Braunschweig. Die Verluste der Sozialdemokraten bei der Europawahl sind auch in Niedersachsen groß. Hier lesen Sie gesammelte Politiker-Stimmen zu den Ergebnissen.

Die Reaktionen in Niedersachsen und aus unserer Region auf die Ergebnisse der Europawahl schwankten zwischen großer Freude und ebenso großer Betrübtheit. Katerstimmung herrschte bei der SPD. Die Sozialdemokraten verloren auf Bundesebene mehr als ein Drittel ihrer Stimmen im Vergleich zu den Wahlen des Jahres 2014.

Europa-Abgeordneter Bernd Lange (SPD) Anfang Mai während eines Leserforum unserer Zeitung zur Europawahl
Europa-Abgeordneter Bernd Lange (SPD) Anfang Mai während eines Leserforum unserer Zeitung zur Europawahl © BestPixels.de | Philipp Ziebart

SPD-Politiker Bernd Lange, der auf Bundeslistenplatz 6 am besten positionierte Niedersachse, zeigte sich gegenüber unserer Zeitung tief enttäuscht. „Das Ergebnis meiner Partei ist natürlich ein herber Rückschlag. Diese negative Stimmung haben wir aber in den letzten Wochen im Wahlkampf deutlich ausgemacht, und wir haben den Trend auch nicht mehr umkehren können.“ Er hoffe, auf ein besseres Ergebnis seiner Partei in Niedersachsen. Am Abend herrschte mehr Klarheit, auch für SPD-Mann Lange.

Grüne jubeln: Unsere Themen sind grandios gestärkt worden

Die Sozialdemokraten kamen bei der Europawahl landesweit auf etwa 21 Prozent und verloren mehr als 11 Prozent. Die CDU wurde mit etwa 30 Prozent stärkste Kraft zwischen Nordsee und Harz. Doch auch sie büßte erheblich an Stimmen ein. Minus zehn Prozent stehen am Ende zu Buche. „Wir müssen als SPD an der Schärfung des Profils arbeiten. Wir müssen mehr Klarheit und mehr Geschlossenheit demonstrieren. Und wir müssen den Bürgern zeigen, dass wir das, was wir versprechen, auch halten werden“, bemängelte Europapolitiker Lange und beklagte fehlenden Rückenwind aus Berlin.

Die Grünen freuten sich hingegen über ihr bestes gesamtdeutsches Wahlergebnis. Die Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag, Anja Piel, teilte unserer Zeitung auf Anfrage mit: „Unsere Themen sind grandios gestärkt worden. Das ist jetzt ein klarer Arbeitsauftrag, in Brüssel und Straßburg genauso wie in Berlin und Hannover für ein starkes, ökologisches und soziales Europa zu kämpfen, aber vor allem endlich für Lösungen bei den großen Problemen. Gerade da blockieren sich die großen Koalition im Bund und in Niedersachsen.“

CDU-Spitzenmann McAllister: Politische Mitte ist geschrumpft

Der frühere Ministerpräsident und jetzige Spitzenkandidat der niedersächsischen CDU, David McAllister und seine Frau Dunja stehen mit Europa-Ballons in der Hand vor ihrem Wahlbüro.
Der frühere Ministerpräsident und jetzige Spitzenkandidat der niedersächsischen CDU, David McAllister und seine Frau Dunja stehen mit Europa-Ballons in der Hand vor ihrem Wahlbüro. © dpa | Daniel Reinhardt

David McAllister, Spitzenkandidat der CDU Niedersachsen für das Europaparlament, sprach gegenüber unserer Zeitung „von schmerzhaften Verlusten“ seiner Partei. Der frühere Ministerpräsident Niedersachsens sagte aber auch: „Auch wenn die parlamentarische Mitte in Europa insgesamt geschrumpft ist, hat die Europäische Volkspartei jetzt die Chance, zusammen mit den Sozialdemokraten, mit Liberalen und Grünen politische Mehrheiten im EU-Parlament zu organisieren.“ Man müsse sich nun sehr zügig auf die politischen Inhalte einigen, damit EU-Kommission und Parlament ihre Arbeit aufnehmen könnten. „Die Zeit drängt, denn die Probleme, die es zu lösen gilt, lassen keinen Aufschub zu.“

Beim CDU-Vorsitzenden des Landesverbandes Braunschweig, Frank Oesterhelweg, löste das Ergebnis seiner Partei „gemischte Gefühle“ aus. „Positiv ist, dass diese Wahl doch noch eine Pro-Europa-Wahl geworden ist. Das zeigt die gestiegene Wahlbeteiligung, aber auch die Tatsache, dass in Deutschland die Anti-Europa-Kräfte aus Linkspartei und AfD weniger Stimmen erhalten haben als prognostiziert.“ Er hätte mit mehr Zustimmung gerechnet und diese auch befürchtet. Mit Blick auf das gute Ergebnis der Grünen sagte er: „Meiner Partei ist es immer noch nicht gelungen, den vermeintlichen Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie aufzulösen und in einen Stimmenzuwachs umzuwandeln.“ Beim Ergebnis der SPD empfinde er „keine Schadenfreude“. „Da rüttelt etwas an den politischen Grundfesten unserer Republik.“

Oesterhelweg äußerte Unverständnis darüber, dass die CDU Angela Merkel im Wahlkampf mehr oder weniger „versteckt habe“. „Entweder man hat eine Kanzlerin oder man hat keine. Es zeigt sich, dass es sich bei einer Wahl nicht auszahlt, führungs- und konturlos zu erscheinen“, sagte er.

AfD-Spitzenpolitikerin Guth: Grünen-Ergebnis müssen wir neidlos anerkennen

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im niedersächsischen Landtag, Björn Försterling, erklärte: „Das ist ein solides Ergebnis für die Liberalen. Wir hätten uns mehr gewünscht, aber können damit leben.“ Försterling wagt den Versuch einer Erklärung, warum seine Partei auch bei dieser Wahl nicht ansatzweise so von der Schwäche der einstigen Volksparteien CDU und SPD profitiert hat wie die Grünen. „Unsere Antworten auf die Fragen des Klimaschutzes und der Zuwanderung sind keine extremen und keine einfachen. Wir argumentieren beim Klimaschutz nicht mit Verboten“, sagt er. Und auch bei der Migrationspolitik setze man auf Differenziertheit. „Wir sind für das Recht auf Asyl und gleichzeitig für eine konsequente Abschiebepolitik auf rechtsstaatlicher Grundlage. Die Zuspitzung fehlt. Das hilft uns aktuell bei Wahlen nicht.“ Försterling sieht in dem Ergebnis der Wahl einen klaren Auftrag für alle demokratischen Kräfte. „Das neue EU-Parlament muss nun gemeinsam an einem neuen Europa arbeiten.“

Für Dana Guth, AfD-Landesvorsitzende in Niedersachsen, war das Votum ihrer Partei absehbar. „Mediales Gegenfeuer“ in den letzten Wochen des Wahlkampfs habe ein besseres Ergebnis verhindert. „Wir wurden als Dexit-Partei hingestellt, was nicht der Wahrheit entspricht.“ Dennoch sei sie zufrieden. „Das fulminante Ergebnis der Grünen müssen wir neidlos anerkennen“, erklärte Guth. Die Wähler müssten mit den Folgen einer solchen Politik der „Klima-Hysterie“ leben. In Niedersachsen würden dies insbesondere die Landwirte, das produzierende Gewerbe und die Auto-Industrie zu spüren bekommen.