Baddeckenstedt. In Wartjenstedt bei Salzgitter testet Betreiber Tennet einen Mehrfachpflug zur Verlegung von leeren Rohren. Erdkabel sollen folgen.

Für mich ist die Verlegung der Leitungen eine ähnliche Fehlleistung wie der neue Flughafen in Berlin, Stuttgart 21 oder Gorch Fock. Seit mindestens 3 Jahren drehen sich die Windräder im Wattenmeer, und wo wird dieser erzeugte Strom verwendet?

Das fragt unser Leser Helmut Krüger aus Fallersleben.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle.

Jetzt kann er es ja zugeben. Ganz schön nervös war er, sagt Frank Föckersperger. Der Geschäftsführer der gleichnamigen kleinen GmbH aus Nordbayern hat mit seiner 40-köpfigen Belegschaft soeben die erste Prüfung bestanden: Sein Team hat im Auftrag des Netzbetreibers Tennet am Dienstag in Wartjenstedt bei Salzgitter erstmals einen sogenannten Mehrfachpflug zur Verlegung von leeren Rohren für Stromleitungen getestet. Dabei haben sie die Rohre für Erdkabel mit Hilfe des speziell angefertigten Pfluges unter die Erde gebracht.

Im breiten Dialekt erklärt Föckersperger, dass der Boden in Franken „eine Ka – das – drophe“ sei. Das soll wohl heißen: Alles halb so wild hier bei euch in Niedersachsen. Auf einer Länge von 200 Metern kommt der Pflug in Wartjenstedt zum Einsatz. Knapp eine Stunde dauert das. Etwa 200 Gäste verfolgen das Schauspiel in gebührender Entfernung – die meisten von ihnen im extra aufgebauten Zelt auf dem Acker. Unter ihnen sind Vertreter aus Politik, Medien, Behörden und Verbänden sowie einige Anwohner aus dem Dorf. Häppchen werden gereicht, es gibt Weißwein. Tennet zelebriert den Test, will die Öffentlichkeit einbinden. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) ist extra gekommen, sagt ein paar Worte.

Die Rahmenbedingungen für den Test sind imposant: Mehrere Millionen Euro hat die Firma Föckersperger in den Kabelpflug investiert. Sie hatte nur sieben Monate Zeit für die Konstruktion und den Bau der etwa 35 Tonnen schweren und 18 Meter langen Maschine. Auftraggeber Tennet machte Druck. Der Riese pflügt sich mit einer Zugkraft von 380 Tonnen langsam durch den Boden in Wartjenstedt. Und doch ist die neue Technik im Vergleich zur herkömmlichen offenen Grabenbauweise sehr viel bodenschonender. Sie ist auch schneller und somit günstiger. Wie viel, das muss sich zeigen.

Die Erkenntnisse, die Tennet und die kleine Firma aus Nordbayern bis Oktober in unserer Region sammeln, wollen sie gleich beim Bau der Stromtrasse Wahle-Mecklar einbringen. Wie kann man leicht um die Kurve pflügen? Liegen die Rohre richtig? Testweise werden auch die Erdkabel in die Rohre geschossen. Liegen die Rohre dann immer noch richtig? Das sind Fragen, die es in den nächsten Wochen und Monaten auf dem Testfeld zu klären gilt.

Fällt der Test positiv aus, kann das Verfahren abschnittsweise für die 380-Kilovolt-Stromtrasse zwischen Wahle bei Vechelde und Mecklar in Nordhessen eingesetzt werden. Davon gehen hier alle aus. Dann steht den Erdkabeln zwischen Salzgitter-Lesse und Baddeckenstedt nichts mehr im Weg. Bis auf wenige Kilometer bei Göttingen wird der Rest der 230 Kilometer langen Stromtrasse Wahle-Mecklar als Freileitung gebaut. Die Leitung soll die Übertragungskapazität für Windenergie in Richtung Süden erhöhen. Mehr als 600 Strommasten entstehen, 110 davon alleine in unserer Region auf dem ersten Abschnitt zwischen Wahle und Lamspringe im Landkreis Hildesheim.

Erdkabel-Pflug

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    Die Ergebnisse aus Wartjenstedt haben Bedeutung weit über die Grenzen der Region hinaus. Sie sollen in den Bau der Stromtrassen Südlink oder Südostlink einfließen.

    Die Stimmung im Festzelt ist locker. Tennet-Geschäftsführer Tim Meyerjürgens bittet Familie Schaare auf die kleine Bühne. Der Opa ist dabei, der kleine Enkel auch. Meyerjürgens überreicht Frau Schaare einen Blumenstrauß. Der Familie gehört das Land, auf dem der Mehrfachpflug zum Einsatz kommt.

    Reinhard Schaare ist Mitglied in der Bürgerinitiative Innerstetal. Die setzt sich für die Erdverkabelung ein. „Wir wollten die Masten und die Freileitung nicht haben“, sagt Schaare am Rande der Veranstaltung auf Anfrage. Und doch ist er etwas skeptisch. „Solche Eingriffe in den Boden sieht man noch lange.“ Er und seine Familie bauen Weizen, Zuckerrüben, Gerste und Raps im Wechsel an. Gerade steht der Weizen. 90 Hektar besitzt die Familie, fünf sind von der Stromtrasse betroffen. Diese Fläche ist bereits stillgelegt.

    Schaare kritisiert, wie mit der Kompensation der Landwirte umgegangen wird. „Für jedes Windrad gibt es jährlich Pacht. Wir von den Trassen betroffenen Landwirte sollen aber mit einer einmaligen Zahlung zufrieden sein. Das sind wir aber nicht.“

    Tennet-Geschäftsführer Meyerjürgens weiß, wo den Leuten hier in der Gegend der Schuh drückt. „Wie können wir die Eingriffe minimieren? Wie können wir die Belastung der Anwohner begrenzen?“, fragt er. Und gibt selbst die Antwort: mit dem Mehrfachpflug. Er bezeichnet das Projekt als „weltweit einmalig“. Er sagt aber auch: „Ohne diese Leitungen werden wir die Energiewende nicht schaffen können.“

    Umweltminister Lies sagt, dass Tennet Wahle-Mecklar oder den Südlink nicht für sich baue. „Die bauen das für uns“, sagt er. Nicht der niederländische Konzern habe die Energiewende beschlossen, sondern deutsche Politiker. „Das geht mir manchmal etwas unter in der öffentlichen Diskussion.“ Auch er sagt: „Am Netzausbau führt kein Weg vorbei.“ Wir würden alle zusammen die Verantwortung für den Umwelt- und Klimaschutz tragen. Dafür brauche es eben den Umstieg auf die erneuerbaren Energien. Und um den Strom vom windreichen Norden in den Süden zu transportieren, brauche es eben die Stromtrassen. „Wir haben zu viel Zeit verschenkt“, sagt Lies und verweist auf die jahrelange Diskussion, ob man Erdkabel oder Freileitungen verwenden soll. „Vor Jahren hätte ich nicht daran gedacht, dass eine Teilerdverkabelung auf einer Strecke von 13 Kilometern möglich ist.“ Zur Wahrheit gehöre aber auch: „Der Großteil von Wahle-Mecklar besteht aus Freileitungen.“ Dass es Sigmar Gabriel war, der in seiner Zeit als Bundesumweltminister für die Erdkabel in seinem Wahlkreis sorgte, darauf weist in den Reden niemand hin. Dankbar sind sie ihm hier aber alle dafür. Im Rest der Republik kam das nicht so gut an.

    Der örtliche Landtagsabgeordnete Marcus Bosse (SPD) weist in seinem Statement indirekt darauf hin. Er sagt auf Anfrage am Rande im Festzelt: „Es war ein großer gemeinsamer Erfolg von Bundes, Landes- und Kommunalpolitikern sowie von engagierten Menschen vor Ort, dass der Stromtrassenabschnitt Wahle Mecklar nun unter die Erde kommt. Damit sinken die Belastungen für die Bevölkerung ungemein und die Akzeptanz wird steigen.“

    Der energiepolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag, Stefan Wirtz, ist auch da. Er ist etwas skeptisch, sagt: „Die vorgesehene Teststrecke wurde zwar in der beabsichtigten Zeit bewältigt, aber ob durchgehend die Tiefe von knapp zwei Metern eingehalten wurde, können nur Testgrabungen nachweisen. Sollte sich das Verfahren bewähren, ist es aber als landschaftsschonender eindeutig zu begrüßen.“

    Abwartend reagiert auch Holger Hennies, Vizepräsident vom Landvolk Niedersachsen. „Das ist immer noch ein massiver Eingriff in den Boden“, sagt er. „Wie gut Tennet hier arbeitet, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.“