Berlin. Kuhmilch hat in den vergangenen Jahrzehnten häufig Schlagzeilen gemacht - mal gute, mal schlechte. Es gibt neue Warnungen.

Vermehrt warnen Wissenschafter vor dem Konsum von Milch. Ist Milch für den Menschen schädlich?

Das fragt unser Leser Dirk Volkmann aus Königslutter

Zum Thema recherchierten Jens Gräber und unsere Agenturen

Sie liefert wertvolles Eiweiß, Vitamine und mehr Kalorien als Cola: Milch ist eine ziemlich gehaltvolle Flüssigkeit. Ernährungswissenschaftler zählen sie deshalb zu den Nahrungsmitteln, nicht zu den Getränken. Der Slogan der niedersächsischen Landesvereinigung der Milchwirtschaft bringt es auf den Punkt: „Milch – wie Wasser, nur krasser“.

Aber nicht nur unser Leser fragt sich: Wie gesund ist Milch? Lange galt sie als das gesunde Nahrungsmittel schlechthin. Tatsächlich liefert Milch neben Vitaminen auch Kalzium, das sich positiv auf die Knochendichte auswirkt. Vor allem in jungen Jahren ist es wichtig, genug Kalzium zu sich zu nehmen. Mehrere Untersuchungen deuten zudem darauf hin, dass Milch das Wachstum bei Kleinkindern und Jugendlichen fördert. Das gilt allerdings nur für Milch, nicht für Milchprodukte.

Forscher errechneten, dass 245 Milliliter Milch pro Tag zu 0,4 Zentimetern mehr Längenwachstum pro Jahr führt. Inzwischen gibt es aber auch Warnungen aus der Wissenschaft, Milch könnte zur Entstehung von Zivilisationskrankheiten wie Krebs beitragen.

Fest steht: die Deutschen konsumieren jede Menge Milch und Milchprodukte. Im Durchschnitt verzehren sie 127 Kilogramm pro Jahr, jedenfalls nach den Zahlen der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft für das Jahr 2017 (siehe Grafik). Das entspricht knapp 350 Gramm pro Tag, also etwa eineinhalb Gläsern Milch.

Relativ neue wissenschaftliche Theorien deuten an, dass der Verzehr von Milch im Erwachsenenalter eine Rolle bei der Entstehung zahlreicher Krankheiten spielen könnte. Der Osnabrücker Dermatologe Professor Bodo Melnik warnt, Milch sei mehr als ein reines Lebensmittel. In Publikationen und Interviews vertritt Melnik die These, in der Muttermilch aller Säugetiere seien Botenstoffe enthalten, die dem erwachsenen Menschen schaden könnten. Sie könnten etwa Akne auslösen, so der Hautarzt.

Aber er geht noch weiter: Stoffe aus der Kuhmilch, die zum Beispiel das schnelle Wachstum neugeborener Kälber förderten, könnten beim Erwachsenen unter anderem dazu führen, dass die Zellteilung angeregt und der programmierte Zelltod, die Apoptose, gehemmt würde. Durch diesen Mechanismus könnte die Entstehung von Krebs gefördert werden.

Melniks Theorie ist aber eben nur das: eine Theorie. So verweist das Max-Rubner-Institut (MRI), das sich mit der Sicherheit von Ernährung und Lebensmitteln befasst, in einer ausführlichen ernährungsphysiologischen Bewertung der Milch darauf, dass bei statistischen Auswertungen kein stärkeres Auftreten von Erkrankungen im Zusammenhang mit einem üblichen Konsum von Milchprodukten nachweisbar sei. Im Gegenteil, Milchkonsum senke sogar das Risiko etwa für Bluthochdruck oder Diabetes. Einzige Ausnahme: Ein sehr hoher Milchkonsum erhöhe offenbar das Risiko von Männern, an Prostatakrebs zu erkranken.

Auch die Forscher des MRI verweisen aber darauf, die Wirkung von Micro-RNA – einer der Bestandteile in der Milch, vor denen Melnik warnt – könne gesundheitlich relevant sein und müsse weiter untersucht werden. Mikro-RNA sind dem Erbgut ähnliche Biomoleküle, die in Zellen das Ablesen von Genen regulieren und diese beispielsweise vorübergehend abschalten können.

Während diese Risiken also noch nicht abschließend bewertet werden können, liegen andere potenzielle Gesundheitsgefahren für den Konsumenten auf der Hand – etwa durch kranke Kühe. Das passiert bei den 4,2 Millionen Milchkühen in Deutschland häufig. 20 Kilogramm Milch pro Tag gibt jede von ihnen im Durchschnitt – etwa ein Drittel von ihnen werden vorzeitig geschlachtet, weil sie diesen Belastungen nicht standhalten und krank werden. Oft sind zum Beispiel ihre Euter entzündet.

Damit keine Gefahr für den Verbraucher besteht, wird Milch regelmäßig auf ihren Keim- und Zellgehalt untersucht. Bei Entzündungen im Euter, der sogenannten Mastitis, finden sich mehr Zellen in der Milch. Ab einem gewissen Zellgehalt bekommt der Betrieb weniger Geld für die Milch; er hat also auch ein wirtschaftliches Interesse daran, dass seine Herde gesund ist. Milch, die stark verkeimt ist, darf überhaupt nicht verkauft werden.

Bio ist hier übrigens nicht in jeder Hinsicht besser: Zwar haben Milchkühe in Bio-Betrieben unter anderem mehr Platz. Allerdings sind sie praktisch genauso häufig krank wie ihre konventionell gehaltenen Artgenossen. Mitunter werden sie mit homöopathischen und pflanzlichen Medikamenten behandelt, deren Wirksamkeit oft nicht nachweisbar ist.

Rohmilch darf sogar nur in Ausnahmefällen in Deutschland verkauft werden – sie ist für den Konsumenten zu gefährlich. Bis in den USA flächendeckend pasteurisiert wurde, verursachte Rohmilch dort nach Schätzungen etwa 25 Prozent aller Lebensmittelvergiftungen. Durch den Konsum von Rohmilch kann man sich unter anderem mit Typhus- und Diphterie-Erregern, mit Salmonellen und EHEC infizieren. Forscher der Universität Hohenheim haben erst kürzlich einen Fall untersucht, in dem zwei Menschen Käse aus Ziegenrohmilch aßen und dazu Rohmilch tranken. Die beiden erkrankten danach an FSME, einer Hirnhautentzündung, die durch einen Virus ausgelöst wird.

Übrigens: Wer gekaufte Rohmilch selbst abkocht, verliert mehr Vitamine als beim Kauf von Frisch- oder H-Milch. Ultrahocherhitzte Milch, auch H-Milch genannt, enthält zwar etwas weniger Vitamine als Frischmilch. Der Unterschied beträgt im Durchschnitt aber nur ein paar Prozent. Frischmilch ist keine rohe Milch: Sie wird nach dem Melken pasteurisiert, also auch wärmebehandelt – nur eben nicht bei so hohen Temperaturen wie H-Milch. Die Vitamine A, D, E, B2 und B5 bleiben bei beiden Verfahren fast vollständig erhalten. Eine Ausnahme bildet Vitamin C: Dessen Gehalt liegt bei Frischmilch um bis zu 20 Prozent höher als bei H-Milch. Der größte Vitamin-C-Killer ist allerdings nicht die Haltbarmachung, sondern eine lange Lagerzeit.