Peine. Stefan Studt heißt der neue Chef der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) in Peine. Der SPDler war auch schon Innenminister in Schleswig-Holstein.

Wie viele Bewerber gab es, die tatsächlich je etwas mit Atommüll zu tun hatten?

Das fragt Calvin Nicolas auf
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Die Antwort recherchierte
Andre Dolle

Als Bundesumweltministerin Svenja Schulze Anfang August den neuen Chef der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) bekanntgab, war die Überraschung groß: Stefan Studt wird die Gesellschaft in Peine mit ihren 1900 Mitarbeitern ab September übernehmen. Selbst Kennern war der Mann kein Begriff. Studt hatte mit Endlagern bisher nur wenig zu tun.

Studts neuer Posten aber ist sehr verantwortungsvoll: Er wird sich künftig um die Atommüll-Lager Asse, Schacht Konrad und Morsleben kümmern. Außerdem soll er die Standortsuche für das Endlager für hoch radioaktiven Atommüll vorantreiben.

Schulze lobte ihren Parteifreund von der SPD in einer Mitteilung als „erfahrenen und sturmerprobten Manager, der die schwierigen Großprojekte zügig angehen wird und dem das weitere Zusammenwachsen der BGE zu einem effizienten und modernen Unternehmen besonders am Herzen liegt“.

Der 56-Jährige war in Schleswig-Holstein von 2012 bis 2014 Chef der Staatskanzlei und anschließend bis Ende 2017 Innenminister. Dann kam der Regierungswechsel – und Studt stand mit leeren Händen da. Der Innenminister a. D. baute in Potsdam eine Beratungsfirma auf, um seine Kontakte nutzen zu können. Daheim in Rendsburg in Schleswig-Holstein hat der Jurist außerdem die Zulassung als Rechtsanwalt beantragt. Dann kam die Entscheidung in Berlin, obwohl Studt als Atom-Experte bisher nicht in Erscheinung getreten ist. Die Neubesetzung wird nötig, weil die BGE-Gründungsgeschäftsführerin, die CDU-Politikerin Ursula Heinen-Esser, bereits im Mai als Umweltministerin nach Nordrhein-Westfalen gewechselt ist.

Der Atom-Experte der Linken-Bundestags-Fraktion, Hubertus Zdebel, übte gegenüber unserer Zeitung scharfe Kritik. „Ich frage mich, was Herrn Studt eigentlich qualifiziert“, sagte Zdebel. „Hier ging es eindeutig darum, einen verdienten Parteisoldaten mit einem Posten zu versorgen“, sagte er.

Die Grünen haben weniger Probleme mit den Personalien

Zdebel empfindet nicht nur bei der Personalie Studt ein „Geschmäckle“, wie er sagte. Das gelte auch für Steffen Kanitz. Der kommt als weiteres Mitglied der Geschäftsführung zur BGE. Der 34-jährige CDU-Politiker aus Dortmund verlor im Herbst 2017 sein Bundestagsmandat. Er war aber immerhin Mitglied der Endlager-Kommission und war zuletzt bei der Zwischenlager-Gesellschaft tätig.

Für Zdebel steht jedoch fest: „Das riecht in beiden Fällen stark nach Parteienproporz. Hier hat die Große Koalition gleich ein Paket geschnürt.“

Die Grünen haben weniger Probleme mit den Personalien. Die Atom-Expertin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, sagte unserer Zeitung: „Gegen die Personen habe ich nichts einzuwenden.“ Kotting-Uhl ist Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag. Für die Zukunft fordert sie, dass nicht nur Mitglieder von SPD und Union Posten bei der BGE bekommen sollen. „Beim nächsten Mal sollten auch die Grünen bedacht werden.“

Kritik übte Kotting-Uhl jedoch an der Art der Entscheidungsfindung. Der BGE-Aufsichtsrat sei nicht eingebunden worden. Das kritisiert auch das BGE-Aufsichtsratsmitglied Zdebel von den Linken. „Ich habe von der Entscheidung aus der Presse erfahren. Das geht gar nicht“, sagte Zdebel.

Mit Blick auf unsere Leserfrage bleibt offensichtlich festzuhalten: Ein Bewerbungsverfahren gab es wohl nicht. Das Bundesumweltministerium ließ eine dementsprechende Anfrage unbeantwortet. Zdebel sagte dazu: „Es ist das gute Recht von Bundesumweltministerin Svenja Schulze, jemanden zu bestimmen.“ Das ganze Verfahren beunruhige ihn aber. „Hier ging es nicht um Kompetenz, sondern um das richtige Parteibuch.“ Der Posten des BGE-Chefs sei sehr verantwortungsvoll.

Studt selbst ist derzeit im Urlaub. Er sitzt erstmals am Montag, 3. September, am Schreibtisch im Chefbüro der BGE in Peine.

Die BGE bittet um Geduld. Sprecherin Monika Hotopp erklärte: „Herr Studt wird die erste Zeit vor allem nutzen, um einen persönlichen Einblick in die vielfältigen Geschäftsfelder und Prozesse der BGE zu erlangen.“

Studt selbst sagte der Zeitung „taz“, dass sich seine Verbindung zum Atom-Thema „nicht unmittelbar aufdrängt“. Er habe sich aber in seinen diversen Funktionen in Schleswig-Holstein durchaus damit beschäftigt, unter anderem als Koordinator der SPD-geführten Bundesländer zum Thema Endlagerung. Das sei „eine der größten Fragen unserer Zeit“, an deren Lösung er gern mitarbeite. Diese Mitarbeit geschieht allerdings an entscheidender Stelle.

Studt wäre übrigens wohl am liebsten wieder in seinen alten Job zurückgekehrt. Bevor er Chef der Staatskanzlei wurde, war er bereits seit Anfang der 1990er-Jahre Landesbeamter in Schleswig-Holstein. Er war unter anderem Leiter der Steuerabteilung im Finanzministerium. Die „Kieler Nachrichten“ zitierten aus einer Mail Studts an Ex-Kollegen im Innenministerium. Demnach schrieb er damals: „Ich bedauere sehr, dass mir als Lebenszeitbeamter des Landes, der nicht über die Parteischiene in die Politik gekommen ist, die Rückkehr in die Verwaltung verweigert wurde.“

Bürgerinitiativen in unserer Region zeigen Unverständnis

Tatsächlich war Studt erst in der zweiten Jahreshälfte 2012 in die SPD eingetreten. Er erklärte der Zeitung, dass er immer mit einer Rückkehr in leitende Verwaltungsfunktion gerechnet habe, „wenn der politische Job nach allzu kurzer Zeit enden sollte“. Das tat er. Und nun wird Studt sehr bald und unverhofft Chef der BGE.

Auch bei den Bürgerinitiativen in unserer Region sorgten die Personalien Studt und Kanitz für Kopfschütteln. Ludwig Wasmus von der AG Schacht Konrad bezeichnete Studt als ein im Endlagerbereich „völlig unbeschriebenes Blatt“. Er hätte sich gewünscht, dass der neue BGE-Chef deutlich mehr Fachkompetenz mitbringt – einen echten Experten. „Hier ging es aber offensichtlich nur darum, Leute mit Posten und Ämtern zu versorgen“, sagte Wasmus.

Heike Wiegel vom Verein „AufpAssen“ erklärte: „Ich wundere mich jedes Mal wieder, wie die Posten ganz unverhohlen verteilt werden. Da kriegt man schon Bauchschmerzen.“ Bei Kanitz gelte das allerdings weniger als bei Studt.

Kanitz war bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag Mitglied im Umweltausschuss. Sie habe mit ihm einige Sitzungen zur Asse verbracht, sagte Wiegel. Kanitz habe sich mit der Materie ganz gut vertraut gemacht. Wiegel bedauert es, dass Ex-BGE-Chefin Heinen-Esser gegangen ist. Heinen-Esser war zuvor Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, hatte sich nach der Gründung der BGE Mitte 2016 so richtig ins Thema eingearbeitet. Wiegel sagte daher: „Ich wünsche mir mehr Konstanz – Leute, die dauerhaft bleiben.“ Bei Kanitz sieht sie diese Chance. „Der ist ja mit 34 Jahren noch relativ jung. Ich hoffe, dass er länger bleibt als seine Vorgänger.“