Braunschweig. . Die FDP-Spitzenkandidaten Nicola Beer und Jan-Christoph Oetjen sprechen im Interview über den Brexit, Google und die Klimapolitik.

Die Parteien laufen sich für den Europa-Wahlkampf warm – auch die FDP mit ihrer Spitzenkandidatin Nicola Beer. Ihr Parteichef Christian Lindner hatte zuletzt wegen Bemerkungen über junge Klimademonstranten Kritik auf sich gezogen. Wir sprachen mit Nicola Beer und dem niedersächsischen FDP-Spitzenkandidaten Jan-Christoph Oetjen über die Klimapolitik, den Umgang der Europäischen Union mit Internet-Riesen wie Facebook und Google und über die Brexit-Hängepartie.

Frau Beer, wie sehr überschattet der Brexit die anderen dringenden Themen des Europawahlkampfs?

Beer: Es gibt jede Menge Herausforderungen, die angegangen werden müssten. Gleichzeitig kann ich nicht nachvollziehen, warum die EU das britische Referendum nicht als Weckruf verstanden hat. Wenn ein so gewichtiger, enger Partner geht, sollte man nicht nur über die Scheidungsurkunde nachdenken. Wir hätten uns fragen müssen, wie wir uns selbst besser aufstellen. Aber die Chance, die EU zu reformieren und die Briten vom Bleiben zu überzeugen, ist in den letzten Jahren vertan worden.

Wie sollte es aus Ihrer Sicht weitergehen im Verhältnis zwischen EU und Großbritannien?

Beer: Wir brauchen ein gutes, weiterhin möglichst enges Verhältnis. Wir Freie Demokraten haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Europawahl oder ein zweites Referendum dazu führen, dass die Briten am Ende sagen: Wir bleiben doch Mitglied.

Begrüßen Sie daher den erneuten Brexit-Aufschub?

Beer: Nein. Ich bin unglücklich darüber, dass Frau Merkel der dritten Verlängerung zugestimmt hat, ohne ein Ziel zu definieren. Wir alle wollen einen harten Brexit vermeiden, aber wir müssen wissen, wohin es gehen soll: Wollen wir den May-Deal, eine Zollunion, Neuwahlen oder ein zweites Referendum? Wir können nicht weiter „Und täglich grüßt das Murmeltier“ spielen.

Herr Oetjen, was muss aus niedersächsischer Sicht das Ziel sein?

Oetjen: Niedersachsen hat schon historisch – wir waren Teil der britischen Besatzungszone – eine enge Verbindung zu Großbritannien. Die Nähe ist aber nicht nur gefühlt, sondern auch wirtschaftliche Realität. Die Region von Wolfsburg bis Salzgitter wäre von einem Brexit ganz besonders hart betroffen. Deshalb ist es wichtig, die Briten in der Zollunion zu halten. Das würde uns auch handelspolitisch gegenüber den USA und China stärken.

Die FDP schreibt sich Klimaschutz auf die Fahnen. Stimmen Sie Christian Lindners Satz zu, Klimaschutz sei eine „Sache für Profis“?

Beer: Mit den „Profis“ hat er Forscher und Ingenieure gemeint, die an Lösungen arbeiten, unser Klima wirksam schützen. Leider machen wir in Deutschland das Gegenteil. Wir verbrennen Steuergelder, ohne der Umwelt zu nützen. Das beste Beispiel ist das batteriebetriebene Elektroauto. Dessen ökologischer Fußabdruck ist insgesamt umweltschädlicher als der eines Dieselfahrzeugs. Trotzdem wird es subventioniert aufgrund einer politischen Entscheidung. Ob die Bürger E-Autos kaufen wollen, aus welchen Quellen der Strom kommt, Volkswagen will Herkunft von Kobalt fob die benötigten seltenen Erden in Kinderarbeit abgebaut werden ür Akkus zurückverfolgen – alles egal. Gleichzeitig fließen in andere zukunftsträchtige Bereiche, etwa die Brennstoffzelle, weniger bis gar keine Forschungsgelder. Über die Technologien sollten die Wissenschaft und der Markt entscheiden. Die Politik sollte sich darauf beschränken, Ziele vorzugeben und nicht, wie Herr Habeck, fordern, dass der Verbrennungsmotor verboten werden muss.

Aber ist es nicht auch Aufgabe der Politik, zu steuern und im Zweifelsfall zu sagen: Für unsere Ziele müssen wir Verzicht üben?

Beer: Das ist doch ein völlig überkommenes Denken in Verboten und Bevormundungen – bis in meinen privaten Bereich. Wer so denkt, dem geht es nicht um Kritik am Diesel und seinen Emissionen. Nein, als nächstes wäre der Benziner dran, dann das Elektroauto. Mit Klimapolitik hat das nichts zu tun. Es geht gegen die gesamte individuelle Mobilität. Wir sollen in Massen-Verkehrsmittel gezwungen werden und nicht mehr entscheiden dürfen, wie wir uns bewegen. Dagegen stehen wir Freien Demokrat auf.

Oetjen: Gerade im Flächenland Niedersachsen mit vielen ländlichen Regionen, in denen der öffentliche Nahverkehr nicht so gut entwickelt ist, sind wir auf individuelle Mobilität angewiesen. Wir dürfen den ländlichen Raum nicht abkoppeln – schon um die Wohnungsnot in den Städten nicht zu verschärfen.

Beer: Die Frage ist doch: Wo können wir mit unserem Geld möglichst schnell möglichst viel für den Klimaschutz erreichen? Die Emissionen von Privatautos stehen in keinem Verhältnis zu dem, was beim Schiffsverkehr an Schweröl durch die Schornsteine geht. Wir müssen global denken. Statt nur hier die letzten fünf Prozent an Einsparungen rauszuholen, sollten wir lieber durch Export unserer Technik die Emissionen andernorts senken helfen.

Die protestierenden Schüler fordern ambitioniertere, schnellere Einsparungen. Die würden sagen: Was helfen uns Exporte, wenn wir in einigen Jahren absaufen?

Beer: Es ist das Vorrecht der Jugend, radikale Forderungen aufzustellen . Aber sie müssen sich auch Widerspruch gefallen lassen. Wir wollen die Pariser Klimaziele 2050 erreichen – ohne massive Arbeitsplatzverluste oder Standortgefährdungen. Was die Schüler propagieren, führt dazu, dass sich nur noch Reiche Autos leisten können. Politik dagegen trägt Verantwortung fürs ganze Land. Eine neue soziale Frage können wir nicht wollen.

Die EU spielt eine wichtige Rolle dabei, Internet-Riesen wie Facebook und Google in die Pflicht zu nehmen. Warum ist die FDP gegen das neue Urheberrecht?

Beer: Weil diese Reform aus unserer Sicht nicht gut gelöst worden ist.Wir wollen geistiges Eigentum schützen und eine angemessene Bezahlung für Urheber erreichen. Aber die jetzige Regelung wird dazu führen, dass viele Inhalte im Netz gar nicht mehr veröffentlicht werden, weil sie von Uploadfiltern der Plattformen aussortiert werden. Diese Filter sind für die Betreiber der einfachste Weg, sich jeglicher Haftung zu entledigen. Für Urheber bedeutet das: keine Veröffentlichung, keine Bezahlung. Deshalb haben wir das abgelehnt. Es gibt bessere Wege, die wir noch erreichen wollen, etwa über Lizensierungs-Modelle.

Tun sich die deutschen Liberalen schwerer damit, sich mit diesen großen Unternehmen anzulegen als ihre europäischen Parteifreunde – etwa die EU-Kommissarin Vestager, die Google empfindliche Strafen aufgebrummt hat?

Beer: Der Eindruck täuscht. Wir sind keineswegs zimperlicher. Wir unterstützen Margrethe Vestager, sich mit den Großen anzulegen. Sie ist die einzige, die das tut und dabei auch noch Geld für die EU herausholt. Durch sie hat sich das Verhalten von Irland geändert, wo die Konzerne jetzt nicht mehr von verdeckten Steuerrabatten profitieren. Und sie legt sich – zurecht – auch mit den Franzosen und den Deutschen an. Herr Altmeier hat sich tierisch darüber geärgert, dass Vestager ihm erklären musste, dass seine monopolistische Industriestrategie gegen das Wettbewerbsrecht verstößt. Mit solchen Staatsdirigisten legen wir uns leidenschaftlich gern an.

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Wir sollen in Massen-Verkehrsmittel gezwungen werden und nicht mehr entscheiden dürfen, wie wir uns bewegen.
Nicola Beer