Braunschweig. Was bedeutet Kreativität in Zeiten künstlicher Intelligenz? Forscher der TU Braunschweig loten das Verhältnis von Kunst und Maschine aus.

Künstliche Kreativität? Das geht zu weit, Kunst ist menschlich!

Dies bemerkt ein Nutzer, der sich „Martin LauLó“ nennt, auf den Facebook-Seiten unserer Zeitung.

Zum Thema recherchierte Andreas Eberhard

Computer schreiben Drehbücher, Automaten dichten Lyrik, Popstars perfektionieren ihren Gesang mithilfe von Auto-Tune, und Bands wie Kraftwerk oder Rammstein bedienen sich für ihre Musik und Bühnenshows bei der Ästhetik von Maschinen. Die Beispiele zeigen: Nicht nur in unserem Alltag, auch in Kunst, Musik und Literatur, den Bastionen menschlicher Kreativität, spielt die Automatisierung längst eine Rolle. Drei Professoren der Technischen Universität Braunschweig – der Anglist Eckart Voigts, der Musikwissenschaftler Dietmar Elflein und der Germanist Jan Röhnert – nehmen die Wechselbeziehung zwischen Muse und Maschine jetzt in einem neuen Forschungsprojekt unter die Lupe.

Sprecher des gemeinsamen Vorhabens, das vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur mit bis zu einer halben Million Euro gefördert wird, ist Eckart Voigts. Für den Literaturprofessor lauten die Leitfragen: „Was passiert, wenn Aufgaben im Kreativbereich von Maschinen übernommen werden? Und was bedeutet das für unsere Vorstellung von Kreativität?“ Neben den drei Professoren sollen noch mehrere Nachwuchsforscher die Fragen beantworten helfen. Derzeit sind drei Doktorandenstellen ausgeschrieben.

Computer könnten Drehbücher schreiben

Ein Untersuchungsobjekt von Voigts ist „Sunspring“. Das Drehbuch des neunminütigen Films, der auch bei Youtube steht, wurde vom Computerprogramm „Jetson“ verfasst – besser gesagt zusammengestückelt. Auf Grundlage von Tausenden Skripts realer Science Fiction-Filme schrieb die Software ein neues, eigenes Drehbuch. Die Dialoge des Films ergeben kaum Sinn, die Figuren reden aneinander vorbei. „Da entstehen surreale Effekte“, beschreibt auch Voigts die Wirkung. Trotzdem erkenne man bestimmte Muster, etwa Geschlechterklischees. Das zeigt: Die künstliche Intelligenz ist bestenfalls so intelligent wie das, womit man sie füttert.

Prof. Dr. Eckart Voigts in seinem Büro am Institut für Anglistik und Amerikanistik Abteilung Literatur- und Kulturwissenschaften in Braunschweig.
Prof. Dr. Eckart Voigts in seinem Büro am Institut für Anglistik und Amerikanistik Abteilung Literatur- und Kulturwissenschaften in Braunschweig. © BestPixels.de | Florian Kleinschmidt

Trotzdem hält Voigts es für möglich, dass Computer in nicht allzu ferner Zukunft imstande sind, Drehbücher zu schreiben, die von menschgemachten nicht zu unterscheiden sind. „Eigentlich ein Paradox“, sagt Voigts, aber gerade das weckt seine Neugierde: „Denn wie kann es sein, dass einerseits die Ununterscheidbarkeit – also das Menschgemachte – das ästhetische Ziel ist und dennoch der Computer eingesetzt wird?“

Projekt soll Brücken zur Informatik schlagen

Für Voigts das Spannendste an dem Thema: „Der Computer tut so, als wäre er ein Mensch, und der Mensch tut so, als wäre er ein Computer.“ Das letztere Phänomen ist allerdings so neu nicht. Anfänge sieht Voigts bereits im 18. Jahrhundert, als der französische Aufklärer und Philosoph Julien Offray de La Mettrie die Menschen in seiner Kampfschrift „L’Homme-Machine“ als sich selbst steuernde biologische Maschinen beschrieb. Auch für die klassischen Kunst-Avantgarden des 20. Jahrhunderts war das Maschinelle ein Ideal. „Die fanden es interessant, das Nicht-Menschliche, Nicht-Intentionale ins Zentrum ihrer Kunst zu rücken.“ Voigts denkt dabei etwa an die Surrealisten um André Breton, die mithilfe der Schreibtechnik „écriture automatique“ versuchten, unbewusste Bilder und Gefühle hervorzubringen.

Ein Ziel des Projekts von Voigts, Röhnert und Elflein ist es auch, sich mit ihren TU-Kollegen vom Institut für Informatik – den technischen Spezialisten für künstliche Intelligenz und künstliche Kreativität – auszutauschen. Die Zusammenarbeit zwischen Technikern und Geisteswissenschaftlern ist für Voigts ungewohnt: „Die Informatik war für uns bisher fast eine Art Blackbox. Mit dem Projekt wollen wir Brücken schlagen.“ Dafür gelte es eine gemeinsame Sprache zu finden – als Voraussetzung für alles weitere. „Dann wollen wir miteinander vergleichen, was wir jeweils unter Kreativität verstehen.“ Später sei zu diesem Thema eine gemeinsame Tagung geplant.

Kann ein Algorithmus Künstler sein?

Eine weitere große Frage, die die Forscher umtreibt, ist die Autorschaft in Zeiten künstlicher Intelligenz: Kann ein Algorithmus – also eine Folge von Befehlen in einem Computerprogramm – überhaupt Künstler, Komponist oder Schriftsteller sein? Und was braucht es, damit man von Autorschaft sprechen kann? Die alleinige Urheberschaft ist es schon einmal nicht, betont der Literaturprofessor: „Heute ist man sich längst darüber einig, dass sich jeder Autor in irgendeiner Weise bei existierenden Texten bedient oder sich zumindest von anderen beeinflussen lässt.“ Die Schlüsselwörter zur Autorschaft sind für ihn vielmehr „Bewusstsein“ und „Intentionalität“ – also absichtsvolles Handeln. Und: „Auch das Moment der Überraschung ist ein Zeichen von Kreativität.“

Mindestens ebensowichtig ist aber, was sich auf der anderen Seite abspielt: beim Leser, Zuhörer oder Betrachter von Kunst, Musik oder Literatur. Ästhetisches Vergnügen, da ist sich Voigts sicher, könnten bald auch Automaten verschaffen, jedoch: „Wäre da nicht die Projektion“ – also das Kopfkino des Hörers. Zwar seien „Kraftwerk“ mit ihrer Maschinen-Ästhetik noch recht gut mit der Vorstellung von Roboter-Kunst vereinbar, „aber wenn ich etwa an The Doors denke, klappt das nicht so ganz“. Die Biografien der echten Künstler, der Entstehungskontext, die Rock-Ikone Jim Morrison – all das sei hier unverzichtbarer Bestandteil des Hörens. Selbst wenn Computer den perfekten Doors-Song produzieren könnten, würde dem Hörer ohne diese Hintergründe Elementares fehlen.

Bot or not? – Maschine oder Mensch?

„Wir stellen also fest, dass die Verbindung zum Produzenten für uns dazugehört, wenn wir Musik hören oder etwas lesen“, fasst der Anglist zusammen. „Die meisten Menschen würden jederzeit sagen: Ich habe das Bedürfnis zu wissen, dass ich mich mit einem echten Menschen unterhalte.“ Ähnlich sei es bei Literatur oder Musik. Gleichzeitig befinde man sich heute, da einen immer mehr künstliche Intelligenz umgibt, in einer ständigen „Verdachtsphase“, so Voigts: Bot or not? – Maschine oder Mensch? „Auf einmal gewinnt die Frage, wie ein Produkt entstanden ist, wieder an Bedeutung.“

Ein Gedicht aus dem „Landsberger Poesieautomaten“

  • Im Jahr 2000 stellte der 1929 geborene Dichter Hans Magnus Enzensberger seinen „Landsberger Poesieautomaten“ vor. Das im Literaturmuseum in Marbach aufgestellte Gerät baut per Knopfdruck zufällige Gedichte aus vorgegebenen Satzbausteinen. Diese erscheinen auf einer Anzeigetafel.
  • Enzensberger kommentierte das Können seines Automaten angeblich so: „Wer nicht besser dichten kann als diese Maschine, der soll es bleiben lassen.“
  • Hier das erste von dem Automaten erstellte Gedicht: Überflüssige Erpressungen der Gremien, dieser fieberhafte Kunstgenuss am Wochenende und diese vorgedruckten Zahlungsbefehle: Schleierhaft! Im Grunde langweilt uns doch manches. Einstweilen lediglich würgende Lügen. Pünktlich einschrumpfen! Einflüsterungen: (“Deine Freunde sind wieder so spießig.“) Im Hinterkopf Nullsummenspiele. Das nackte Erbarmen sagt uns mehr als Impotenz, hierzulande schwimmen wir ganz allein. Sachzwänge. Ratlosigkeit. Zierliche Wunderwaffen. Anscheinend klappt alles.