gesetz sehr. Denn natürlich ist Upskirting ein Übergriff und sollte bestraft werden.

Haben sich schon einmal Betroffene von Upskirting an Ihre Beratungsstelle gewendet?

Bisher nicht.

Zwei Gründe kann ich mir dafür vorstellen. Erstens, dass die Betroffenen diesen Übergriff gar nicht mitbekommen, meistens wird ja heimlich unter den Rock fotografiert. Andererseits wird Upskirting im Vergleich zu anderen Delikten vielleicht noch eher als etwas Kleines eingestuft.

Ann-Kristin Hartz von der Braunschweiger Beratungsstelle
Ann-Kristin Hartz von der Braunschweiger Beratungsstelle "trau dich", Beratung für Frauen und Mädchen bei sexueller Gewalt © Privat

Ja, das kann beides sein. Vor allem, dass die Thematik in der Gesellschaft schnell abgetan wird als etwas, das eben mal passiert und kein Grund sei, professionelle Hilfe aufzusuchen. Außerdem: Wir sind nicht immer die erste Adresse, an die sich Betroffene wenden. Viele machen Übergriffe erst einmal mit sich selbst aus oder wenden sich an die beste Freundin. Es ist eben ein schambehaftetes Thema. Betroffene wissen manchmal gar nicht, ob sie das Recht haben, sich zu beschweren oder eine Anzeige zu stellen. Sie definieren den Übergriff dann für sich als nicht so schlimm.

Wann ist denn etwas schlimm?

Das hat beim Thema sexualisierte Gewalt viel mit der Wahrnehmung der eigenen Grenzen zu tun. Was für die eine ein Übergriff ist, ist es für die andere noch nicht. Ich kann als Beraterin einer Klientin nicht bevormundend sagen, was sie zu tun hat und ob sie beispielsweise Anzeige erstatten soll oder nicht. Ich kläre sie über ihre Rechte auf – welchen Weg sie gehen will, muss sie für sich selbst entscheiden. Meine Aufgabe ist es, sie bei diesem Prozess zu begleiten und sie zu unterstützen. Jede Frau bringt ihre Geschichte mit.

Trotzdem würde ich niemals sagen, dass wir sexualisierte Gewalt als ein individuelles Problem betrachten sollten. Auf keinen Fall! Es ist ein gesellschaftliches Problem. Die Gesellschaft muss hingucken und es ist gut, wenn es neue Gesetze gibt. Denn das zeigt als Signalwirkung, wie wir als Gesellschaft nicht miteinander umgehen sollen und wollen. Und dass es eben auch nicht in Ordnung ist, einer Frau heimlich unter den Rock zu fotografieren.

Hinterherpfeifen, grabschen oder Sprüche unter der Gürtellinie abfeuern: Wieso gibt es im 21. Jahrhundert noch immer so viele Menschen, vor allem Männer, die sich so verhalten? Sind wir nicht langsam mal gleichberechtigt?

Ich kann da jetzt nur meine persönliche Meinung einbringen: Ja, es ist viel passiert und dafür haben viele Frauen viele Jahrzehnte lang gekämpft und sich stark gemacht und eigentlich sind wir ja irgendwie gleichberechtigt. Aber wenn man genau schaut, gibt es teilweise auch wieder ein Zurückfallen in klischeehafte Rollenbilder. Warum ist zum Beispiel Kinderkleidung oder Spielzeug nach Geschlechtern aufgeteilt? Das ist wie eine Basis, die da gelegt wird. Kinder identifizieren sich ab einem bestimmten Alter mit ihrem Geschlecht. Wenn mir da schon vorgesetzt wird, Mädchen seien Prinzessinnen und Jungs Helden, ist schon in den Köpfen der Kinder und auch der Erwachsenen sie die Süße und er der Machertyp. So wird es möglich, dass es dieses Machtgefälle gibt. Bei sexualisierter Gewalt geht es um Macht.

Ich frage mich: Wenn ich beim Flirten die Grenze von jemanden verletze, dann schäme ich mich. Ist das bei Menschen, die absichtlich übergriffig werden, nicht so?

Ich nehme an, es geht solchen Menschen gar nicht um ein Flirten auf Augenhöhe. Es geht vielleicht eher darum, ob man, ich sage jetzt mal etwas platt, die heiße Biene da gegenüber kriegen kann. Wenn es gar nicht darum geht, Interesse an dem anderen Menschen als Person zu haben, sondern jemanden klarzumachen, dann ist das eine andere Motivation. Da geht es eben um Macht. Jemand will sich durchsetzen, egal, ob es der anderen Person damit schlecht geht.

Immer wieder gibt es Diskussionen darüber, ob Frauen Mitschuld an Übergriffen wie Upskirting trügen, weil zum Beispiel ihr Rock so kurz oder das Oberteil weit ausgeschnitten war. Was sagen Sie Ihren Klientinnen, wenn sie sich über so etwas Gedanken machen?

Ein Rock ist keine Einladung. Ganz egal, was du anhattest oder ob du gar nichts anhattest, niemand hat das Recht, dich anzumachen oder anzufassen, wenn du das nicht willst. Ich weiß ja nicht, wie sehr Sie sich mit dem Upskirting-Paragraphen beschäftigt haben, da gibt es Kritik zu …

… dass Upskirting nur strafbar ist, wenn die fotografierte Stelle von Kleidung bedeckt war?

„Soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind“, genau.

Ja, da bin ich auch drüber gestolpert. Wenn ich am FKK-Strand liege, will ich auch nicht, dass mir wer zwischen die Beine fotografiert.

Absolut. Wenn über die Kleidung der Frau als Auslöser diskutiert wird, ist das ganz klar eine Schuldumkehr.

Wie kann man sich gegen übergriffige Menschen schützen?

Man kann Selbstbehauptung lernen, also an der eigenen Körpersprache arbeiten und klar und deutlich Nein sagen. Wie man jemanden gegenüber tritt, macht einen krassen Unterschied. Es gibt zudem Angebote wie beispielsweise das Heimwegtelefon. Da können Frauen anrufen, wenn sie sich nachts unsicher fühlen und werden von Ehrenamtlichen am Telefon bis nach Hause
begleitet. Das kann für einige eine hilfreiche und unterstützende Möglichkeit sein. Gleichzeitig sollten wir als Gesellschaft aber nie vergessen, dass wir diese Angebote nur brauchen, weil es geschlechtsspezifische Gewalt gibt. Und da sollten wir in erster Linie hingucken und als Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Dass Frauen selbst dafür sorgen müssen, dass ihnen auf dem Nachhauseweg, beim Joggen oder wo auch immer, nichts passiert, weil sie Frauen sind – das darf nicht sein.

Was das neue Upskirting-Gesetz besagt

Eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bekommen voraussichtlich ab Herbst Täter, die unter den Rock oder in den Ausschnitt von Frauen fotografieren. Denn die Bundesregierung hat ein Gesetz beschlossen, das das sogenannte Upskirting fortan als Sexualdelikt kategorisieren wird.

„Bislang sind solche Aufnahmen lediglich verboten, wenn diese in einer Wohnung oder etwa einer Umkleidekabine gemacht werden“, teilt die Bundesregierung auf ihrer Webseite mit. Auch, wer solche Bilder zwar nicht selbst knipst, aber beispielsweise über soziale Netzwerke verbreitet, müsse bald mit einer Sanktionierung rechnen. „Der Strafrahmen ist nach Ansicht der Landesregierung ausreichend, da die Eingriffsintensität im Verhältnis zu anderen Straftaten des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuches vergleichsweise gering ist“, lautet die Einschätzung der niedersächsischen Landesregierung zum neuen Gesetz.

Da Upskirting bisher noch nicht strafbar war, könne die Regierung keine Aussage darüber treffen, wie viele Fälle dieses Delikts es niedersachsenweit schon gegeben hat.