Braunschweig. Die Vielfahrer und Pendler werden immer häufiger auffällig, sagt Cornelia Zieseniß, Chefin der Verkehrswacht Niedersachsen.

Mehr Verkehr, mehr Hektik. Nicht die Fahranfänger verursachen die meisten Unfälle, sondern die 40- bis 50-Jährigen. Diese Altersgruppe pendelt besonders häufig. Das sagt Cornelia Zieseniß, Geschäftsführerin der Landesverkehrswacht Niedersachsen. Andre Dolle sprach mit ihr auch über Bußgelder und Rücksichtnahme auf der Straße.

Gefängnis für extreme Raser, höhere Bußgelder für Handys am Steuer und blockierte Rettungsgassen: Seit Oktober 2017 gelten härtere Strafen für Verkehrssünder. Macht sich das schon bemerkbar?

Bei der Rettungsgasse gibt es tatsächlich schon einen leichten Wandel im Verhalten der Menschen. Es gibt zwar immer noch zu viele Autofahrer, die bei einem Stau nicht daran denken, eine Rettungsgasse zu bilden. Die Autobahnpolizei bemerkt aber, dass die Autofahrer auf der Autobahn immer häufiger auf der linken Spur weiter nach links und die Fahrer auf den beiden rechten Spuren weiter nach rechts fahren.

„Zu viele Fahrer versuchen, ihr vermeintliches Recht mit allen Mitteln durchzusetzen.“
„Zu viele Fahrer versuchen, ihr vermeintliches Recht mit allen Mitteln durchzusetzen.“ © Cornelia Zieseniß, Geschäftsführerin der Landesverkehrswacht Niedersachsen

Polizeigewerkschafter fordern aber noch höhere Bußgelder, bezeichnen Deutschland als „Billigland“. Wer bei uns mit dem Handy am Steuer erwischt wird, muss 100 Euro zahlen und bekommt einen Punkt. In Italien wären 160 Euro, in Dänemark 200 und in den Niederlanden sogar 230 Euro fällig. Brauchen auch wir höhere Bußgelder?

Unfallschwerpunkte in der Region neu

Ich denke nicht. Es ist richtig, dass der Gesetzgeber vergangenes Jahr ein Zeichen gesetzt hat. Es hängt aber nicht nur von den Bußgeldern ab. Die Leute müssen einsichtig werden. Nehmen wir noch einmal das Beispiel Rettungsgasse: Ich glaube nicht, dass Autofahrer bewusst keine Rettungsgasse bilden. Ein Stau muss nicht immer einen Unfall als Ursache haben, sondern es kann auch eine Baustelle sein. Es muss aber in den Köpfen der Fahrer ankommen: Im Stau müssen wir eine Rettungsgasse bilden. Wenn das bewusst wird, dann machen Fahrer das auch.

Die notorischen Raser machen etwa ein bis drei Prozent der Fahrer aus. Lassen diese sich von Bußgeldern beeindrucken?

Nein, das glaube ich nicht. Es muss ein grundsätzliches Umdenken bei diesen Rasern stattfinden. Es gibt diejenigen, die unter Zeitdruck oder Stress zu schnell fahren. Dann gibt es aber ganz spezielle Persönlichkeitsfaktoren, die etwas mit der Psyche der Fahrer zu tun hat. Raser wollen auffallen, wollen sich durchsetzen, schneller fahren als andere. An diese Raser kommt man nicht mit Bußgeldern heran.

Was ist mit mehr Kontrollen und mehr Blitzern?

Die Kontrollen sind bereits verstärkt worden. Das hat sich besonders in Ihrer Region auf das Geschwindigkeitsniveau positiv ausgewirkt. Es gibt in der Region Braunschweig auch weniger Unfälle, die auf erhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen sind. Unaufmerksamkeit und falsches Verhalten an Kreuzungen sind häufigere Unfallursachen in der Region Braunschweig.

Welche Altersgruppe verursacht denn die meisten Unfälle?

Das sind die 40- bis 50-Jährigen.

Das ist überraschend. Denn oft sind die Fahranfänger und die Senioren im Fokus.

Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung ist der Anteil von jungen Unfallverursachern immer noch hoch. Ihr Anteil ist aber stark zurückgegangen, wozu auch das begleitete Fahren beigetragen hat. 40- bis 50-Jährige sind Vielfahrer. Wir haben immer mehr Pendler, die vom Wohnort zur Arbeit weite Strecken zurücklegen müssen. Sie müssen mobil sein, um ihren Beruf auszuüben. Das wird zu einem zunehmenden Problem.

2017 gab es mit 403 Verkehrstoten in Niedersachsen die niedrigste Anzahl seit Einführung der Statistik. Sind wir auf einem guten Weg?

Ja, wir haben jedes Jahr die Zahl der Verkehrstoten ein Stück weit senken können. Was aber etwas verwundert, ist, dass die Zahl der Verkehrsunfälle insgesamt im Vergleich zum Vorjahr leicht um ein Prozent gestiegen ist. Es gibt zwar weniger Schwerverletzte, dafür aber mehr Leichtverletzte. Darauf müssen wir achten.

Auffällig sind die schweren Unfälle auf Autobahnen. Dabei sollen Autobahnen die sichersten Straßen sein. Wie passt das zusammen?

Nur sieben Prozent aller Verkehrsunfälle finden auf Autobahnen statt. Diese Unfälle sind aber oft spektakulär. Wenn zwei LKW ineinanderkrachen, dann leiden viele Menschen: Die Autobahn ist gesperrt, wir haben einen kilometerlangen Stau und langes Warten zur Folge. Deshalb auch die hohe Aufmerksamkeit.

Die Polizei legt den Schwerpunkt bei der Sicherheit auf Landstraßen. Bei unserer Recherche ist aber aufgefallen, dass es gerade im innerstädtischen Bereich – etwa auf dem Ring in Braunschweig – Unfallschwerpunkte gibt. Liegt der Fokus der Polizei richtig?

Landesweit liegt er auf jeden Fall richtig, da zwei Drittel aller Unfälle auf Landstraßen stattfinden. Erfreulich ist dabei, dass Baumunfälle etwas zurückgehen. Die Unfallkommissionen haben Schwerpunkte im Blick. Wenn sich ein neuer Schwerpunkt bildet, überwacht die Polizei diesen besonders. Auf der B 188 im Kreis Gifhorn zum Beispiel hat man reagiert. Dort gilt nun zum Teil Tempo 70 und Überholverbot. Geschwindigkeitskontrollen sind immer ein probates Mittel.

Ein Leser bemerkt auf unseren Internetseiten: „Es wird soviel an dem eigentlichen Problem vorbei geredet. Wir sollten nicht immer nur über die Autofahrer schimpfen, sondern uns alle bitte an die Verkehrsregeln halten und auch mal Rücksicht nehmen!“ Nehmen wir zu wenig Rücksicht?

Ja, das stimmt. Zu viele Verkehrsteilnehmer versuchen, ihr vermeintliches Recht mit allen Mitteln durchzusetzen. Sie nehmen dabei keine Rücksicht auf die anderen Verkehrsteilnehmer. Dabei müssen wir die Fehler der anderen mit einberechnen. Unser Appell lautet: Fahrt gelassen, fahrt ruhig. Guckt, was die anderen tun. Menschen machen nun einmal Fehler. Wenn ein Autofahrer müde ist, nicht so aufmerksam fährt und auch nicht so schnell, dann muss man ihn nicht unbedingt überholen. Der steht an der nächsten Ampel schon wieder hinter einem.

Nimmt die Rücksicht im Straßenverkehr denn weiter ab, geht es mehr zur Sache?

Es ist nicht unbedingt aggressiver geworden. Die Straßen werden aber voller, es ist hektischer geworden. Wir haben außerdem verlernt, den anderen wahrzunehmen. Auch wenn ein Fahrradfahrer das Recht hat, eine Straße zu kreuzen, und er sieht einen schweren LKW, sollte er auf keinen Fall sein Recht einfordern. Er sollte den LKW einfach mal fahren lassen. Es geht nur um Sekunden.

Was kann man sonst tun?

Mobilität ist ein hohes Gut. Wir sollten aufhören, immer nur mit Bußgeldern zu drohen. Das Thema Mobilität sollte positiv besetzt sein. Wir haben 2015 bei der Verkehrswacht zum Beispiel damit begonnen, Senioren ganz direkt mit unserem Programm „Fit im Auto“ anzusprechen. Die Leute kommen in Scharen – freiwillig. Sie lassen sich viereinhalb Stunden lang beraten, erkennen, was sie können – und was nicht. Sie haben keine Angst davor, bei uns den Führerschein zu verlieren. Es geht darum, eigene Schwachstellen zu erkennen und abzustellen.