Wolfsburg. Die geplanten Kosten für den Weiterbau der A39 haben sich verdreifacht. Ab Dienstag verhandelt das Bundesverwaltungsgericht Klagen gegen das Projekt.

Unbedingt ausbauen, denn eine Fahrt nach Hamburg über die B4 ist die Hölle...

Das bemerkt Michael Schade auf unseren Facebookseiten.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle.

Ein jahrzehntelanger Streit spitzt sich zu: Gespannt blicken Gegner und Befürworter der A39 in dieser Woche nach Leipzig. Das dortige Bundesverwaltungsgericht verhandelt am Dienstag und am Mittwoch über Klagen gegen den Weiterbau. Laut einer Gerichtssprecherin ist in dieser Woche wohl noch nicht mit einer Entscheidung zu rechnen. Zu groß ist das laut neuen Schätzungen 1,3 Milliarden Euro schwere und 105 Kilometer lange Projekt zwischen Wolfsburg und Lüneburg. Zu kompliziert die Sachlage, die Positionen liegen zu weit auseinander.

Die Sprecherin wollte sich nicht festlegen, allerdings sei es bei Entscheidungen solcher Tragweite üblich, dass das Gericht nach der Anhörung noch einige Wochen benötige, um eine Entscheidung zu treffen. Voraussichtlich wird es einen weiteren Termin geben, an dem die Entscheidung verkündet wird.

Dabei geht es am Dienstag und Mittwoch erst mal nur um den Abschnitt zwischen Wolfsburg und Ehra-Lessien im Landkreis Gifhorn. Dagegen liegen elf Klagen vor. Eine stammt vom Bund für Umwelt und Naturschutz (Bund) Niedersachsen, zwei von den Anliegergemeinden Tappenbeck und Jembke sowie acht von bisher unbekannten Privatpersonen. Die Entscheidung für den siebten Planungsabschnitt wird wegweisenden Charakter für die anderen sechs Abschnitte haben. Es geht also um viel.

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© Jürgen Runo

Das sagt der Bund für Umwelt und Naturschutz (Bund) Niedersachsen

Der Bund ist einer der elf Kläger. Bereits vor fünf Wochen äußerte sich Landesgeschäftsführerin Susanne Gerstner auf Anfrage zu den gestiegenen geplanten Kosten des Bauvorhabens. 2012 gingen Bundesregierung und Landesregierung noch von 1,1 Milliarden Euro Baukosten aus, nun von 1,3 Milliarden Euro – Tendenz weiter steigend. Gerstner sagte trocken: „Solche Kostensteigerungen sind bei Großbauprojekten dieser Art üblich.“ Der Umweltverband sieht sich bestätigt: Der Weiterbau sei nicht nur klimaschädlich, sondern auch unwirtschaftlich.

Gerstner ist voller Hoffnung, dass das Milliarden-Projekt doch noch gestoppt wird. Die Landesgeschäftsführerin setzt darauf, dass das „Bundesverwaltungsgericht zu der gleichen Einschätzung kommt wie der Bund, andere Umweltverbände und das Umweltbundesamt, das die A39 auf die Liste der umweltschädlichsten Projekte des Bundesverkehrswegeplans 2030 gesetzt hat“.

Umweltschützer fordern den Ausbau der Bundesstraße 4. Die Trasse existiert schon, ein durchgängig zweispuriger Ausbau pro Fahrtrichtung sei möglich. Und er wäre deutlich günstiger als der A39-Ausbau. Laut einer Bundestagsdrucksache aus dem Mai 2015 kostet die Alternative zur A39 gerade mal 248 Millionen Euro – Stand 2014.

Das sagen die Bürgermeister der Gemeinden Jembke und Tappenbeck

Auch Susanne Ziegenbein aus Jembke und Ronald Mittelstädt äußerten sich vor fünf Wochen auf Anfrage. Ihre Gemeinden sind unmittelbar betroffen: Tappenbeck könnte den Sportplatz samt Vereinsheim verlieren. Denn genau an dieser Stelle soll die Autobahn künftig verlaufen. Und in Jembke soll eine große Tank- und Rastanlage entstehen. „Die A39 ist ein Desaster für uns“, sagte Mittelstädt. An der dichtesten Stelle im Ort mit den 1400 Einwohnern soll die Autobahn 50 Meter an die nächste Wohnbebauung heranreichen. Die Lärmschutzwände sollen samt Wall etwa zehn Meter hoch werden.

Laut Mittelstädt kostet ein neuer Sportplatz samt Vereinsheim etwa 4,8 Millionen Euro. „Das Land will uns aber bisher nur 1,75 Millionen als Ausgleich zahlen“, sagte der Bürgermeister.

Im Nachbarort Jembke soll der Rasthof etwa 150 Meter vom nächsten Wohnhaus entstehen – 18 bis 20 Hektar groß soll er werden. Ein großer Parkplatz soll gebaut werden, dazu eine Tankstelle, das Wirtschaftsgebäude, wahrscheinlich mit einem McDonald’s- oder einem Burger-King-Restaurant. Jembkes Bürgermeisterin Susanne Ziegenbein sagte: „Der Rastplatz bereitet uns große Sorgen.“ Er fresse viel Fläche. „Und dann der ganze Müll, der sich rund um den Rasthof ansammeln wird...“, warnte Ziegenbein.

Das sagt die Industrie- und Handelskammer (IHK) Lüneburg-Wolfsburg

Hauptgeschäftsführer Michael Zeinert erklärte unserer Zeitung, warum sich die IHK so stark für den Weiterbau einsetzt: „Ganz einfach: Der Autobahnlückenschluss ist Grundvoraussetzung, um unsere Region wettbewerbsfähig zu halten. Denn das Gebiet zwischen Hamburg, Hannover und Berlin ist der größte autobahnfreie Raum in ganz Deutschland.“

Die A39 bringe Unternehmen näher an ihre Kunden und Märkte. Profitieren würden insbesondere Handel, Dienstleistungsgewerbe, Tourismus und Industrie. „In der Konsequenz bedeutet das auch sichere Arbeitsplätze und höhere kommunale Steuereinnahmen, die wiederum Investitionen in Kindergärten, Sport- und Kultureinrichtungen und Krankenhäuser ermöglichen“, sagte Zeinert.

Bestehende Verkehrsachsen wie die A2 oder die A7, vor allem aber auch die B4, seien längst an ihrer Belastungsgrenze angekommen. Weitere Verlagerungen auf die Schiene und die Wasserstraße seien keine leistungsfähige Alternative, denn auch dort seien wir an der Kapazitätsgrenze. „Die A39 muss daher dringend kommen.“

Das sei übrigens auch der Wunsch einer deutlichen Mehrheit in der Region. Zeinert: „Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage aus 2015 im Auftrag unserer IHK wollen 70 Prozent der Bevölkerung die A39. Und 79 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass die A39 Vorteile für die Region bringt.“

Die A39 verbessere die Erreichbarkeit vieler Orte. „So gewinnen besonders die ländlichen Gebiete als Wohnorte mit hoher Lebensqualität, niedrigen Mieten und guter überörtlicher Erreichbarkeit an Attraktivität“, sagte er. Für Unternehmen sei es eine Herausforderung, Fachkräfte zu finden und zu halten. „Wenn der Mitarbeiter aber nicht in der Region wohnt, muss die Erreichbarkeit der Unternehmen gewährleistet sein.“

Einen alternativen Ausbau der B4 lehnt die IHK ab, so Zeinert: „Würde die B4 ausgebaut, würde dies immer wieder neue Ausbauvorhaben in den Folgejahren nach sich ziehen, um die Kapazitäten anzupassen und die Aufnahmefähigkeit zu erhöhen. Die A39 ist eine umfängliche Lösung, ein Ausbau der B4 wäre Flickwerk.“

Zeinert erwartet kein „Hochgeschwindigkeitsverfahren“ vor dem Bundesverwaltungsgericht. „Am Ende wird eine Bestätigung des Planfeststellungsbeschlusses stehen. Davon bin ich überzeugt.“

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© Jürgen Runo

Das sagt das Verkehrsministerium in Niedersachsen

Das CDU-geführte Verkehrsministerium setzt sich ganz klar für den Ausbau ein. Und weiß den Koalitionspartner SPD auf seiner Seite. Das war in der Vorgängerregierung nicht so. Damals torpedierten die Grünen den Ausbau der A39 immer wieder. In einem eigens beauftragten Gutachten kamen die Grünen 2016 zum Ergebnis, dass die A39 nicht wirtschaftlich ist.

Das bestreitet die jetzige Landesregierung. Eike Frenzel, Sprecher des Verkehrsministeriums, sagte nun: „Der Neubau der A39 wird entscheidend dazu beitragen, Raumerschließungen sowie Anbindungen des Hinterlandes zu den norddeutschen Seehäfen in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu fördern und vorhandene Erreichbarkeitsdefizite abzubauen.“ Er ist sicher: „Der Ausbau der A39 steigert die Lebensqualität und Wirtschaftskraft Ostniedersachsens.“

Dass sich die geplanten Ausbau-Kosten seit 2012 um 200 Millionen Euro und seit 2003 sogar um 863 Millionen Euro auf nun 1,3 Milliarden Euro drastisch erhöht und sogar verdreifacht haben, sei bei Projekten dieser Dimension nicht ungewöhnlich, sagte Frenzel. Er nannte Gründe: „Der anfänglich sehr grobe Planungsmaßstab wird mit der Zeit immer stärker verfeinert und detailreicher. Es ergibt sich ein klareres Bild etwa durch umfangreiche ergänzende Baugrunduntersuchungen, durch Konkretisierungen von Brückenbauwerken, die Untersuchungen zur Anpassung und Optimierung der Straßenentwässerung oder die genauen Kartierungen von Flora und Fauna.“ Nicht zuletzt trage in erheblichem Maße die allgemeine Baupreisentwicklung zu einer Veränderung der Kosten bei. Mit Blick auf den Termin in Leipzig blieb Frenzel dennoch vorsichtig. Er sagte: „Wir hoffen, dass das Bundesverwaltungsgericht die bestehende Planung im Grundsatz insgesamt bestätigen wird und die Klagen abweist.“