Wolfsburg. Die Debatte um die Bezüge von Matthias Müller schlägt hohe Wellen. Doch Wirtschaftsethiker Christoph Lütge erkennt kein Fehlverhalten des Autobauers.

Unser Leser Björn Walter schreibt auf unserer Facebook-Seite zur Debatte um die VW-Vorstandsvergütungen:

Die Verantwortung liegt bei über 600000 Mitarbeitern. Was ist da angemessen?

Dazu recherchierte Andreas Schweiger

Wolfsburg. Wie viel dürfen und sollen die Vorstandsmitglieder eines Konzerns im Allgemeinen und die VW-Vorstandsriege im Speziellen verdienen? Diese Frage führt mit schöner Regelmäßigkeit zu hitzigen Debatten nicht nur bei unseren Lesern, sondern mitunter auch auf politischer Ebene. Spätestens dann, wenn die Geschäftsberichte mitsamt der Angaben zu den Vorstandsbezügen veröffentlicht werden. Um es kurz zu machen: Eine einfache und objektive Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Daher trifft unser Leser mit seiner Frage nach der Angemessenheit der Einkommen den Nagel auf den Kopf.

Managerbezüge im Vergleich

Was ist angemessen, was gerecht? Ist es gerecht, dass ein Fußballer wie Thomas Müller vom FC Bayern München fünf Millionen Euro mehr verdient als VW-Vorstandschef Matthias Müller? Der bringt es immer noch auf eine Jahresvergütung von rund zehn Millionen Euro, wenn die Bezüge für die Altersvorsorge eingerechnet werden. Allerdings trägt der VW-Chef Verantwortung für etwa 640 000 Mitarbeiter, und der Fußballer? Der ist allein für tolle Tore zuständig. Ist es gerecht, dass ein Werkzeugmacher monatlich im Schnitt knapp 3600 Euro verdient, wie es der Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit ausweist, eine Krankenschwester aber nur rund 3200 Euro?

Professor Christoph Lütge vom Stiftungslehrstuhl für Wirtschaftsethik an der TU München befasst sich intensiv mit der Frage nach der Angemessenheit von Einkommen und Vergütungen. Er vertritt die Auffassung: „In einer Marktwirtschaft müssen die Vergütungen grundsätzlich frei festgelegt werden können. Das unterscheidet die Marktwirtschaft von anderen Wirtschaftssystemen.“ Sollte es dennoch eine gesetzliche Deckelung der Einkommen geben, dann müsse die für alle Berufsgruppen und Branchen gelten. „Also auch für Fußballer, Schauspieler oder TV-Moderatoren“, sagte Lütge unserer Zeitung.

Unabhängig davon, ob ein gesetzlicher Deckel kommt oder nicht, stellt sich die Frage: Welche Obergrenze für Einkommen und Vergütungen sind ethisch angemessen? „Das lässt sich nicht beantworten, alle Zahlen sind willkürlich“, sagte der Wirtschaftsethiker.

Allein den Unternehmensgewinn als Bemessungsgrundlage für die Vorstandsbezüge zu nehmen, lehnt Lütge ab. Stattdessen müssten die Vergütungen auch abgeleitet werden von der Größe des Unternehmens und der Verantwortung, die der Vorstand tragen muss. Die Höhe der Bezüge müsse sich an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens orientieren. „Es lassen sich steigende Vorstandsvergütungen nicht rechtfertigen, wenn die Unternehmenszahlen rot sind.“

VW hat sich im vergangenen Jahr ein neues System für die Einkommensbemessung der Vorstände verordnet. Das Ziel: Die Führungsriege des Unternehmens soll zwar angemessen bezahlt werden, aber nicht mehr an der Einkommensspitze der Dax-Konzerne stehen. Zur Erinnerung: Der ehemalige VW-Vorstandschef Martin Winterkorn verdiente in der Spitze mehr als 17 Millionen Euro.

Das löste ebenfalls eine hitzige öffentliche Debatte aus. Mit dem neuen Vergütungssystem soll diese nun beruhigt werden. Die wahrnehmbarste Neuerung ist die Deckelung der Vergütungen. Egal wie gut es bei VW läuft: Der Vorstandschef bekommt nicht mehr als zehn Millionen Euro – dabei ist die Altersvorsorge nicht mitberechnet –, die übrigen Vorstandsmitglieder nicht mehr als 5,5 Millionen. Dieses von Aufsichtsrat und Beratern ersonnene System wurde von der VW-Hauptversammlung, also den VW-Eignern, im vergangenen Jahr abgesegnet – also in einem demokratischen Prozess.

„Wenn die Hauptversammlung zustimmt, greifen die Argumente des Unfairen, Ungerechten und Undemokratischen nicht“, sagte Wirtschaftsethiker Lütge. Anders sei es, wenn ein Vergütungssystem allein vom Aufsichtsrat beschlossen und installiert werde. „Es lohnt also, die Mechanismen zur Vorstandsvergütung zu hinterfragen“, sagte er. Ohnehin müssten Unternehmen bereit sein, sich einer öffentlichen Debatte zu stellen. Lütge: „Sie sind Akteure in der Gesellschaft und müssen sich für ihr Verhalten rechtfertigen.“

Dass sich Volkswagen bei der Vergütung der Vorstände falsch verhält, erkennt Lütge nicht. Der Autobauer habe Lehren aus dem Abgas-Betrug gezogen und gewichte das gesamte Thema Ethik nun stärker. Außerdem: „Die Autos verkaufen sich ausgesprochen gut, der Erfolg rechtfertigt die Höhe der Vorstandsvergütung“, sagte er. Auch der internationale Vergleich zeige, „dass Volkswagen gemessen an seiner Größe nicht ungewöhnlich handelt“.

Mitverantwortlich für das VW-Vergütungssystem ist Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Der Politiker ist nicht nur Mitglied des VW-Aufsichtsrats, sondern auch des Aufsichtsratspräsidiums. Dieser Ausschuss bereitet Entscheidungen für die Sitzungen des Kontrollgremiums vor.

Gegenüber der Zeitung „Die Welt“ warnte Weil davor, die Vergütungen beim Autobauer weiter abzusenken. Sonst sei das Unternehmen auf dem internationalen Arbeitsmarkt für Spitzenmanager nicht mehr handlungsfähig. Weil: „Wenn man das Niveau der Managervergütung absenken will, muss das international abgestimmt werden.“ Das aber dürfte ein frommer Wunsch bleiben. Denn in Ländern wie den USA verdienen Top-Manager mitunter deutlich mehr als die Vorstände der Dax-Konzerne.

Wegen der Vorstandsvergütungen war es im VW-Aufsichtsrat vor einigen Wochen angeblich zu einem Eklat gekommen, berichtete das „Handelsblatt“. Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU), neben Weil der zweite Vertreter des Landes Niedersachsen im Kontrollgremium, habe seine Zustimmung verweigert. Grund: Die Mitglieder des Aufsichtsrats seien im Vorfeld nicht über die geplante Neuordnung des Systems informiert worden.

Ein Sprecher Althusmanns wollte den Vorgang gegenüber unserer Zeitung weder bestätigen noch dementieren. Auch die Frage, ob der Minister tatsächlich seine Zustimmung verweigert hat und diese möglicherweise nachholt, blieb unbeantwortet. Von einem Sprecher des Kontrollgremiums hieß es: „Der Aufsichtsrat hat sich in diesem Jahr mit keiner Neuordnung und keinen Veränderungen des Systems zur Vorstandsvergütung befasst. Und auch die Hauptversammlung wird dies nicht tun. Anderslautende Behauptungen sind schlicht falsch.“

In Wolfsburg löst dieser Konflikt erheblichen Unmut aus. So ist zu vernehmen, dass Althusmann „schlecht vorbereitet“ zur Sitzung des Aufsichtsrates gekommen sei. Daher habe er nicht verstanden, dass das Vergütungssystem nicht in diesem, sondern bereits im Vorjahr reformiert worden sei. Er sei damit seiner Verantwortung nicht gerecht geworden.