Braunschweig. Niedersachsens Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung, Birgit Honé, spricht im Interview über Fördergelder, Fusionen und ihr neues Amt.

Frau Honé, Sie waren unter Rot-Grün als Staatssekretärin in der Staatskanzlei für Europa zuständig. In der Großen Koalition sind Sie nun eigenständige Ministerin für Europa, Bundesangelegenheiten und Regionale Entwicklung. Wie groß ist der Unterschied?

Mit der Staatskanzlei im Rücken konnte man früher ein paar Dinge etwas leichter durchsetzen. Heute muss ich mich in die Riege der anderen Ministerinnen und Minister einreihen. Deshalb funktionieren Absprachen und auch die Zusammenarbeit anders. Im Hinblick auf die Arbeit in Brüssel ist der Titel Ministerin aber deutlich von Vorteil.

Weil Sie als Ministerin einen anderen Status haben?

Absolut, der neue Status wirkt wie ein Türöffner. Als Ministerin ist man eine gefragtere Gesprächspartnerin. Obwohl ich immer noch dieselbe Person bin, bekomme ich nun zügiger Gesprächstermine bei der Kommission. Das ist gut für das Land. Als es beispielsweise um Probleme der niedersächsischen Krabbenfischer mit der EU-Beifangverordnung ging, hatten wir innerhalb von 14 Tagen einen Termin, konnten das Anliegen vortragen. Das zeigt, die Konstellation, die mein Ministerium mit Brüssel, Berlin, Hannover und den Regionen abdeckt, ist ein großartiger Transmissionsriemen. Wir können regionale oder Landesthemen aufgreifen und bis nach Berlin und Brüssel transportieren – und umgekehrt.

Auch bei Fragen, die unsere Region mehr betreffen als das Krabbenfischen?

Selbstverständlich. Die EU-Kommission ist immer an Informationen aus erster Hand interessiert. Bei Gesprächen mit Regierungsvertretern aus Niedersachsen werden stets aktuelle Themen angesprochen, beispielsweise nach der Umsetzung von Umweltstandards – gerade wenn es um Abgase und CO2-Emissionen geht. Die Landesregierung gibt hier bereitwillig Auskunft, denn wir haben ein großes Interesse, daran, dass die Kommission in den uns betreffenden Sachverhalten möglichst gut informiert ist. Schließlich haben wir in Niedersachsen ja einen großen Automobil-Player – und dort die eine oder andere Fragestellung.

In Brüssel läuft es also offensichtlich. Wie funktioniert denn aber die Abstimmung innerhalb der Landesregierung? Da gibt es einen Umweltminister und auch einen Wirtschaftsminister, der im Aufsichtsrat von Volkswagen sitzt, dem angesprochenen großen Player. Diese Minister vertreten ja nicht immer die gleiche Position.

Zum Abstimmungsverhalten der Vertreter des Landes im Aufsichtsrat von VW kann ich nichts sagen. Allgemein einigt sich die Landesregierung in der Regel auf eine gemeinsame Position. Es gibt seit Jahren eingeübte Abstimmungsverfahren, Gespräche auf Arbeitsebene, die Runde der Staatssekretäre oder letztlich die Kabinettsrunde. Mein Haus ist ein Querschnittsministerium und hat als solches eine Dienstleistungs- und Klammerfunktion. Als beispielsweise Frankreichs Präsident Macron eine Debatte darüber angestoßen hatte, die Universitäten europäischer anzulegen, war mein Haus hilfreich, für unseren Wissenschaftsminister Björn Thümler zu diesem Thema eine Veranstaltung in unserer Landesvertretung in Brüssel zu organisieren. 150 Gäste waren da, auch viele von der Kommission

Es gab die Absicht, die Förderung für unsere Region zu verringern. Der Vorstoß, den Zuweisungsschlüssel zu ändern, kam aus dem CDU-geführten Landwirtschaftsministerium. Wie gut funktionierte denn da die Abstimmung? Die Sache hat massive Irritationen ausgelöst.

Im Frühjahr waren einige Abstimmungsmechanismen noch nicht so gut eingespielt. In der vergangenen Legislaturperiode hatten sich Staatskanzlei und Landwirtschaftsministerium gefragt, warum EU-Fördergelder gerade die strukturschwachen Regionen des Landes nur unterdurchschnittlich erreichen. Ein Grund war, dass viele strukturschwache Kommunen die erforderliche Kofinanzierung nicht stemmen konnten. Dieses Problem haben wir mit einem Landesprogramm gelöst. Zudem haben wir damals festgestellt, dass von den Mitteln für die ländliche Entwicklung in den Regionen Braunschweig und Leine-Weser relativ wenig ankommt. Ein Weg, diesen Missstand zu beheben, war es, allen vier Amtsbezirken einen gleich hohen Anteil zuzuweisen. Werden sie in bestimmten Regionen nicht ausgeschöpft, gehen sie woanders hin. Damit sollte den Akteuren in Braunschweig, Hildesheim, Göttingen usw. ein Ansporn gegeben werden, sich auf den Weg zu machen. Das wurde nun vom Agrarministerium in Frage gestellt. Ich gebe zu, das war für mich ärgerlich. Jetzt haben wir aber Verabredungen getroffen.

Wie sieht die Lösung aus? Man redet von Evaluierung, aber bisher scheint nicht einmal klar, was evaluiert werden soll: Ihr Ansatz, 25 Prozent in jede der vier Regionen zu geben, oder aber der Ansatz des Agrarministeriums, wonach Weser-Ems 10 Prozentpunkte mehr bekommt als unsere Region?

Wir wollen schauen, ob sich an dem Gefälle zwischen den Regionen etwas verändert hat. Gibt es einen Anstieg für Braunschweig und Leine-Weser? Dafür gibt es deutliche Anzeichen. Wir werden eine Lösung finden, die Braunschweig und Leine-Weser weiterhin positiv bedient.

Es hilft ja durchaus, wenn sich die Landesregierung als Koordinator in den Regionen einbringt, das zeigt auch das Projektbüro für das Südniedersachsen-Programm in Göttingen. Wie stark macht man aber ein Landesamt für solche Aufgaben? Hängt es zu sehr an der Person des Landesbeauftragten? Die CDU steht nach wie vor nicht hinter diesen Ämtern. Auch das Südniedersachsen-Programm trägt aus CDU-Sicht den Stempel Weil und SPD, ist damit schlecht.

Nach meiner Erfahrung tragen die CDU-Bürgermeister vor Ort das Südniedersachsen-Programm mit. Die kritischen Stimmen sind verstummt, die Wirtschaft zieht mit. Niedersachsen als zweitgrößtes Flächenland der Bundesrepublik braucht eine Vertretung des Landes in den Regionen. Insofern bin ich als ehemalige Regierungspräsidentin klare Anhängerin der Mittel-
instanzen. Aber: Die Bezirksregierungen sind abgeschafft und werden nicht wiederkommen. Also brauchen wir eine andere Lösung.

Das brachte Ihnen eine wütende Pressemitteilung des CDU-Abgeordneten Uwe Schünemann ein.

Die Frage ist, ob Herr Schünemann immer für die CDU in Niedersachsen spricht. Ich bin mir da nicht so ganz sicher. Die Ämter gibt es immer noch. Die CDU stellt zwei Landesbeauftragte. Und im Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU darauf geeinigt, eine Weiterentwicklung der Ämter zu prüfen. Wie es weitergeht, wird die verabredete Regierungskommission aufzeigen, die die Verwaltungsstrukturen im Land untersuchen soll. Die letzten Gespräche zur Einsetzung laufen.

Die Kommission wird also sehr bald eingesetzt?

Davon gehe ich aus, ja. Ich bin optimistisch, dass sie noch in diesem Jahr kommt. Und für eine Weiterentwicklung der Ämter wollen wir ja noch bis Mitte der Regierungsperiode Ergebnisse erzielen.

Es gibt ungleiche Lebensverhältnisse im Land, es gibt schwache und starke Landkreise. Die Vorgängerregierung hat eine Kommunalreform gescheut. Was ist die Arbeitshypothese der Kommission? Sie wird nur funktionieren, wenn sie einen klaren Auftrag hat.

Als die Bezirksregierungen abgeschafft wurden, ist eine Reihe von Aufgaben in die Ministerien gewandert, die auch von nachgeordneten Behörden bearbeitet werden könnten. Das muss auf den Prüfstand. Einige Aufgaben könnten zum Beispiel die Ämter für regionale Landesentwicklung übernehmen. Und zum Thema Gebietsreform: Die Länder, die das von oben verordnet haben, wie jüngst Brandenburg, haben reichlich Unmut geerntet und sind am Ende gescheitert.

Solche Sätze haben wir von Ministerpräsident Weil und von Innenminister Pistorius schon oft gehört. Die Landesregierung hat doch aber die in der Verfassung niedergeschriebene Pflicht, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Dafür braucht es starke Kreisverwaltungen. Das ist nicht überall im Land gegeben. Entledigt man sich durch die Kommission eines unliebsamen Themas?

Für mich ist wichtig, dass die Regierungskommission Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Ämter macht. Einige Hinweise, wohin es gehen könnte, stehen bereits im Koalitionsvertrag. Gestärkte Ämter sind in der Lage, da wo gewünscht, auch auf der kommunalen Ebene, noch stärker zu unterstützen.

Die Kreise Göttingen und Osterode haben doch gezeigt, dass Fusionen möglich sind.

Das war eine freiwillige Fusion, die das Land positiv begleitet hat und die durch starke Persönlichkeiten in den Landkreisen forciert wurde. Was passiert, wenn sich Kommunen und kommunale Spitzenverbände nicht einig sind, hat man an der gescheiterten Fusion Wolfsburgs und Helmstedts gesehen. Da gab es massive Gegenbewegungen. Man muss die Menschen vor Ort mitnehmen. Da sollte das Land nicht Zwang anwenden. Es gibt eine hohe regionale Identifikation. Ein Ostfriese oder ein Braunschweiger ist in erster Linie Ostfriese oder Braunschweiger. Erst dann fühlen sie sich als Niedersachsen. Viele kleine und mittelgroße Städte können ihre Aufgaben noch gut erfüllen. Sie haben aber an Attraktivität eingebüßt. Da müssen wir ansetzen.

Am Beispiel Salzgitters zeigt sich, dass es so nicht weitergehen kann. Die Stadt hat als erste bundesweit ein Zuzugsverbot von Flüchtlingen erhalten. Gute 5000 Flüchtlinge sind wie ein Magnet vom günstigen und zum Teil leerstehenden Wohnraum angezogen worden.

Die negative Wohnsitzauflage war notwendig, um die soziale Leistungsfähigkeit der Stadt nicht über Gebühr zu strapazieren. Sie war im Übrigen verbunden mit erheblichen Zuwendungen des Landes. Das gilt auch für die Städte Wilhelmshaven und Delmenhorst. Ich bin aber davon überzeugt, dass spätestens im Jahr 2040 die Neubürger diese Städte vorangebracht haben.

Helmstedts neuer Landrat Radeck bohrt ein dickes Brett, es geht zäh voran. Es gibt ein Kreismanagement, Hilfe für Existenzgründer. Es gibt aber nach wie vor keine Projekte, mit denen bereitstehende Fördermittel abgerufen werden können. Das Problem ist offenbar, dass die kleine Kreisverwaltung dazu nicht in der Lage ist. Braucht es also größere Kreise oder mehr Unterstützung des Landes?

Gerade für solche Fälle gibt es die vier Ämter für regionale Landesentwicklung. Unterstützung ist ja ihre Aufgabe. Die Landkreise müssen sich aber auch helfen lassen. Übrigens ist eine bestimmte Größe eines Landkreises kein Garant für Erfolg. Wir haben auch kleinere Landkreise, die sehr gut aufgestellt sind.

Salzgitter ist strukturell unterfinanziert. Wir haben gerade erlebt, wie das große geplante gemeinsame Gewerbegebiet Braunschweigs und Salzgitters am Veto des Rats der Stadt Salzgitter gescheitert ist. Was denken Sie darüber?

Ich wiederhole mich: Für einen positiven Schub braucht man die Zustimmung der Mitstreiter vor Ort, eine positive Aufbruchstimmung auch über kommunale Grenzen hinweg. Ohne die geht es nicht. Das heißt nicht, dass ich das Verhalten für richtig oder falsch halte. Aus meiner Erfahrung in der Regionalpolitik weiß ich aber, die Akteure müssen motiviert und bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Das muss man von ihnen verlangen.

Das hört sich recht nüchtern an. Hier ging es um ein Gewerbegebiet von 300 Hektar Größe, um Hunderte, wahrscheinlich Tausende von Arbeitsplätzen.

Man muss das nüchtern sehen. Ich bin auf verschiedenen Ebenen seit 30 Jahren in der Landespolitik aktiv und habe in dieser Zeit einige nicht nachvollziehbare Entscheidungen miterleben müssen. Aufgeregtheit ist hier ein schlechter Ratgeber. Meine Erfahrung lehrt, dass sich gewisse Dinge relativ schnell als richtig oder falsch herausstellen.