Hannover. Niedersachsens Wirtschaftsminister setzt auf eine „Clearingstelle“, die ein weiteres Ausufern verhindern soll.

Julia Philipps fragt bei Facebook: Bürokratie beim Bafög abbauen!

Die Anträge halten viele davon ab Bafög zu beantragen...

Die Antwort recherchierte Michael Ahlers

Der Minister gab sich kämpferisch. „Wer jetzt den Kopf in den Sand steckt, der wird sich letztlich irgendwann mal fragen müssen, ob Mittelstand so in Deutschland noch lebensfähig ist“, erklärte Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU).

Und so stellte Althusmann am Dienstag im Ministerium einen weiteren Anlauf zu jenem Dauerthema vor, dass schon seine Vorgänger umtrieb: Bürokratieabbau. Von den Bauvorschriften über Datenschutzregelungen und die Art, wie Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt und verarbeitet werden, bis zu ausufernden Statistik-Vorgaben reichte ein 9-Punkte-Papier, das das Ministerium später verschicken ließ.

"Nicht selten werden alle acht Wochen neue Nachweise gefordert"

„Gerade Niedersachsen hat die komplizierteste Bauordnung“, meinte der Minister. Es gebe für die Baubehörden keine zeitlichen Höchstgrenzen für das Bearbeiten von Genehmigungen. „Nicht selten erreichen uns Berichte, wonach alle acht Wochen neue Nachweise angefordert werden“, so Althusmann. Sein Vorschlag: Eine Frist von drei Monaten - danach gilt der Antrag als genehmigt („Genehmigungsfiktion“). Zudem könne er sich bei baugleichen Haustypen eine Anzeigepflicht vorstellen. Bei komplexen Vorhaben sollen die drei Monate allerdings nicht gelten.

Den papiernen „gelben Schein“ für Krankmeldungen hält Althusmann ebenso für überholt wie Kopien vom Grundbuchamt, sogenannte A1-Bescheinigungen für Dienstreisen in der EU, die Pflicht zu Datenschutzbeauftragte in Vereinen und kleinen Unternehmen oder auch Statistik-Anforderungen, bei denen für unterschiedliche Statistiken beispielsweise dreimal die Mitarbeiterzahl abgefragt wird. Althusmann fordert auch Digitalisierung, wo immer möglich.

Das Wort "Bürokratieabbau“ wird dem Problem nicht gerecht

Folgt man Volker Müller, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Niedersachsen, wird schon das Wort „Bürokratieabbau“ dem Problem nicht gerecht. „Dieses Thema begleitet uns seit Jahren, und wir beobachten leider eine kontinuierliche Zunahme des bürokratischen Aufwands, mit dem Unternehmen konfrontiert sind“, sagt Müller. Anders gesagt: Es geht eher darum, den Aufwuchs zu begrenzen. Auch bei den Unternehmern liegen lange Beispiellisten vor.

So habe eine Firma in Hannover sieben Monate auf eine Baugenehmigung für eine Hallenerweiterung gewartet. Es gebe kein Dokumentenmanagement-System bei den Behörden, was teilweise ausdrucken und abheften zur Folge habe. „Konkretes Beispiel aus dem Landkreis Peine: Antrag auf Kiesabbaugenehmigung war in 40-facher Ausfertigung gefordert – Es waren 20 Aktenordner. Wenn man weniger einreicht, bekommen die Behörden die Ordner nacheinander, für jeweils 4 Wochen, so dass sich das Verfahren noch weiter in die Länge zieht“, heißt es bei den UVN.

Risiko von Verstößen zu hoch

Althusmanns Problem: Auch er dürfte Bafög-Anträge zu kompliziert finden, bewegt sich in vielen Bereichen aber auf Bundes- und sogar Europarechtsebene. Für das Thema Bau wiederum ist in Niedersachsen der Umweltminister Olaf Lies (SPD) zuständig. „Wir werden uns guten, effektiven Vorschlägen mit Sicherheit nicht verschließen“, erklärte eine Sprecherin des Umweltministeriums. Ob die sogenannte Genehmigungsfiktion jedoch dazu gehöre, sei fraglich. „Wir haben uns in Niedersachsen zu dieser Forderung immer wieder ablehnend positioniert, und auch in der AG „Bauvorschriften“ des „Bündnis für bezahlbares Wohnen in Niedersachsen“ sowie im Bündnis-Plenum ist der Vorschlag nicht aufgegriffen worden“, so die Sprecherin. Ein Grund: Das Risiko von Verstößen sei zu hoch, dies aber könne zu Baustopps oder gar Abrissen führen.

„Endlich nimmt jemand das Heft in die Hand“

Für Althusmanns Vorschlag einer unabhängigen „Clearingstelle“, die präventiv Gesetze und Verordnungen auf Bürokratie-Lasten abklopfen soll, sind die Unternehmerverbände Feuer und Flamme. „Endlich nimmt jemand das Heft in die Hand“, lobt Müller. Althusmann sagte, es sei noch offen, ob die Clearingsstelle wie in Nordrhein-Westfalen oder auch im Saarland per Kabinettsbeschluss komme. Heikel: Sie soll ressortübergreifend arbeiten, würden also alle Ministerien betreffen. Das weckt erfahrungsgemäß Widerstände.

„Der Bürokratieabbau von Minister Althusmann entpuppt sich als Papiertiger“, meinte Ex-Agrarminister Christian Meyer von der Grünen-Landtagsfraktion. Bürokratieabbau scheitere an Ressortegoismen der Regierung.

Die Unternehmerverbände dagegen werten den Auftritt des Ministers dagegen wohl eher als einen lange erwarteten Weckruf.