Braunschweig. Landtagsabgeordnete machen Druck: Die Ostfalia-Hochschule soll sich um einen Ausbildungsgang bewerben. Der Hebammenmangel ist ein großes Problem.

Schwangere finden keine Hebamme, die sie vor und nach der Geburt betreut, Kreißsäle müssen wegen Personalmangels schließen – um mehr Fachkräfte für die Geburtshilfe zu gewinnen, soll die Hebammenausbildung attraktiver und an die Hochschulen verlagert werden. Landtagsabgeordnete machen nun Druck, dass ein geplanter Hebammenstudiengang auch in unserer Region angesiedelt wird. Nach Angaben des Wissenschaftsministeriums in Hannover soll eine Entscheidung über die Standorte in den nächsten Wochen fallen. Bislang sind neben Osnabrück vor allem Oldenburg, Hannover und Göttingen/Hildesheim im Gespräch.

Annette Schütze unterstützt den Vorstoß

„Wir würden eine Bewerbung der Ostfalia begrüßen und unterstützen“, sagt etwa die SPD-Landtagsabgeordnete Annette Schütze. Eine enge Kooperation mit dem Klinikum in Braunschweig für die Einrichtung eines dualen Studiengangs in Hebammenwissenschaften wäre denkbar. Auch die CDU hält die Ansiedlung eines Studienzentrums in der Region für unerlässlich. Die Kompetenzen seien mit den Kliniken und wissenschaftlichen Einrichtungen vor Ort vorhanden, ist der Parlamentarier Oliver Schatta überzeugt. Die Ostfalia hält sich bislang noch bedeckt. Die Präsidentin führe derzeit eine Vielzahl von Gesprächen mit kommunalen Politikern, Experten aus dem Bereich Hebammenausbildung und mit dem niedersächsischen Wissenschaftsministerium, bestätigt Sprecherin Evelyn Meyer-Kube. Zum Inhalt der Gespräche könne man sich nicht äußern. Eine Herausforderung bei der Reform der Ausbildung sei aber, geeignetes wissenschaftliches Personal für Professuren zu rekrutieren, heißt es.

Eine Akademisierung der Ausbildung ist Pflicht

Die Reform der Hebammen-Ausbildung geht auf eine EU-Richtlinie zurück. Danach muss Deutschland bis Anfang 2020 – als eines der letzten europäischen Länder – eine Akademisierung in die Wege leiten. Derzeit bietet die Hochschule Osnabrück einen Studiengang Midwifery mit 45 Anfängerplätzen pro Jahr an. Die Landesregierung plant für 2020 zusätzlich etwa 140 Studienanfängerplätze an bis zu vier Standorten im Land zu schaffen. „Ein wettbewerbliches Antrags- und Auswahlverfahren der Hochschulen ist nicht vorgesehen“, sagt eine Sprecherin des Wissenschaftsministeriums. Entscheidend sei, dass bereits Erfahrungen mit einem akademischen Angebot vorliegen und entsprechende Wissenschafts- und Praxiskooperationen etabliert seien oder zeitnah eine enge Zusammenarbeit mit einer Hochschulmedizin möglich sei.

Das Land hinke bei der Umsetzung der EU-Richtlinie hinterher, kritisiert Veronika Bujny, Vorsitzende des niedersächsischen Hebammen-Verbands. „Wenn nicht schnell etwas passiert, könnte Niedersachsen im Konkurrenzkampf um Fachkräfte das Nachsehen haben.“

So ergeht es Schwangeren auf Hebammensuche

Als Maria* im sechsten Monat schwanger ist, macht sie sich auf die Suche nach einer Hebamme. Sie fragt Freunde und Bekannte, greift selbst zum Telefonhörer – und bekommt jedes Mal eine Absage. „Ich kann gar nicht sagen, wie viele ich jetzt genau angerufen habe – auf jeden Fall mehr als 20“, klagte sie vor einiger Zeit auf unseren Facebook-Seiten. „Unsere Politik sollte diesen Beruf attraktiver machen, damit mehr junge Menschen diesen Beruf ausüben wollen.“

Der Hebammenmangel sei längst bekannt, schrieb uns auch Dana Teramihardja, die als Hebamme im Kreißsaal arbeitet und auch freiberuflich tätig ist. „Inzwischen sind wieder Hebammen in Rente gegangen und Ersatz gibt es nicht.“ Und eine weitere Leserin erklärte sogar, dass sie ohne Hebamme auskommen musste, als sie mit ihrem zweiten Sohn schwanger war – weil sie keine fand, die noch freie Kapazitäten hatte. „Da wir einiges von der ersten Schwangerschaft noch kannten und wenig Komplikationen hatten, ging es ohne“, schrieb sie. „Aber man hat sich dennoch in vielen Situationen hilf- und ratlos gefühlt.“

Maria ist kein Einzelfall

Dutzende derartiger Nachrichten und Mails erreichten uns Anfang des Jahres, als wir den Hebammen-Mangel in unserer Region thematisierten. Im März hatte Niedersachsens Ge­sund­heits­mi­nis­terin Carola Reimann (SPD) Zahlen vorgestellt, wonach es wieder mehr Geburten im Land gibt. Gleichzeitig ging die Zahl der frei­beruflich arbeitenden Geburtshelferinnen zwischen 2009 und 2016 von 1197 auf 1065 zurück. Die Zahl der Hebam­men in Krankenhäusern blieb in den vergangenen Jahren zwar mit rund 900 konstant. Aber immer wieder kommt es in einigen Regionen zu Engpässen. So hatte Ende Dezember beispielsweise das Helios-Klinikum in Gifhorn vorübergehend den Kreißsaal aus Personalnot geschlossen; im April schloss die Geburtsklinik in Peine – dauerhaft. Werdende Eltern müssen nun weitere Wege in Kauf nehmen, mit Auswirkungen auf andere Kliniken. Im Städtischen Klinikum Braunschweig mache sich der Fachkräftemangel bei den Hebammen vor allem dann bemerkbar, wenn sich umliegende Krankenhäuser aufgrund von Personalmangel von der Versorgung abmelden, bestätigt die stellvertretende Pflegedirektorin Ina Wegner. Das Klinikum verzeichnet rund 2300 Geburten im Jahr – Tendenz steigend.

Um der Personalnot entgegen zu treten, hat das Krankenhaus die Ausbildungskapazitäten erhöht. Aber die Ausbildung ist im Umbruch. Denn künftig soll diese nicht mehr in Hebammenschulen, sondern an Hochschulen stattfinden – wie das bereits in allen anderen EU-Ländern der Fall ist. Bis spätestens Mitte Januar 2020 muss die Ausbildung akademisiert worden sein, so verlangt es eine EU-Richtlinie. Im Juni hat der Bundestag über eine entsprechende Reform beraten: Demnach werden angehende Hebammen künftig in einem dualen Studium ausgebildet. Die Hoffnung: Der Beruf werde so attraktiver, so dass sich mehr Frauen – und auch Männer – dafür entscheiden.

Das Problem ist erkannt

Viel Zeit bleibt allerdings nicht mehr, neue Studienstandorte einzurichten. „Niedersachsen hinkt bei der Umsetzung der EU-Richtlinie hinterher“, klagt Veronika Bujny, Vorsitzende des niedersächsischen Hebammenverbandes. Seit 2013 sei klar, dass die Ausbildung in die Hochschulen verlagert werden soll. Doch bislang fehlten konkrete Schritte. Andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen seien da viel weiter.

Das Problem sehen auch Landtagsabgeordnete aus unserer Region. Über Parteigrenzen hinweg machen sie Druck, dass sich die Region als Hochschul-Standort bewerben soll. Derzeit sind in Niedersachsen vier Standorte im Gespräch: Die Hochschule Osnabrück bietet bereits einen Studiengang „Midwifery“ an. 45 Studienanfänger werden hier pro Jahr ausgebildet. Außerdem werden den Städten Oldenburg, Hannover und Göttingen/Hildesheim gute Chancen eingeräumt. Die Landesregierung plant für 2020 zusätzlich etwa 140 Studienanfängerplätze zu schaffen. Damit entsteht eine Gesamtkapazität von jährlich rund 185 Plätzen. Derzeit beginnen bis zu 120 Hebammenschülerinnen und Entbindungspfleger ihre Ausbildung in Niedersachsen. Die Zahl der Studienplätze würde somit die Zahl der Fachschulplätze übersteigen, heißt es im Wissenschaftsministerium.

„Aus der angekündigten Schließung der Braunschweiger Hebammenschule aufgrund der europaweiten Akademisierung des Hebammenberufs muss unsere Region Kapital schlagen“, fordert der SPD-Landtagsabgeordnete Christos Pantazis. Seine Wolfsburger Parteikollegin Immacolata Glosemeyer ist überzeugt, dass die Ostfalia mit der Fakultät für Pflegewissenschaft auf ihrem Campus in Wolfsburg über ein gutes Angebot für die Hebammenausbildung verfügt. Die SPD-Abgeordnete Annette Schütze sieht eine Kooperation der Ostfalia mit einem Klinikum in der Region als guten Weg. Und auch die CDU macht sich dafür stark, die Hebammenausbildung im Braunschweiger Land zu halten. Im Hintergrund laufen schon länger Gespräche mit der Ostfalia, den Hut in den Ring zu werfen – unter anderem mit Vertretern des Braunschweiger Klinikums. Doch die Hochschule hält sich bedeckt, auf Anfrage will sie sich noch nicht zu den Inhalten der Gespräche äußern.

Braunschweiger Hebammen versorgen ganze Region

Das Braunschweiger Klinikum verfüge über Jahrzehnte lange Erfahrung in der theoretischen und praktischen Hebammenausbildung mit akademisch hochqualifizierten Lehrerinnen, betont Ina Wagner. „Hebammen, die an unserer Hebammenschule ausgebildet werden, stellen nach ihrer Ausbildung nicht nur die geburtshilfliche Versorgung in Braunschweig, sondern in der gesamten Region sicher.“ Sie verweist darauf, dass das Klinikum über eine Geburtshilfe und ein Perinatalzentrum Level I verfüge. „Damit bieten wir, im Gegensatz zu anderen Häusern, das komplette Spektrum in der Geburtshilfe an. Von Normalgeburt bis hin zu Risikoschwangeren mit Frühgeborenen oder Mehrlingsgeburten, kann eine angehende Hebamme alles bei uns lernen.“

Noch ist offen, welcher Standort in Niedersachsen den Zuschlag erhält, die Entscheidung dazu soll laut Wissenschaftsministerium in wenigen Wochen fallen. Ein wettbewerbliches Antrags- und Auswahlverfahren der Hochschulen sei aber nicht vorgesehen. Entscheidend sei vielmehr, ob schon Erfahrungen mit einem akademischen Angebot vorliegen und entsprechende Wissenschafts- und Praxiskooperationen etabliert seien. „Dies schließt nicht aus, dass zum Beispiel ein städtisches Klinikum mit einer Geburtshilfestation sich als Ausbildungsvertragspartner und kooperierende Praxiseinrichtung anbietet“, sagt eine Sprecherin.

Der niedersächsische Hebammenband ist der Ansicht, dass neben den vier anvisierten Standorten durchaus auch ein fünfter Studiengang eingeführt werden könnte. Die Region Braunschweig mit dem zweitgrößten Krankenhaus Niedersachsens wäre da sicher zu berücksichtigen, sagt die Vorsitzende Veronika Bujny. Doch die Zeit drängt: „Wenn nicht schnell etwas passiert, könnte Niedersachsen im Konkurrenzkampf um Fachkräfte das Nachsehen haben“, fürchtet sie. Auch könnte es ein Gerangel um Professoren und Dozenten für Hebammenwesen geben. „Eine flächendeckende Versorgung von Schwangeren kann aber schon jetzt kaum gewährleistet werden.“

* Name von der Redaktion geändert