Braunschweig. . Epidemiologe Gérard Krause lehnt eine Impfpflicht gegen Masern ab. Im Interview erklärt er, aus welchen Gründen

Soll die Masernimpfung zur Pflicht werden? Nach einem Vorschlag des SPD-Gesundheitspolitikers Karl Lauterbach prüft die Bundesregierung die Einführung einer gesetzliche Impfpflicht. Andreas Eberhard sprach darüber mit Professor Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig. Der Mediziner leitet die Abteilung für Epidemiologie.

Sind die gegenwärtigen Masernfälle schon die Auswirkungen einer steigenden Impfmüdigkeit?

An sich dürfte es solche Fälle in Deutschland gar nicht geben. Die Impfung ist schließlich kostenlos zu haben, wird empfohlen, und sie ist wirksam. Wenn sich eine einzelne Person, etwa aus religiösen Gründen, nicht impfen lässt, profitiert sie immer noch vom Impfschutz der anderen. Aber dass sich so viele nicht impfen lassen, ist eigentlich ein Skandal.

Ist die Impfmüdigkeit ein wachsendes Problem?

Das Problem ist vielschichtiger: Die Leute, die die Impfung tatsächlich ablehnen, sind meines Wissens die Minderheit derer, die sich oder ihre Kinder nicht impfen lassen. Bei der Mehrheit liegt es meines Erachtens daran, dass sie es vergessen oder vom Nutzen der Impfung nicht ausreichend überzeugt wurden.

Im Kreis Gifhorn beträgt der Immunisierungsgrad gegen Masern bei Schulanfängern nur 91,9 Prozent. Ist das nicht dramatisch wenig? Für eine „Ausbreitungsbarriere“ bräuchte man 95 Prozent.

Ich mag nicht dramatisieren, aber es ist schlicht unzureichend. Es muss doch möglich sein, alle, die nicht explizit dagegen sind, zu impfen. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die ungeimpften 8,1 Prozent wohlinformiert und bewusst dagegen entschieden haben.

Könnte eine Pflicht nicht helfen?

Ich bin da zurückhaltend. Ich würde mir eher wünschen, zunächst die Palette der Möglichkeiten, die wir haben, voll auszuschöpfen. Ich könnte mir etwa gut vorstellen, dass alle Eltern automatisch Impf-Erinnerungen vom Gesundheitsamt erhalten. Da wäre schon viel gewonnen. Wir müssen die Versorgungsprozesse so aufeinander abstimmen, dass man am Ende kaum noch umhin kommt, sich impfen zu lassen. Ich vermute auch, dass vereinzelt auch in der Ärzteschaft Fortbildungsbedarf besteht. Denn um seine Patienten zu überzeugen, muss man zunächst selbst gut informiert sein.

Gegen eine Impfpflicht spricht das alles nicht.

Nein, aber eine Pflicht würde viele Fragen mit sich bringen: Wann greift das? Wer meldet die Verstöße? Der springende Punkt ist aus meiner Sicht: Der Staat sollte niemanden zwingen, sich impfen zu lassen. Es handelt sich schließlich um einen medizinischen Eingriff an einer gesunden Person. Denn wenn doch einmal etwas passiert, dann steht der Vorwurf im Raum: Mein Kind wurde geimpft und hat nun dieses oder jenes Symptom. Die Leute zu ihrem Glück zu zwingen – damit tun wir uns keinen Gefallen. Bisweilen wird die Impfpflicht mit der Anschnallpflicht verglichen, aber da besteht ein wesentlicher Unterschied: Wir wissen, wie wirksam und gut verträglich unsere Impfungen sind. Trotzdem ist, anders als beim Gurt, ein sehr kleines medizinisches Risiko damit verbunden. Jeder, der die Sachlage kennt, sollte zu dem Schluss kommen, dieses winzige Risiko auf sich zu nehmen, aus rationaler Überzeugung heraus – aber ohne Zwang.

Masern gelten als Kinderkrankheit, schreibt unsere Leserin Jussy Santanastasio. Wie wichtig ist der Impfschutz für Erwachsene?

Sogar noch wichtiger als für Kinder. Wenn man als Erwachsener Masern bekommt, ist die Schwere der Krankheit typischerweise größer. Eine Impfung ist daher gerade für Erwachsene sehr sinnvoll.