Wolfenbüttel. . Prominente Angehörige dreier Religionen diskutieren in der Herzog-August-Bibliothek über Integration, Toleranz und Patriotismus.

Ich kam vor 32 Jahren als politischer Flüchtling nach Deutschland. Noch heute bin ich dankbar, dass mir damals alle Türen offenstanden. Im Gespräch mit meinen Studenten fällt mir aber auf, dass deren Liebe zum eigenen Land oft schwach ausgeprägt ist. Wie können wir diese wieder wecken, so dass die jungen Leute sich verpflichtet fühlen, unsere Demokratie zu gestalten und zu schützen?

Dies fragte Prof. Reza Asghari die Diskutanten in der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek.

Über die Veranstaltung berichtet Andreas Eberhard

Eigentlich sollte es ja um die „Grenzen der Toleranz in einer wehrhaften Demokratie“ gehen – bei der Diskussion der Konrad-Adenauer-Stiftung am Mittwochabend in der Wolfenbütteler Herzog-August Bibliothek. Über die wehrhafte Demokratie im eigentlichen Sinne, also die Mittel des demokratischen Rechtsstaates, sich gegen seine Feinde zur Wehr zu setzen, wurde allerdings kaum gesprochen im restlos gefüllten Augusteersaal. Stattdessen diskutierten prominente Angehörige der drei Religionen Christentum, Judentum und Islam vor allem über die Herausforderungen und Tücken der Toleranz.

Vor allem die Integration von Zuwanderern stand im Zentrum der Diskussion. Diesen thematischen Rahmen setzte Frank Oesterhelweg (CDU), der durch den von der Konrad-Adenauer-Stiftung veranstalteten Abend führte: „Toleranz kommt nie ohne Grenzen aus“, zitierte der Landtagsvizepräsident aus einem Artikel des Historikers Michael Stürmer in der Zeitung Die Welt. Oesterhelweg übernahm Stürmers Diagnose eines „Gezeitenwechsels von der Duldsamkeit zur Unduldsamkeit“ und fragte: „Haben wir den Bogen überspannt?“

Der evangelische Pfarrer und Ex-Vorstandschef des Braunschweiger Krankenhauses Marienstift Burkhard Budde nahm diese Frage indirekt auf. Bildmächtig entwarf er die Vision eines „Hauses der wehrhaften Demokratie“, in dem „roten Linien im Nebel der Toleranz“ die Grenzen des Zulässigen setzten. Wie diese Linien konkret aussehen könnten, dazu lieferte Budde eher Stichworte denn konkrete Antworten: Religionsfreiheit, Recht auf Bildung, Gleichberechtigung. Eine unabdingbare Hausregel sei aber, dass die Menschenwürde nicht verletzt werden dürfe.

Michael Fürst, dem Vorsitzenden des niedersächsischen Landesverbands der Jüdischen Gemeinden ging es zunächst um die Klärung der Frage: Was verstehen wir überhaupt unter Toleranz? „Zuhören“ – das sei für ihn das Schlüsselwort, sagte Fürst. „Obwohl ich vielleicht andere Erfahrungen gemacht habe und anders empfinde als mein Gegenüber, höre ich dem anderen zu und nehme hin, dass er ehrlich und wahrhaftig ist und das meint, was er sagt.“ Unabhängig davon, so Fürst, sei es „überhaupt keine Frage“, dass die Zugewanderten bereit sein müssten, die deutsche Sprache zu erlernen.

Werde diese Art Toleranz mit Leben gefüllt, dann fügten sich die Menschen aus verschiedenen Kulturen zu einem „wunderschönen Mosaik“ zusammen, stimmte der im Libanon geborene Pflegeunternehmer Yazid Shammout seinem Vorredner zu. Shammout, Vorsitzender der Palästinensischen Gemeinde Hannover, betonte jedoch: „Toleranz ist keine Einbahn-, sondern eine Zweibahnstraße.“ Die Deutschen müssten den Einwanderern deutlich machen, welche Erwartungen sie an die Hinzugekommenen haben. Er tue dies auch: Obwohl er etwa dringend Personal für sein Pflegeunternehmen suche, dürften seine Mitarbeiterinnen während der Arbeit kein Kopftuch tragen. „Woher kommt die Angst der Deutschen davor, solch klare Grenzen zu ziehen“, fragte der gläubige Muslim, „warum überlässt man das den Radikalen?“ Für ihn ist das Kopftuch das Symptom eines rückwärtsgewandten Islam-Verständnisses. „Ab Ende der siebziger Jahre kam es durch den Export des saudischen Wahhabismus zu einer Rolle rückwärts in der Welt des Islam“, sagte er: „Wir in Deutschland sind verdammt noch mal verantwortlich dafür, das nicht auch noch zu unterstützen.“

Als Michael Fürst auf die Frage einer Zuhörerin antwortete, über die „Grenzen der Toleranz“ in einer „wehrhafte Demokratie“ hätten letztlich die Gerichte zu entscheiden, widersprach CDU-Mann Oesterhelweg: „Wenn etwa in einem Urteil feststellt wird, dass es in Ordnung ist, als Deutscher mehrere Ehefrauen zu haben, dann müssen wir daran etwas ändern.“ Dies wiederum reizte Shammout zum Widerspruch: „Statt über Randphänomene wie Vielehen zu diskutieren, sollten wir lieber den Stier bei den Hörnern packen. Unsere Aufgabe, zu definieren, wie wir leben wollen, nimmt uns niemand ab.“

Auf eine Pflicht aller Demokraten, sich aktiv für das eigene Land und den Erhalt der Demokratie einzusetzen, zielte auch die Frage von Reza Asghari. „Das ist einer der Fehler, die wir in Deutschland machen“, pflichtete ihm Michael Fürst bei, „dabei können wir sehr wohl zu unserem Land stehen.“ Ohne das Wort Patriotismus in den Mund zu nehmen, sagte Fürst: „Dass sowas nicht automatisch schlecht ist, dafür gibt es in vielen Ländern gute Gegenbeispiele – und dabei denke ich nicht an die Schmalzlocke aus den USA.“

Der Theologe Budde antwortete Asghari, jeder der an das „Haus der wehrhaften Demokratie“ glaube, müsse sich aktiv für dieses einsetzen und für „Werte“ wie Fairness und Wahrhaftigkeit kämpfen. „Wenn wir selbst begeistert sind, können wir auch andere begeistern.“ Anders als Fürst, der vor allem die Schulen in der Pflicht sieht, ein demokratisches Bewusstsein in den Schülern zu wecken, betonte der Unternehmer Shammout, diese Aufgabe müsse schon in den Familien beginnen. Die Demokratie lebe von der engagierten Teilnahme: „Deshalb dürfen wir nicht alles auf die Schulen, die Politik oder die Medien abwälzen.“