Braunschweig. Der Weiterbau der Autobahn löst bei Anwohnern Hoffnung, aber auch Ängste aus. Die Gesamtkosten steigen um 200 Millionen Euro.

Wer garantiert, dass die Baukosten für die A39 von 1,1 Milliarden Euro nicht überschritten werden? Es wäre ja nicht das erste Mal, siehe Elbphilharmonie, Flughafen Berlin-Brandenburg und Stuttgart 21.

Das fragt unser Leser Torsten Schmitt aus Braunschweig.

Die Antwort recherchierte Andre Dolle.

Wie unser Leser wussten sie es beim Umweltverband BUND Niedersachsen schon immer: Die 1,1 Milliarden Euro, die die Behörden 2012 für den Weiterbau der Autobahn 39 zwischen Wolfsburg und Lüneburg veranschlagt hatten, reichen nie und nimmer aus. Das mussten nun auch das Bundes- und Landesverkehrsministerium einräumen. Sie kalkulieren offiziell mit 1,3 Milliarden Euro. Womöglich wird auch diese Summe nicht ausreichen, heißt es aus den Ministerien. Die Planung werde immer detaillierter, die allgemeinen Baukosten steigen. Das merkt jeder Häuslebauer, wenn er einen Handwerker bestellt.

BUND-Landesgeschäftsführerin Susanne Gerstner kommentierte die neue Summe trocken. Sie sagte: „Solche Kostensteigerungen sind bei Großbauprojekten dieser Art üblich.“ Der Umweltverband sieht sich bestätigt: Der Weiterbau sei nicht nur klimaschädlich, sondern auch unwirtschaftlich.

Behörden bemessen die Wirtschaftlichkeit von Großprojekten mit dem sogenannten Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV). Das sei bei der A39 eindeutig gegeben, sagte Eike Frenzel, Sprecher des Landesverkehrsministeriums. Ein NKV von größer als eins weist auf eine Wirtschaftlichkeit und damit Bauwürdigkeit hin. Laut Frenzel liegt der NKV für den A39-Weiterbau bei 2,1. Allerdings bezieht sich dieser Wert auf die alte Gesamtsumme von 1,1 Milliarden Euro. Eine neue Berechnung des NKV auf Basis der neuen, 200 Millionen Euro teureren Prognose wird es aber vorerst nicht geben, sagte Frenzel.

Dabei verhandelt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 25. und 26. Juni über die Genehmigung für einen ersten Abschnitt der Autobahn zwischen Wolfsburg und Lüneburg. Es handelt sich um den Abschnitt sieben zwischen Wolfsburg und Ehra-Lessien. Frenzel sagte: „Der Weiterbau der A39 zwischen Lüneburg und Wolfsburg wird weiterhin als wirtschaftlich eingeschätzt. Der Bund sieht deshalb eine Neuberechnung des NKV nicht vor.“

Die Frage der Wirtschaftlichkeit ist nur ein Thema, mit dem sich das Bundesverwaltungsgericht befassen wird. Die Gemeinden Tappenbeck und Jembke aus dem Landkreis Gifhorn rücken als zwei von elf Klägern Details in den Fokus. Die Gemeinden sind unmittelbar betroffen: Tappenbeck wird aller Voraussicht nach den Sportplatz samt Vereinsheim verlieren. Denn an dieser Stelle soll die Autobahn künftig verlaufen. Und in Jembke soll eine große Tank- und Rastanlage entstehen.

„Die A39 ist ein Desaster für uns“, sagte Tappenbecks Bürgermeister Ronald Mittelstädt. So sähen es so ziemlich alle in der Gemeinde. An der dichtesten Stelle im kleinen Ort mit den 1400 Einwohnern wird die Autobahn 50 Meter an die nächste Wohnbebauung heranreichen. Die Lärmschutzwände sollen samt Wall bis zu zwölf Meter hoch werden. „Da sieht man die Sonne nicht mehr“, sagte Mittelstädt.

Die Gemeinde Jembke zahlt etwa 50.000 Euro an Anwaltskosten

Der SV Tappenbeck hat 400 Mitglieder. Wo jetzt die Tore auf einem der beiden Fußballplätze stehen, sollen in ein paar Jahren schon Autos und LKW fahren. Auf den 3,2 Hektar gibt es neben den beiden Fußballplätzen auch Tennisplätze, eine Schießanlage und das Vereinsheim, das gleichzeitig als Dorfgemeinschaftshaus herhält.

Laut Mittelstädt kostet ein neuer Sportplatz samt Vereinsheim etwa 4,8 Millionen Euro. Das hat die Gemeinde bereits berechnen lassen. „Das Land will uns aber bisher nur 1,75 Millionen als Ausgleich zahlen“, sagte der Bürgermeister. „Und das trotz der stark steigenden Kosten. Da wird doch auch für uns noch mehr drinsitzen.“

Im Nachbarort Jembke soll der Rasthof etwa 150 Meter vom nächsten Wohnhaus entstehen. Dort, wo der Rasthof gebaut werden soll, steht derzeit ein alter Anhänger. Die selbstgemalten Schilder machen deutlich: Die Jembker wollen den 18 bis 20 Hektar großen Rasthof nicht. Ein großer Parkplatz soll entstehen, dazu eine Tankstelle, das Wirtschaftsgebäude, wahrscheinlich mit einem McDonald’s- oder einem Burger-King-Restaurant.

Jembkes Bürgermeisterin Susanne Ziegenbein sagte, die meisten im Ort hätten sich mit der A39 abgefunden. „Aber der Rastplatz bereitet uns große Sorgen.“ Er fresse viel Fläche, die die wachsende Gemeinde im Speckgürtel von Wolfsburg eigentlich gar nicht zur Verfügung habe. „Und dann der ganze Müll, der sich rund um den Rasthof ansammeln wird“, sagte Ziegenbein.

Die Jembker fragen sich, warum man den Rasthof nicht weiter nördlich in Ehra-Lessien geplant habe. „Rund um den alten Truppenübungsplatz ist doch genug Fläche frei“, sagte Ziegenbein. Die Gemeinde zahlt für den Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht etwa 50.000 Euro an Anwaltskosten.

Doch nicht alle Jembker sind gegen den Weiterbau. Einige erhoffen sich eine Entlastung des Ortes vom Verkehr.

Karin Loock von der Bürgerinitiative „Natürlich Boldecker Land“ teilt diese Meinung nicht. Angesichts der steigenden Kosten für die Autobahn kritisierte sie Niedersachsens Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU): „Die Autobahn ist viel zu teuer. Es muss Schluss sein mit der Wünsch-dir-was-Politik.“ Der Ausbau der nahen Bundesstraße 4 sei viel kostengünstiger – und naturschonender. „Die Trasse für die B4 existiert doch schon. Sie muss nicht extra noch gebaut werden“, sagte Loock. Die aktuellen Steuerschätzungen für das Land Niedersachsen würden zeigen, dass das Geld an anderer Stelle viel besser eingesetzt werden könne, sagte Loock.

Der Umweltverband BUND ist als Kläger voller Hoffnung, dass das Milliarden-Projekt A39-Ausbau doch noch gestoppt wird. Landesgeschäftsführerin Gerstner setzt darauf, dass das „Bundesverwaltungsgericht zu der gleichen Einschätzung kommt wie der BUND, andere Umweltverbände und das Umweltbundesamt, das die A39 auf die Liste der umweltschädlichsten Projekte des Bundesverkehrswegeplans 2030 gesetzt hat“.

Laut Gerstner werden nationale und internationale Klimaschutzziele ignoriert. Die geplante Trasse beeinträchtige nationale und europäische Schutzgebiete, zerstöre wertvolle Lebensräume wie Moore und naturnahe Gewässerläufe und verstoße damit gegen Naturschutz- und Artenschutzrecht sowie die EU-Wasserrahmenrichtlinie. Gerstner schlussfolgerte: „Mit dem geplanten Bau der A39 wird der klimaschädlichste Verkehrsträger überhaupt – die Straße – gefördert.“

70 Prozent wollen laut Forsa-Umfrage den Weiterbau

Das sieht Gifhorns Landrat Andreas Ebel (CDU) völlig anders. Bei der Planung seien immer wieder Umweltbelange berücksichtigt worden. „Die Trasse wurde häufig umgeplant, dadurch wurde das Projekt 25 Prozent teurer.“ Der Landkreis brauche die Autobahn. Wir erhoffen uns Prosperität.“ Die Autobahn als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Ebel hat dabei ganz besonders den schwächeren Norden des Landkreises im Blick.

Viel zu lange habe man schon über die Autobahn diskutiert, sagte Ebel. Wie lange die A39 schon Thema ist, verdeutlicht ein Datum: Bereits 1969 gründete sich der Nordland-Autobahn-Verein (NAV), ein Zusammenschluss von Industrie- und Handelskammern, Landkreisen, Firmen und Einzelpersonen aus dem norddeutschen Raum. Der NAV setzt sich neben der A39 auch für die A21 vehement ein. „Wir müssen jetzt den Mut haben und müssen den nächsten Schritt gehen: Wir müssen bauen“, sagte Landrat Ebel. Er hoffe, dass das Bundesverwaltungsgericht keine Steine in den Weg legen werde. Denn die meisten Bürger seien für den Weiterbau.

Ebel beruft sich auf eine Forsa-Umfrage im Auftrag der IHK Lüneburg-Wolfsburg aus dem Jahr 2015. Demnach wollen 70 Prozent der Befragten den Lückenschluss zwischen Lüneburg und Wolfsburg.

Beim Landesverkehrsministerium ist man siegesgewiss. Sprecher Christoph Ricking sagte: „Den Klagen, mit denen sich das Gericht Ende Juni auseinander zu setzen hat, geht eine sehr gründliche Planung der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr voraus. Diese wurde mit Unterstützung von Fachbüros und Fachgutachtern nach und nach entwickelt, gerade auch mit einem intensiven Blick auf ihre Umweltverträglichkeit.“ Für einen Behördensprecher war das für ein offizielles Zitat schon recht offensiv.

Läuft vor dem Bundesverwaltungsericht aus Sicht des Ministeriums alles glatt, soll der Bau des ersten Abschnitts zwischen Wolfsburg und Ehra-Lessien noch 2019 beginnen. 2026 könnte die Autobahn durchgängig befahrbar sein.