Wolfsburg. Die Marke Volkswagen bereitet den Wiederanlauf vor. Der Geschäftsführer appelliert, sich an Ausgangsbeschränkungen zu halten.

Volkswagen bereitet den Wiederanlauf der Produktion mit Maßnahmen zum Gesundheitsschutz vor. Nach Ostern fahren zunächst die deutschen Komponentenstandorte, unter anderem in Braunschweig, Salzgitter und Hannover, ihre Fertigung wieder höher. Wann die Fahrzeugproduktion wieder anläuft, hängt davon ab, erfolgreich die Maßnahmen der Bundesregierung in der Corona-Krise sind, erklärt Ralf Brandstätter, operativer Geschäftsführer der Marke VW, im Interview mit unserer Zeitung – per Videoschalte.

Wie lebt und arbeitet der operative Chef der Weltmarke VW gegenwärtig?

Ich glaube, dass es mir privat wie beruflich nicht viel anders geht, als allen meinen Kolleginnen und Kollegen bei Volkswagen. Meine Familie und ich bleiben in diesen Tagen weitestgehend zuhause. Besuche bei Freunden und Verwandten kommen nicht in Frage. Das ist natürlich gerade während der Ostertage besonders hart, aber leider eine absolute Notwendigkeit. Denn nur mit großer Disziplin und Achtsamkeit werden wir die Corona-Pandemie in den Griff bekommen.

Ich verlasse das Haus nur, um ins Büro zu gehen. Der persönliche Kontakt zum Unternehmen ist mir gerade in dieser Zeit ein wichtiges Anliegen. Derzeit arbeiten wir vor allem an den Vorbereitungen für den Wiederanlauf der Produktion.

Ralf Brandstätter im Interview mit unserer Zeitung.
Ralf Brandstätter im Interview mit unserer Zeitung. © Archiv | LARS LANDMANN

Wie geht es nach Ostern weiter?

Das Unternehmen befindet sich, bildlich gesprochen, in einem Zangengriff. Wir bekommen massiven Druck aus zwei unterschiedlichen Richtungen. Zum einen liegen die internationalen Automobilmärkte am Boden. Der Absatz ist massiv zurückgegangen. Allein in Europa ist der Markt im März um 65 Prozent eingebrochen. Zum anderen haben unsere Zulieferbetriebe, vor allem in Spanien und Italien, derzeit die Produktion eingestellt. Nur wenn wir den Druck auf beiden Seiten lösen können, kann die Produktion wieder anfahren.

Entscheidend dafür wird sein, ob wir die Pandemie in Deutschland und den übrigen europäischen Ländern unter Kontrolle bekommen. Denn erst, wenn wir deutlich niedrigere Infektionsraten haben als bisher, kann die Politik die schrittweise Lockerung der Einschränkungen in Betracht ziehen . Und das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass das öffentliche Leben und damit auch die Wirtschaft schnell wieder in Schwung kommen.

Wie genau ist der Anlauf geplant?

Wir haben die Produktionspause an unseren deutschen Standorten zunächst bis zum 19. April verlängert. An einigen internationalen Standorten sogar darüber hinaus. Wann wir die Fahrzeugproduktion in unseren deutschen Standorten wiederaufnehmen können, werden wir hoffentlich in den nächsten Tagen genauer abschätzen können. Bisher ist lediglich beschlossen, dass wenige Teile der Komponentenfertigung ab Dienstag nach Ostern ihren ohnehin bereits laufenden Teilbetrieb erweitern, um die Versorgung der chinesischen Werke abzusichern. Dies betrifft insgesamt 1.700 Mitarbeiter an den Komponenten-Standorten Braunschweig, Kassel und Salzgitter sowie Chemnitz und Hannover Komponente.

Wann auch die anderen Teile der Produktion wieder anlaufen werden, wird davon abhängen, ob die Maßnahmen der Bundesregierung und der Länder im gewünschten Ausmaß Wirkung zeigen. Es darf keinen Rückfall geben. Denn nichts ist schlimmer, als die Produktion hochzufahren und dann wieder stoppen zu müssen.

Deshalb appelliere ich auch nochmal an alle, vor allem an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, jetzt und vor allem an Ostern, daheim zu bleiben und nicht zu früh das aufs Spiel zu setzen, was schon erreicht worden ist. Das ist schwer, aber wichtig für uns alle.

Haben Sie Verständnis für die Politik, die sich im Moment schwer damit tut, ein konkretes Datum zu nennen?

Natürlich. Die Gesamtsituation ändert sich täglich. Die Regierung konzentriert sich derzeit mit aller Kraft darauf, die Pandemie einzudämmen. Das ist auch aus unserer Sicht der wirkungsvollste Weg, um schnell wieder stabile Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen.

Volkswagen ist auch abhängig von der Lieferkette und den Entscheidungen von Regierungen anderer Länder. Inwieweit ist das Unternehmen hier handlungsfähig?

Überall in den Werken des Autobauers weisen Schilder die Mitarbeiter darauf hin, sich an Hygieneregeln zu halten.
Überall in den Werken des Autobauers weisen Schilder die Mitarbeiter darauf hin, sich an Hygieneregeln zu halten. © VW | VW

Allein in Europa hat die Marke Volkswagen neun Werke in fünf Ländern. Dazu kommen die internationalen Standorte unserer internen und externen Zulieferer. Nun müssen wir auch die verschiedenen Ansätze zur Krisenbewältigung in den Ländern bei unseren Planungen mit einbeziehen. Das macht das Management der Teileströme zu einer besonderen Herausforderung. Logistik und Beschaffung stehen in engen Kontakt mit unseren Zulieferern.

Aber diese Situation liegt weit außerhalb dessen, was bisher dagewesen ist. Unsere Lieferketten sind in diesen Zeiten abhängig von vielen Faktoren, die wir nicht kontrollieren können. Deshalb ist es aus unserer Sicht zwingend notwendig, dass wir in Europa gemeinsam Lösungen entwickeln, um die Rahmenbedingungen zu vereinheitlichen und die Wirtschaft wieder zügig anlaufen zu lassen. In China haben 32 von 33 Werken die Produktion wiederaufgenommen. Das zeigt: die Komplexität dieser Aufgabenstellung kann bewerkstelligt werden.

Bräuchten wir nicht eigentlich, politisch gesehen, ein europäisches Krisenmanagement?

Auf jeden Fall. In den ersten Tagen und Wochen der Corona Krise haben die Länder vor allem ihre eigenen Interessen verfolgt. Nachdem nun das Ausmaß der Krise immer deutlicher wird, kommt die Politik zunehmend zu der Erkenntnis, dass diese Situation nur durch Solidarität und gemeinschaftliches Handeln zu bewältigen ist. Die Forschung zeigt uns in diesen Tagen, wie ein effektives grenzüberschreitendes Arbeiten an Lösungen möglich sein kann. Gleiches müssen wir nun auch im Hinblick auf den Wiederanlauf der Wirtschaft schaffen. Die Entwicklungen der letzten Tage gehen in die richtige Richtung.

Die Empfehlung der EU-Kommission, die Kurzarbeit in den Mitgliedsstaaten mit 100 Milliarden Euro zu unterstützen, ist ein gutes Beispiel. Um es ganz klar zu sagen: Nur gemeinsam werden wir der Wirtschaft in Europa neuen Schwung geben können. Wir brauchen jetzt mehr Europa, nicht weniger.

Wie will VW beim Wiederanlauf den Schutz seiner Mitarbeiter vor dem Corona-Virus sicherstellen?

Wir haben zusammen mit den zuständigen Behörden, dem Gesundheitswesen und in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat umfangreiche Sicherheitskonzepte für unsere Standorte beschlossen. Wir nutzen derzeit die Zeit, um die Produktion auf ein geregeltes Arbeiten unter den aktuellen Umständen vorzubereiten. Dazu organisieren wir die Arbeitsplätze neu, um den Mindestabstand von anderthalb Metern einzuhalten. Wo das nicht möglich sein wird, stellen wir Schutzkleidung zur Verfügung. Dazu gehören dann auch Nasen-Mundschutz-Masken.

Auch die Arbeitspläne werden wir so anpassen, dass es zu möglichst wenigen Kontakten bei Schichtwechseln kommt. Dies geschieht unter anderem über die Erweiterung des Gleitzeitkorridore.

In den Kantinen werden wie die Sitzordnung im Hinblick auf den Mindestabstand anpassen, die Öffnungszeiten verlängern und den Zugang über unterschiedliche Pausenzeiten stärker steuern. Und natürlich werden wir unsere Anstrengungen bei der Handhygiene und den Reinigungsmaßnahmen deutlich erhöhen.

Das alles sind nur einige Beispiel aus unserem Maßnahmenkatalog, den wir in einer eigenen Betriebsvereinbarung geregelt haben.

Unabhängig davon setzen wir sehr stark auf das solidarische und eigenverantwortliche Handeln aller Kolleginnen und Kollegen. Daher wird es auch keine verpflichtende Körpertemperatur-Messung an den Werkstoren geben. Aber wir bitten nachdrücklich alle Beschäftigten, sich vor Arbeitsantritt selbst kritisch zu prüfen, ob man gesund ist und Arbeiten gehen kann. Idealerweise misst jeder Mitarbeiter auch selbst tägliche seine Körpertemperatur.

Die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat für Volkswagen allerhöchste Priorität. Es muss uns gelingen, dass jeder Einzelne, wenn er an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, die Gewissheit hat: „Hier bin ich sicher“.

Angenommen, die Bundesregierung sieht die Zeit für Lockerungen noch nicht für gekommen: Wie lange kann VW mit dem Shutdown leben?

Volkswagen ist ein starkes und finanziell solide aufgestelltes Unternehmen. Die guten Ergebnisse der Vorjahre können uns aller Voraussicht nach einige Monate lang tragen. Das sollte uns aber nicht in falscher Sicherheit wiegen. Die aktuelle Situation ist eine große Herausforderung für das Unternehmen. Daher gilt für uns aktuell höchste Ausgabendisziplin. Jede Bestellung und jedes Projekt werden derzeit auf Notwendigkeit geprüft. Gleichzeitig wollen wir uns natürlich nicht unsere Zukunftsperspektiven verbauen. Die strategischen Themen, wie beispielsweise den ID.3, werden wir weiter intensiv vorantreiben.

Muss VW auch bei seinem Programm „Roadmap digitale Transformation“, das auch den möglichen Abbau von bis zu 4000 Arbeitsplätzen beinhaltet sowie Milliarden-Investitionen in die Digitalisierung, jetzt noch einmal nachschärfen?

Das ist derzeit überhaupt kein Thema. Die Roadmap ist vereinbart und daran halten wir fest.

Hat die aktuelle Corona-Situation dem ID3 jetzt sogar geholfen? Die Entwicklung der Software hatte ja einige Probleme bereitet...

Unsere Planung steht. Der ID.3 soll im Sommer an unsere Kunden ausgeliefert werden. Das Werk in Zwickau liegt voll im Zeitplan. Und auch die Entwicklung arbeitet auch in diesen Tagen mit Hochdruck an der Finalisierung der Software. Wir sehen täglich Fortschritte. Wir befinden uns also auf der Zielgeraden. Vor der Auslieferung werden wir dann die bereits gebauten Fahrzeuge mit dem letzten Software-Stand bespielen und an unsere Kunden ausliefern.