Braunschweig. Abbiegeassistenz-Systeme in Lkw sollen Unfälle an Kreuzungen reduzieren. Getrennte Ampelschaltungen für Kraftfahrzeuge und Radler würden mehr Sicherheit bringen.

Die Unfälle mit Lkw passieren fast immer im innerstädtischen Bereich, wo das Verhalten der Verkehrsteilnehmer über Ampeln geregelt wird. Wieso wird hier nie die Frage gestellt, dass deren Schaltungen mitverantwortlich sind an diesen tödlichen Unfällen? Warum werden Ampelschaltungen nicht viel stärker entzerrt, wieso Grün- und Rotphasen nicht stärker voneinander entkoppelt?

Das fragt unser Leser Gerhard Nothhaft aus Salzgitter-Bad.

Zu dem Thema recherchierte Dirk Breyvogel.

Keine Kreuzung gleicht der anderen. So unterscheiden sie sich nicht nur hinsichtlich des jeweiligen Verkehrsaufkommens, sondern auch mit Blick auf bauliche Voraussetzungen. Deswegen ist es schwierig bei der Frage, wie Ampeln da oder dort geschaltet werden sollten, eine Einheitsregelung zu finden.

Doch auch der Verkehrsgerichtstag (VGT) in Goslar hat sich in diesem Jahr in dem Arbeitskreis „Lkw- und Busunfälle“ bei seinen Empfehlungen sehr einhellig dafür ausgesprochen, „Verkehrsströme so zu steuern, dass abbiegende Kraftfahrzeuge und Radfahrende beziehungsweise zu Fuß gehende jeweils eigene Grünphasen haben“, wo immer das möglich ist. Diese Empfehlung würde unser Leser sicherlich sofort unterschreiben.

Roland Huhn, Referent für Fragen der Verkehrssicherheit beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), spricht von einem sehr klaren Votum der Teilnehmer auf dem VGT. Den Grund liefert der ADFC-Mann auch direkt mit. „Die Zahl der getöteten Radfahrer durch rechtsabbiegende Lkw liegt seit 2013 auf einem konstant hohen Niveau – bei mindestens 30 Toten, Tendenz steigend.“ Hinzukämen laut Huhn im ersten Halbjahr 2018 fünf Unfälle, bei denen Kinder starben. „Die Opfer waren zwischen sieben und elf Jahren. Das sensibilisiert nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch alle, die an Verkehrssicherheit interessiert sind.“

Huhn hofft daher auf eine schnelle europäische Lösung, wenn es darum geht, automatische Abbiege­assistenten für neue Lkw gesetzlich vorzuschreiben. Ohne die würde es nicht gehen. Bei der Frage der richtigen „Schaltung“ von Ampeln müsse man allerdings mit Augenmaß vorgehen. Oftmals würden Straßenbaubehörden den Plänen im Weg stehen, da diese mit der Entkoppelung der Grün-Phasen ein Problem hätten. „Die Planer in den Städten müssen abwägen, wieviel Wartezeit dadurch an hochfrequentierten Kreuzungen entsteht. Es gehört nämlich auch zur Wahrheit, dass nicht alle Verkehrsteilnehmer die Geduld aufbringen, auf ihr Grün zu warten.“

In den täglichen Begegnungen zwischen Pkw- und Lkw-Fahrern auf der einen und Radfahrern und Fußgängern auf der anderen Seite käme es immer wieder zu Missverständnissen. „Im schlimmsten Fall sind diese tödlich“, sagt Huhn. Innerstädtische Kreuzungen stellten hier eine besonders hohe Gefahr dar. Deswegen ist der Sicherheitsexperte des Fahrrad-Clubs für ein umfassendes Maßnahmenpaket, um tödliche Abbiegeunfälle einzudämmen. „Dazu gehören neben der verbesserten Technik für LKW auch die veränderte Führung von Radwegen sowie intelligentere Ampelschaltsysteme.“

Die Niederlande seien hier für vieles, was die Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr betreffe, vorbildlich, sagt Huhn. Dort gibt es an Kreuzungen beispielsweise ein „Rundum-Grün“ für Fußgänger. „Jede Querung ist gleichgeschaltet. Das heißt auch. Autos oder Lkw haben automatisch Rot, wenn die Fußgänger gehen dürfen.“ In Deutschland werden Ampelschaltsysteme mit „bedingt verträglich“ beschrieben, denn Verkehrsteilnehmer müssen mitunter aufeinander Rücksicht nehmen. „Wer Grün hat, hat nicht automatisch Vorfahrt.“

Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hat sich zur Aufgabe gemacht, die Verkehrssicherheit auf Deutschlands Straßen zu verbessern und zu helfen, Unfälle zu vermeiden oder zumindest abzuschwächen.

Der Leiter der Abteilung Unfallforschung beim UDV, Siegfried Brockmann, sagt, dass die Frage des Lesers ihre Tücken habe, denn nicht jede Kreuzung sei in Deutschland automatisch mit Ampelsystemen ausgestattet. Es passierten auch viele Unfälle an Ein- oder Ausfahrten. Zuletzt war in Hannover eine Elfjährige von einem Müllwagen tödlich erfasst worden, in Köln wurde im Mai 2018 ein siebenjähriger Junge in einer verkehrsberuhigten Zone getötet. Um die Sicherheit zu verbessern, müsse man das eine tun und dürfe das andere nicht vernachlässigen, so Brockmann.

Er plädiert auch dafür, die Infrastruktur für Radfahrer weiter zu verbessern. „Radwege müssen direkt an die Straße.“ Wenn zwischen Radweg und Straße noch parkende Autos stehen, könnte das auch die Sensorik des Lkw-Abbiegeassistenten irritieren.“

Der ADFC hält die Geräte für technisch zuverlässig und spricht von einer „Sichtbeziehung“, die für den abbiegenden Kraftfahrer stimmen müsse. Es hätte sich gezeigt, dass der parallel zur Straße verlaufende Radweg dafür entweder sehr nah oder relativ weit weit weg gebaut werden müsse.

Brockmann nimmt auch Stellung zu einer weiteren Anmerkung des Lesers in seinem Brief. Dieser hatte auf ein Paradoxon hingewiesen, das aus seiner Sicht die Gefahr von tödlichen Unfällen im Straßenverkehr erhöhe. Von Kindesbeinen an werde gelehrt, dass es „rote und grüne Ampel-Bilder gibt und das bei Rot eine Gefahrensituation besteht und man stehen bleiben muss und bei Grün der Weg frei ist, und das Kind dann die Straße überqueren kann“. Beim Rechtsabbiegen würde das Erlernte daher ad absurdum geführt, so das Fazit des Lesers. Auch deshalb plädiere er für eine geänderte Ampelschaltung.

„Ich würde mein Kind so heutzutage nicht mehr erziehen“, entgegnet Brockmann. „Bei Rot muss man stehen bleiben, das unterschreibe ich. Bei Grün muss jedes Kind sich erstmal einen Überblick verschaffen.“ Erst dann sollte es sich auf den Weg über die Straße machen.