Braunschweig. Deutschland hätte heute das weltweit beste Glasfasernetz haben können. Stattdessen hinken wir beim schnellen Internet hinterher.

Unser Leser P. Becke fragt:

Wieso hat Deutschland ein veraltetes Kupfernetz für digitale Daten? Andere Länder haben schon längst Glasfasertechnik. Was ist da von wem in der Vergangenheit versäumt worden?

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt hatte Anfang der 80er Jahre Pläne für einen flächendeckenden Glasfaserausbau in Deutschland in der Schublade. Die Regierung hatte bereits einen 30-Jahresplan ausgearbeitet und Investitionen von drei Milliarden DM pro Jahr vorgesehen. So sollten alle alten Kupfer-Telefonleitungen durch Glasfaser ersetzt werden.

Breitbandanschlüsse

Doch mit dem Regierungswechsel 1982 kam alles anders. Kanzler Helmut Kohl und sein Postminister Christian Schwarz-Schilling (beide CDU) legten die Pläne auf Eis. Sie förderten lieber das Kabelfernsehen. Das Privatfernsehen steckte damals in den Kinderschuhen. Das Kabinett Kohl sah darin die Zukunft.

Auch heute noch ist Deutschland von einem flächendeckenden Glasfasernetz meilenweit entfernt. Deutschland zählt zu den Verlierern in Europa. Laut einem EU-Vergleich der Europäischen Kommission mit Daten, die aus dem Jahr 2015 stammen, liegt Deutschland auf dem fünftletzten Platz – hinter Rumänien, Zypern oder Bulgarien.

Die Bundesnetzagentur erklärte auf Anfrage, dass es Mitte 2017 knappe 700 000 Glasfaser-Anschlüsse für das schnelle Internet gab – bei insgesamt 32,5 Millionen Breitband-Anschlüssen. Das sind die aktuellsten verfügbaren Zahlen. Somit beträgt der Glasfaser-Anteil in Deutschland gerade mal etwa zwei Prozent.

Der Grund liegt auf der Hand: Die Telekom und andere Anbieter setzen lieber weiter auf die verlegten alten DSL-Kupferleitungen. Ihr Anteil an den Breitband-Anschlüssen beträgt etwa 75 Prozent. Ein Sprecher der Bundesnetzagentur sagte dazu: „Der Gesetzgeber hat es den Unternehmen überlassen, welche Technik sie einsetzen.“ Laut Schätzungen des TÜV Rheinland würde es 80 Milliarden Euro kosten, Deutschland flächendeckend mit einem Glasfasernetz zu überziehen.

Bieten Glasfasern die beste Technik?

Experten halten Glasfaser für die beste Breitband-Technik. Neben den DSL-Kupferleitungen gibt es weitere Varianten – vor allem wäre noch das Fernsehkabelnetz zu nennen.

Professor Ulrich Reimers, der Leiter des Instituts für Nachrichtentechnik an der TU Braunschweig, ist ein Verfechter des Fernsehkabelnetzes. „Es wird völlig unterschätzt. Es bietet derzeit neben dem Glasfaser die beste Qualität.“ Der Glasfaserausbau wird laut Reimers „gehypt“. Er selbst nutzt das Fernsehnetz. Reimers sagte: „Ich sitze in meinem Haus in Vechelde und habe eine Internet-Höchstgeschwindigkeit von 200 Megabit pro Sekunde.“ Das reiche vollkommen aus. Selbst wer einen Film über das Internet auf einem großen Bildschirm in voller Hochauflösung schaue, benötige lediglich fünf Megabit pro Sekunde. Den regelmäßigen Aufschrei von Unternehmerverbänden hält Reimers für überzogen. Außerdem gab Reimers zu bedenken: „Warum vermengt man die Bedarfe der Wirtschaft mit dem flächendeckenden Glasfaser-Ausbau?“

Tomas Rudl von Netzpolitik.org hingegen sagte unserer Zeitung: „Beim Glasfaserausbau liegt in Deutschland einiges im Argen.“ Rudl hält Glasfasern für die „einzig wirklich zukunftsfeste Technik, die auch in 20, 30 Jahren noch nutzbar ist“. Den Internetzugang über den Kabelanschluss hingegen stuft er lediglich als eine Übergangslösung ein. „Der Kabelanschluss ist ein Shared Medium, also ein geteiltes Übertragungsmedium. Da kann es zu Versorgungsengpässen kommen. Mit dem Glasfasernetz ist man viel unabhängiger.“ Dass in Deutschland 75 Prozent des Marktes über alte Kupferleitungen versorgt sind, bezeichnet Rudl als „wahrhaft schlechte Ausgangsbasis“.

Wo steht Niedersachsen?

Niedersachsens Internetverbindungen werden schneller. Laut Angaben des Landeswirtschaftsministeriums konnten Mitte des Jahres 2017 mehr als 77 Prozent der Haushalte mit einer Geschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde und mehr surfen. Bundesweit waren es knappe 77 Prozent. Ein Jahr zuvor seien es in Niedersachsen noch 73 Prozent gewesen.

Beim Glasfaserausbau steht Niedersachsen im innerdeutschen Vergleich noch besser da: Aktuell hängen knappe zehn Prozent der Häuser am Glasfaser-Netz. Peer Beyersdorf, Geschäftsführer des Breitband-Kompetenz-Zentrums Niedersachsen, sagte: „In den nächsten ein bis drei Jahren werden zwölf Prozent aller Anschlüsse per Glasfaser versorgt.“ Niedersachsen belege schon jetzt im Ländervergleich einen Platz im oberen Viertel. „Nur mit den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen können wir uns nicht messen.“ In einem Flächenland wie Niedersachsen ist der Glasfaserausbau weitaus kostspieliger. Und doch hat sich die Große Koalition ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt: Die Landesregierung hat sich im Koalitionsvertrag verpflichtet, dass bis 2025 alle Haushalte ans Glasfasernetz angeschlossen sein sollen. Da die Quote bisher noch nicht einmal bei zehn Prozent liegt, dürfte das wohl zu ambitioniert sein. SPD und CDU haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Sondervermögen von einer Milliarde Euro zusätzlich bereitzustellen. Diese Mittel sollen wesentlich in den Glasfaserausbau investiert werden.

Wie ist die Lage in der Region?

Laut dem Breitband-Kompetenz-Zentrum Niedersachsen liegt unsere Region zwischen Harz und Heide in etwa im Landesschnitt, was den Glasfaser-Ausbau betrifft. Besonders hervor stechen die Stadt Wolfsburg und der Landkreis Wolfenbüttel. Wolfsburg will digitale Modellstadt werden. Drei Gebiete haben schon Glasfaser, die nächsten zehn sollen folgen. Hier gibt es Bandbreiten mit bis zu 444 Megabit pro Sekunde. Seit 2014 hat der Landkreis Wolfenbüttel 310 Kilometer Glasfasernetz im Kreisgebiet verlegt. Bandbreiten von bis zu 100 Megabit pro Sekunde stehen flächendeckend zur Verfügung.