Washington. Die Politik des amerikanischen Präsidenten stellt Kirchen und Gläubige vor die Frage: Weiter folgen oder Widerstand leisten?

Wer eine der nun regelmäßigen Wahlkampf-Veranstaltungen des US-Präsidenten besucht und mit den Fans von Donald Trump redet, wird schnell ein Phänomen registrieren, das sich wie ein roter Faden durch seine Anhänger-Gemeinde zieht.

Trifft man auf einen bekennenden Christen im Publikum, so fallen immer wieder Sätze wie diese: „Gott hat uns Trump geschickt“. Oder: „Gott hält seine Hand schützend über Trump“. Und: „Der Präsident hat 2016 mit Gottes Hilfe gewonnen und wird es 2020 wieder tun“. Umfragen bestätigen dieses faszinierende Verhaltensmuster und die Begeisterung für einen ansonsten massiv kritisierten Politiker, der sich aller Voraussicht nach in Kürze einem Amtsenthebungsverfahren gegenüber sehen wird. Die Zustimmungsquote für Trump liegt einer Erhebung des Pew Research Center unter weißen Protestanten sogar um 25 Prozent höher als im Landesdurchschnitt. Und: Je höher die Zahl der monatlichen Kirchenbesuche, desto höher die Unterstützung für den Präsidenten.

Das führt wiederum, so formulierte es kürzlich das US-Magazin „politico“, zu einer unausweichlichen Kernfrage: Wie kann eine gesellschaftliche Gruppe, die jahrzehntelang auf die Bedeutung von Charakter und Integrität in der Politik verwiesen hat, mehrheitlich einen Präsidenten verteidigen, der mit seinen zahlreichen ethischen und moralischen Verfehlungen – schließlich beschuldigen ihn zwei Dutzend Frauen sexueller Übergriffe – christliche Grundwerte ad absurdum geführt hat? Hinzu gesellt sich Trumps Realpolitik: Seine offene Verachtung für Einwanderer, die er einst als „Mörder, Drogendealer und Vergewaltiger“ charakterisierte. Sein temporäres Einreiseverbot für Muslime aus bestimmten Staaten. Die Trennung von Migrantenkindern von ihren Eltern. Teile seiner Politik und die täglichen Twitter-Aggressionen gegen Andersdenkende haben dazu beigetragen, dass der Präsident wie keine andere Persönlichkeit im Weißen Haus zuvor das Land spaltet und den inneren Frieden bricht.

Das in Deutschland in diesem Jahr ausgerufene Bibelwort „Suche Frieden und jage ihm nach!“ (Psalm 34,15) wird von Donald Trump, den man lediglich zu Weihnachten und Ostern in der Kirche findet und der bei Auftritten gerne Bibeln signiert, mit seinem Verhalten täglich neu konterkariert. Und dennoch steht ausgerechnet die religiöse Rechte weiter mehrheitlich hinter ihm, obwohl ihre Vertreter doch in der Vergangenheit immer wieder als Moralisten der Nation Position bezogen: gegen uneheliche Aktivitäten, gegen eine vulgäre Sprache und gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Doch die bisher scheinbar undurchdringliche Front der evangelischen und nicht-evangelischen christlichen Unterstützer zeigt erste Brüche.

Dazu beigetragen hat zuletzt vor allem die Entscheidung Trumps, amerikanische Truppen aus dem Norden Syriens abzuziehen und damit die verbündeten Kurden sich selbst zu überlassen. Der Präsident hat Berichten zufolge seitdem nahezu täglich in Telefonaten Rat bei christlichen Führungsfiguren gesucht und angefragt, wie er diese umstrittene und viel kritisierte Entscheidung am besten dem Volk „verkaufen“ könne. Einige der Ratgeber hätten ihn aufgefordert, den Rückruf zu revidieren, heißt es – vor allem, weil sie eine verstärkte religiös motivierte Verfolgung von Christen in der Region und massive Menschenrechtsverletzungen gegenüber Zivilisten befürchten. Andere sollen ihm geraten haben, die Signalwirkung dieser Abkehr für den engen US-Alliierten Israel zu bedenken, dessen Sicherheit auch vielen evangelischen Christen ein Herzensanliegen ist.

Am weitesten wagte sich zuletzt wohl der prominente TV-Prediger Pat Robertson vor, der seine Anhänger mit den Worten warnte: „Trump läuft Gefahr, das Mandat des Himmels zu verlieren.“ Damit könnte auch langfristig der stabile Rückhalt für den Präsidenten bröckeln, der – so sehen es Analysten – vor allem von einem Faktor profitiert hat: der Furcht, dass unter einem Präsident der Demokraten die Nation und vor allem die christliche Kultur massiv leiden würde.

Bereits 2016 hatte der einflussreiche evangelische Autor und Radio-Talkshowgastgeber Eric Metaxas vor den Wahlen formuliert: Das Land habe sich schon immer vielen Herausforderungen gegenüber gesehen. Aber diesmal sei der Wahlausgang ein „Existenzkampf“, der sich mit dem amerikanischen Bürgerkrieg gleichsetzen lasse. Dahinter steckt auch das Gefühl mancher Christen, von der liberalen Elite im Land belächelt zu werden.

Trump-Vorgänger Barack Obama benutzte beispielsweise 2008 die abfällige Formulierung, dieser Teil der Bevölkerung würde sich „verbittert an ihre Waffen und die Religion klammern“. Trump hat seit Amtsantritt deshalb kühl kalkulierend mit allen Mitteln gegen die Liberalen zurückgeschossen – und das hat bisher vielen Christen trotz der fragwürdigen Methoden des Präsidenten und seiner vollständigen Absage an den inneren Frieden der Nation gefallen. Doch nun stehen sie – nicht zuletzt wegen Syrien und der Amtsenthebungs-Bestrebungen – vor der Gewissensfrage: Weiter folgen oder friedlich dem Präsidenten Widerstand leisten?