Braunschweig. Amtsärztin Dagmar Ziehm: „Den Verlauf der Grippesaison durch Impfungen zu beeinflussen, davon sind wir noch weit entfernt.“

„Wie viele der bekannten Grippetoten und der an Grippe Erkrankten waren geimpft?“

Dies fragt unser Leser Wendt Dudzus aus Salzgitter-Thiede.

Die Antwort recherchierte Andreas Eberhard

So unerquicklich der heftige Grippewinter von 2017 auf 2018 war, so war er doch für viele Deutsche ein Weckruf. In der Folge gingen sie zum Arzt, um sich gegen Grippe impfen zu lassen – nicht wenige wohl zum ersten Mal. Zeitweilig wurde sogar der Impfstoff knapp.

Vergleicht man, wie viele Todesopfer die Grippe gefordert hat, so kommt man in der laufenden Saison laut dem neuesten Wochenbericht des Landesgesundheitsamts auf bisher 23 niedersächsische Grippetote – gegenüber der weitaus höheren Zahl von 104 im letzten Jahr. Unser Leser vermutet einen Zusammenhang zwischen der hohen Bereitschaft, sich impfen zu lassen, und der niedrigeren Zahl von Grippetoten. Er hofft: „Wenn bei Ihrer Recherche herauskommt, dass von den Grippetoten niemand geimpft war, vielleicht würde das mehr Menschen animieren, ihre Impfmüdigkeit zu überwinden.“

Grippeimpfung als „individuelle“ und „lokale“ Form der Vorsorge

Auch Dagmar Ziehm vom Niedersächsischen Landesgesundheitsamt in Hannover findet die Grippeimpfung wichtig. Einen Zusammenhang zu den Opferzahlen kann sie aber nicht bestätigen. „Durch die Impfungen nehmen wir bislang noch keinen Einfluss darauf, wie sich eine Grippesaison entwickelt“, sagt sie. Die Grippeimpfung sei eine „individuelle“ Form der Vorsorge. Sie diene dazu, die Grippe von besonders gefährdeten Gruppen oder aus Risikobereichen fernzuhalten. (Siehe Infokasten.) „Die Bedeutung der Impfung ist zwar groß, aber eher lokal: Wenn ich mich impfen lasse, schütze ich mein Umfeld. Den Verlauf der Grippesaison zu beeinflussen, davon sind wir noch weit entfernt.“

Ob Grippetote geimpft waren, wird nur lückenhaft erfasst

Trotzdem findet Ziehm die Frage des Lesers „gar nicht schlecht“. Sie berichtet: „In den Formularen, in denen uns die Todesfälle mitgeteilt werden, gibt es dafür sogar ein Meldefeld, wo der Arzt freiwillig eintragen kann, ob der Verstorbene geimpft war.“ Aber leider, so Ziehm, werde von diesem Feld nicht regelmäßig Gebrauch gemacht. Deshalb habe die Behörde nur sehr unvollständige Angaben. „Man könnte jetzt natürlich bei den Hinterbliebenen nachfragen, ob der oder die Verstorbene geimpft war“, sagt Ziehm unserer Zeitung am Telefon, „aber das unterlassen wir aus naheliegenden Gründen.“

Ohnehin, erklärt sie, selbst wenn man sie hätte, wäre eine solche Zahl wenig aussagekräftig. Ob ein Grippepatient stirbt oder nicht, hänge wesentlich von dessen allgemeinem Gesundheitszustand ab: wie alt, wie schwach er sei. Häufig ist es nicht unmittelbar die Influenza, die zum Tode führt, sondern die Verbindung mit anderen Grunderkrankungen. Von den Grippetoten Aussagen über die Wirksamkeit der Impfung abzuleiten, sei also nicht seriös, so Ziehm.

Wie sicher schützt die Impfung vor der Grippe?

Zahlen zur Impfwirksamkeit gibt es dennoch. So untersucht etwa das Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt für die Bundesländer Niedersachsen und Sachsen-Anhalt die Effektivität von Influenza-Impfstoffen bei Kindern. Auch das Berliner Robert Koch-Institut geht in seinen jährlichen Berichten zur Influenza-Saison auf die Wirksamkeit der Impfung ein.

Die Berechnungen zeigen, dass durch eine Impfung das Risiko, an einer echten Influenza zu erkranken, um circa 40 bis 60 Prozent reduziert wird. Diesen Wert nennt das niedersächsische Landesgesundheitsamt. Damit ist die Effektivität einer Influenzaimpfung weit von der manch anderer Impfungen entfernt. Eine Masernimpfung etwa schützt laut dem Robert Koch-Institut mit über 90-prozentiger Sicherheit dagegen, an Masern zu erkranken.

Die vergleichsweise schwache Effektivität der Grippeimpfung hat verschiedene Gründe. Zum einen verändern sich die Influenzaviren kontinuierlich. „Das heißt, dass sie selbst während einer Influenzawelle Varianten hervorbringen können, die von den aktuellen Impfstämmen abweichen“, erklärt Amtsärztin Dagmar Ziehm.

Die Impfstoffwahl: Eine Wette auf die Zukunft

Zum anderen hat die Produktion der Impfstoffe eine relativ lange Vorlaufzeit. Deshalb muss sich die Weltgesundheitsorganisation WHO, wenn sie über ihre Empfehlung für die Zusammensetzung des jeweils aktuellen Impfstoffs entscheidet, auf Zahlen stützen, die aus der Mitte der vorangegangenen Grippesaison stammen. Das heißt etwa, die jetzige Situation – gegen Ende der laufenden Grippesaison – kann bei der WHO-Impfempfehlung für den kommenden Winter schon nicht mehr berücksichtigt werden.

Die Entscheidung für die Zusammensetzung des Impfstoffs kommt also einer Wette auf die nächste Grippesaison gleich. Deshalb wirken die Grippeimpfungen von Jahr zu Jahr auch unterschiedlich gut. Im vergangenen Winter zirkulierten in Deutschland vor allem Influenza-B-Viren der sogenannten „Yamagata-Linie“. Diese waren allerdings im damals überwiegend verabreichten Dreifach-Impfstoff nicht enthalten waren. Dieses Jahr erhielten die meisten Deutschen, die sich impfen ließen, einen Vierfach-Impfstoff.

Auch wenn die Grippeimpfung längst nicht so gut schützt, wie man sich dies wünsche, sagt Dagmar Ziehm: „Sie ist die wichtigste und beste Präventionsmaßnahme, die wir haben. Mit guten Impfquoten können viele Erkrankungen verhindert werden. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Krankheitsverläufe bei geimpften Personen zumeist milder als bei ungeimpften Personen sind.“

Grippeimpfung: Empfehlung der Ständigen Impfkommission

Die Ständige Impfkommission (Stiko), ein Expertengremium am Robert Koch-Institut gibt jährlich aktuelle Impfempfehlungen heraus. Sie empfiehlt folgenden Personengruppen, sich jährlich im Herbst gegen Grippe impfen zu lassen:

Allen Personen, die 60 Jahre und älter sind

Personen mit Grundleiden wie z.B. Asthma, chronischen Herz-, Kreislauf-, Leber- und Nierenkrankheiten

Personen mit besonderer Gefährdung wie z.B. medizinischem Personal oder Menschen, die in Einrichtungen mit viel Publikumsverkehr arbeiten

Personen, die mit gefährdeten Risikopersonen im selben Haushalt zusammenleben oder diese betreuen.

Interaktiver Karte: Verfolgen Sie, wie viele Grippe-Fälle in der aktuellen Saison gemeldet wurden und noch werden - Woche für Woche.