Braunschweig. Beim Leserforum erinnert Zeitzeuge Eckhard Schimpf an die Flammenhölle des Bombenangriffs auf Braunschweig am 15. Oktober 1944.

„In der Stadt war es schlagartig taghell.“

So erinnert sich unser Leser Hans-Joachim Niemann daran, wie Braunschweig brannte.

Vom Leserforum berichtet Harald Duin

Gibt es eigentlich passende Worte für das, was in der Braunschweiger Bombennacht am 15. Oktober 1944 geschah? Ja, es war „furchtbar“, es war ein „Inferno“ und eine „Flammenhölle“. Wenn jene, die als Kinder den Krieg überlebten, sich heute, um Worte ringend, erinnern, bedeutet das nicht, dass sie etwa das unendliche Leid der Juden beiseiteschieben und das noch Schrecklichere nicht sehen.

„Da gab es keine Trauer mehr“

Die Braunschweiger Bombennacht ist 75 Jahre her. Und wieder wird der Autor und Journalist Eckhard Schimpf gefragt, wie es war, als er, an der Hand seiner Mutter, diese Nacht im überfüllten Bunker überstand. Die Trümmer glühten noch Tage danach. Es waren Tage, über die der frühere Landeskonservator Kurt Seeleke sagte: „Da gab es keine Trauer mehr.“ Er meinte dieses schematische Weiterfunktionieren mitten im Schmerz. Die Psyche schaltete auf Überleben.

Erschütternde Filmdokumente

Die Bombennacht ist Thema eines Leserforums im BZV-Medienhaus, das unsere Zeitung gemeinsam mit den vier Braunschweiger Rotary Clubs ausrichtet. Erst einmal dieses kurze erschütternde Filmdokument. Bomber im Anflug auf Braunschweig. Auf der Bühne wird Eckhard Schimpf vom Chefredakteur unserer Zeitung, Armin Maus, befragt. Schimpf erzählt und schafft damit mehr als Standardbegriffe es vermögen eine Vorstellung. Wie er etwa mit seiner Mutter den überfüllten Bunker verließ und den Satz hörte: „Sie alle müssen durch das Feuer“, durch Funkenstürme, die ganze Bretter mitrissen.

Orgelspiel trotz Bombenalarm

Über 2000 Mal heulten in Braunschweig die Sirenen. Einmal schaffte er es mit seiner Mutter nicht in den nächsten Bunker, sondern knapp in die Katharinenkirche. Die Organistin spielte einfach weiter. In den Bunkern, die den Bomben standhielten, konnte man trotzdem sterben, wenn draußen das Feuer zu viel Sauerstoff wegsaugte.

Der Straßenbelag wurde zu Brei

Asphaltstraßen schmolzen und wurden zu Brei. Die beiden Türme der Martinikirche loderten wie Fackeln. Tote auf der Straße. Und die Mutter rief: „ Nicht hingucken“. Die Wassergassen der Feuerwehr retteten Leben und zum Beispiel die Häuser an der Schuhstraße.

Armin Maus: „Über die Hälfte der Bewohner hatte nach der Bombennacht keine Wohnung mehr.“ Es hieß zusammenrücken, wo noch Platz war.

Ölbild vom „brennenden Braunschweig“ Propaganda-Kunst?

Zeitdokument oder kitschige NS-Propaganda-Kunst? Das brennende Braunschweig, in Öl gemalt von Walter Hoeck, der bis 1954 in Lehndorf lebte.
Zeitdokument oder kitschige NS-Propaganda-Kunst? Das brennende Braunschweig, in Öl gemalt von Walter Hoeck, der bis 1954 in Lehndorf lebte. © Flentje, Rudolf | BZV

Auf der Bühne eines der Bilder, die der Künstler Walther Hoeck vom brennenden Braunschweig malte. Ein Dokument. Hoeck war Nazi, lieferte auftragsgemäß während des Krieges Propagandakunst. Aber sind deshalb dieses Bild und ähnliche von Hoeck gemalte „falsch“ und irgendwie nur reine Propaganda? Wie auch immer: Schimpf ist dafür, dieses Werk mit einordnenden Bemerkungen immer zu zeigen.

Eine Flut von Erinnerungen

„Der Tag, an dem Braunschweig sein Gesicht verlor“ (Schimpf), löst auf diesem Leserforum auch bei Zuhörern eine Flut von Erinnerungen aus. Es sind einige da, die die Bombenabwürfe in anderen Städten überlebten — zum Beispiel in Würzburg und Bruchsal. In der Kleinstadt Bruchsal verloren 1000 Menschen am 1. März 1945 ihr Leben.

Wunderbar, wir bleiben von Bomben verschont, dachte man lange in Würzburg. Und dann kamen am 16. März 1945 doch die Bomber der Royal Air Force. 4000 bis 5000 Tote, 80 Prozent der Häuser wurden zerstört.

„Bomber-Harris“ rechtfertigte die Angriffe

Die Bomben auf Dresden (es starben rund 25.000 Menschen) haben auch in Großbritannien zu einer Diskussion geführt, ob man sich nicht schuldig gemacht habe. Dreißig Jahre nach dem Kriege wurde Arthur Harris („Bomber-Harris“) dazu in einem BBC-Interview befragt. Der Ex-General: „Die Bomber haben über eine Million Deutsche vom aktiven Einsatz in der Armee abgehalten, weil sie die Luftabwehr besetzen oder dringende Reparaturen ausführen mussten.“

Leserforum zur Bombennacht von Braunschweig

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Syrienkrieg weckt böse Kindheitserinnerungen

Zurück zum Leserforum, das eines zum Schluss offenbart: Das Unmenschliche ist heutige Erfahrung. Die Bomben in Syrien töten Kinder und traumatisieren jene, die davonkommen. Wer als 80-Jähriger diese Bilder im Fernsehen sieht und nicht völlig abgestumpft ist, hat die Schrecken der eigenen Kindheit vor Augen.

Spät, auch Eckhard Schimpf gehört dazu, haben die Überlebenden begonnen, über diese Zeit zu reden. Die frühere Petri-Pastorin Kristina Kühnbaum-Schmidt (heute Bischöfin der Nordkirche) überschrieb ihre Braunschweiger Gesprächsgruppe für Kriegskinder so: „Der Krieg ist vorbei und ist doch immer da in den Seelen der einstigen Kinder.“

Die Bombennacht von Braunschweig 1944

In der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1944 wurden weite Teile Braunschweigs durch britische Kampfflugzeuge in Schutt und Asche gelegt.

Der Luftangriff der englischen Royal Air Force hatte das ausdrückliche Ziel, maximale Zerstörungskraft zu entfalten. Zu diesem Zweck wurde eine verheerende Strategie entwickelt: Zunächst wurden nicht weniger als 12.000 Sprengbomben über der Innenstadt abgeworfen.

Ein Feuerwehrmann bei Löscharbeiten nach dem Bombenangriff vom 15. Oktober 1944 auf Braunschweig.
Ein Feuerwehrmann bei Löscharbeiten nach dem Bombenangriff vom 15. Oktober 1944 auf Braunschweig. © Bein | ARCHIV

In die damit ausgelöste Zerstörung hinein fielen 200.000 Phosphor- und Brandbomben, die die Stadt in eine Gluthölle verwandelten und ihr den Sauerstoff entzogen.

Mehrere Tage lang brannte die Stadt, die größte zusammenhängende deutsche Fachwerkstadt wurde damals zerstört. Historiker schätzen, dass in dieser Nacht mehr als 1000 Menschen ums Leben kamen. Laut Eckhard Schimpf hatten die Nazis die Zahl der Toten mit nur etwa 500 angegeben. „Das war aber bewusst untertrieben“, sagt Schimpf.