Salzgitter. Alte Technik an Strecken, Signalen und Weichen ist die Ursache vieler Probleme. Dazu kommt Personalmangel.

Ich fahre täglich mit RB 46 zur Arbeit. Warum ist es nicht möglich, die Strecke zuverlässig zu bedienen? Unpünktlichkeit ist leider die Regel.

Das fragt unser Leser
Oliver Baxmann aus Salzgitter

Die Antwort recherchierten
Andreas Schweiger und
Jens Gräber

RB 46 ist ein unsteter Geselle. Mal kommt er, mal kommt er nicht, Unpünktlichkeit ist sein Erkennungszeichen. In den vergangenen Wochen ist die Unzuverlässigkeit sogar zur Regel geworden. RB 46 ist eine von der Deutschen Bahn bediente Regionalbahn-Verbindung, die von Braunschweig nach Herzberg im Südharz führt und täglich viele Pendler aus dem Westharz und aus Salzgitter morgens nach Braunschweig befördert und abends wieder zurück. Derzeit sind die Fahrpläne jedoch nicht mehr als eine Art Folklore, eine sentimentale Erinnerung an eine längst vergangene Zeit der Verbindlichkeit.

Doch damit nicht genug: RB 46 hat einen guten Kumpel. Und der heißt Fahrgastinformationssystem. Das ist eine Anzeige am Bahnsteig, die die Fahrgäste zum Beispiel über Verspätungen informieren soll. Dass das nicht immer minutengenau geschehen kann – geschenkt. Dass das Fahrgastinformationssystem aber tatsächlich eher der Grimmschen Märchensammlung zugeordnet werden müsste, geht wohl auch am Ziel vorbei. Der Klassiker: Das Fahrgastinformationssystem zeigt eine Verspätung von zehn Minuten an. Die bleibt auch bestehen, wenn die zehn Minuten überschritten sind. Nach 15 Minuten dann erschließt die Verspätungsanzeige ohne weitere Informationen, der Zug ist aber immer noch nicht da. Ein weitere Spielart: Das Fahrgastinformationssystem zeigt zehn Minuten Verspätung an, sind neun Minuten um, springt die Anzeige auf 20 Minuten Verspätung, sind davon 19 Minuten verstrichen auf 30 Minuten Verspätung. Nach 40 Minuten erschließt dann die Anzeige gerne, ohne dass RB 46 den Bahnhof erreicht hat. Zurück bleibt ein wartender Fahrgast, der sich immer wieder über diesen – naja – Kundenservice „freut“.

Wie Bahnen und Busse in unserer Region verkehren, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer fein verästelten Planung. Geplant und ausgeschrieben wird der Öffentliche Personennahverkehr im Auftrag des Lands vom Regionalverband Großraum Braunschweig. Darin wirken Abgeordnete aus den Städten und Kreisen in unserer Region. Nach Angaben des Regionalverbands ist RB 46 in unserer Region eine der am häufigsten von Verspätungen betroffenen Bahnlinien. Dennoch seien die Züge auf dieser Strecke von Januar bis September zu 92,54 Prozent pünktlich gefahren. Zum Vergleich: Auf den Verbindungen Braunschweig – Salzgitter-Lebenstedt und Braunschweig Schöppenstedt, die ebenfalls von der Deutschen Bahn bedient werden, liegt die Quote nach Angaben des Regionalverbands bei 98,1 beziehungsweise 97,6 Prozent. Allerdings ist der Begriff „pünktlich“ offensichtlich dehnbar. Denn in dieser Statistik sind nicht die Verspätungen unter fünf Minuten erfasst, auch nicht die über 60 Minuten. Diese Statistik bietet also nur einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit.

Was ist nun der Grund für die Unpünktlichkeit von RB46? Nach Angaben von Fritz Rössig, der beim Regionalverband verantwortlich ist für den Regionalverkehr, gibt es eine ganze Kette von Ursachen. „Die Signal- und Stellwerktechnik ist sehr alt und damit störanfällig“, sagt er. Außerdem habe es erhebliche Personalprobleme gegeben. So fehlten nicht nur Lokführer, sondern auch Personal für die Stellwerke. „Vor allem abends fehlte dort das Personal“, sagt er. Eben wegen dieser veralteten Technik könne auch das Fahrgastinformationssystem keine zuverlässigen Angaben liefern. Rössig: „Für Echtzeitangeben fehlen ausreichend Daten, an den veralteten Strecken gibt es zu wenige Messpunkte.“

Ein weiteres Problem: Die Strecke von Braunschweig nach Herzberg ist in vielen Abschnitten nur eingleisig. Kommt es zu Verspätungen, müssen die Züge oft warten, um den entgegenkommenden Zug passieren zu lassen. Dadurch schaukeln sich Verspätungen im Tagesverlauf auf und können nicht wieder aufgeholt werden – sehr zum Ärger vieler Fahrgäste. Dass die Züge auf Zwischenabschnitten schneller fahren können als derzeit, um Verspätungen zumindest zum Teil aufzuholen, sei erst möglich, wenn die Strecken dafür technisch aufgerüstet würden – etwa mit neuen elektronischen Signalanlagen. Bis das geschehen ist, gilt: Der Fahrplan geht immer vom Ideal aus, Störungen sind nicht eingeplant.

Nach Angaben Rössigs ist dieses Problem beim Regionalverband längst bekannt. „Und wir sind damit bestimmt nicht glücklich“, sagt er. Zumal die Verträge mit den Verkehrsgesellschaften und Infrastrukturbetreibern genau vorgeben würden, welche Dienstleistung erfüllt werden muss. Über Geldstrafen und die Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenpersonennahverkehr könne der Regionalverband Druck machen.

Glücklich ist auch Björn Gryschka vom niedersächsischen Fahrgastverband Pro Bahn nicht. Er macht im wesentlichen dieselben Ursachen für die Probleme aus: Personalmangel und ungenügende Infrastruktur, vor allem das oft fehlende zweite Gleis. Manchmal seien es auch Prestigeprojekte im Fernverkehr, die den Nahverkehr ausbremsen: Weil die Sprinter-Züge der Bahn von Berlin aus über Hannover fahren, müssen andere Züge oft warten, um die besonders schnellen ICE-Züge passieren zu lassen.

Zum Informationschaos, dem sich wartende Fahrgäste oft ausgesetzt sehen, tragen laut Gryschka auch die Betreiber von Privatbahnen bei. Die Anbieter gäben ihre Informationen über Verspätungen nicht immer sofort an die Deutsche Bahn weiter, die für die Informationstafeln an den Bahnhöfen verantwortlich ist.

Bei allem Bahnfrust gilt: Fahrgäste können sich wehren. Allerdings gibt es Fahrpreiserstattungen stufenweise erst ab einer Verspätung von 60 Minuten. Dass auch das tägliche Warten von 5, 10, 15 oder noch mehr Minuten nervt, wird nicht berücksichtigt.

Nach Angaben Rössigs wird die Strecke von Braunschweig nach Herzberg in den nächsten Jahren modernisiert. Das gelte für die Gleise ebenso wie beispielsweise für Stellwerke. Sie würden nun elektrifiziert, soll heißen: Elektrische Signale ersetzen die bisherigen Bowdenzüge. Die Bahn habe ferner ein Programm gestartet, um zusätzliches Personal zu gewinnen. Es wird also noch eine Zeit dauern, bis RB 46 wieder zuverlässig fahren könnte. Immerhin soll es zum Fahrplanwechsel am 9. Dezember ab Braunschweig von Sonntag bis Donnerstag um 23.05 Uhr eine zusätzliche Spätverbindung geben, weil nun die Stellwerksbesetzung geregelt werden konnte. Bisher fuhr der letzte Zug ab Braunschweig unter der Woche um 22.05 Uhr. Dieses Angebot hätte es schon vor einem Jahr geben sollen, ist aber am erwähnten Personalmangel gescheitert.

Von der Bahn heißt es, dass das Harz-Weser-Elbe-Netz, in dem sich RB 46 regelmäßig verfängt, für 72 Millionen Euro modernisiert werde. So sollen zum Beispiel 36 von 40 alten Stellwerken bis Ende 2021 ersetzt werden.

Zusätzlich würden „Pünktlichkeitsmanager“ daran arbeiten, die Situation zu verbessern. Dabei könne es um Instandhaltungen gehen oder um Fahrplananpassungen. Allerdings sei die Bahn nur für etwa ein Drittel der Störungen verantwortlich. Die anderen beiden Drittel verteilten sich auf Vandalismus und Wetterkapriolen.

Eine Pünktlichkeitsstatistik für unsere Region wollte die Deutsche Bahn nicht vorlegen. Begründung: „Aussagen zu Pünktlichkeit einzelner Produkte, Regionen, Linien oder Bahnhöfen sind für unsere Kunden wenig hilfreich. Denn die Pünktlichkeit unterliegt Schwankungen, eine kurzfristige Betrachtung ist nicht aussagekräftig. Einzelbetrachtungen zur Pünktlichkeit in Bahnhöfen stellen Momentaufnahmen dar, die keine allgemeinen Rückschlüsse erlauben.“

Neben der Deutschen Bahn bieten auch die Privatbahnen Erixx und Enno in unserer Region etliche Nahverkehrs-Verbindungen an. Anfragen bei den Betreibern zur Pünktlichkeit ihrer Züge blieben allerdings unbeantwortet.