Braunschweig. Zum Jahresende sagen Experten unserer Region die Zukunft voraus. So beurteilen sie ihre Prophezeiungen für das scheidende Jahr.

Auf welche Voraussage sind Sie stolz?

Professor Jürgen Hesselbach:
Natürlich auf den Nobelpreis. Der Physik-Nobelpreis für den Nachweis von Gravitationswellen musste einfach kommen. Die Bestätigung von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie ist schließlich grandios – ein Meilenstein der Physik. Die Frage war nur, ob Karsten Danzmann aus Hannover einer der Preisträger wird. Aber der Nobelpreis wird in einer Disziplin ja an maximal drei Personen vergeben, und vielleicht hatten die Amerikaner da die stärkere Lobby. Außerdem hatte der entscheidende Artikel mehr als 1000 Autoren.

Professor Winfried Huck: Ich freue mich – ohne Stolz zu empfinden – über die richtige Analyse, dass ein Auseinanderbrechen der EU nicht stattgefunden hat. Darüber, dass die Einschätzung der Problemlage in Deutschland richtig war und ich richtig prognostiziert habe, dass der US-Präsident Trump die EU zur Positionsbestimmung und einer Neuorientierung bis hin zur Änderung der Verträge zwingt. China und der pazifische Raum stehen weiter im Mittepunkt des US-amerikanischen Interesses, und das Wahlergebnis der AfD stimmte in meinem Orakel auch.

Wolf-Michael Schmid:
Stolz ist das falsche Wort. Ich freue mich, dass meine Einschätzung zur positiven Entwicklung bei der Salzgitter AG eingetreten ist. Stolz darauf sein kann zu Recht der Vorstandsvorsitzende Professor Heinz Jörg Fuhrmann mit seinem Team. Auch meine Hoffnung auf eine Erholung der Volkswagen AG ist eingetreten – konkret ablesbar an der Kursentwicklung der VW-Aktie, die täglich im Wirtschaftsteil der Braunschweiger Zeitung zu sehen ist.

Professor Ulrich Menzel:
Nach vielen „Orakeln“ mit einer hohen Trefferquote habe ich für 2017 mehrfach daneben gelegen. Dies ist Ausdruck einer wachsenden Unübersichtlichkeit in internationaler wie innenpolitischer Hinsicht. Sie macht bewährte Überlegungen für Vorhersagen immer weniger tauglich, wie man auch an den sich häufenden Fehlprognosen der Wahlforschung erkennen kann. Trotz oder gerade deshalb scheine ich mit der Prognose, dass es bei einer Groko bleibt, auch wenn diese mit 53 Prozent gar nicht mehr groß ist, die richtige Nase gehabt zu haben.

Welche Voraussage ist Ihnen nicht so gelungen?

Professor Jürgen Hesselbach:
Ich hatte zwar nicht ausgeschlossen, dass ich auch in diesem Jahr wieder als Orakel befragt werden würde. Allerdings hielt es ich für wahrscheinlich, dass Sie statt mir die neue Präsidentin der TU, Anke Kaysser-Pyzalla, in die Zukunft blicken lassen würden, weil ihre Perspektive als Neu-Braunschweigerin sicher interessanter ist als meine. Ich bin mir aber sicher, dass ich wie vorhergesagt seltener in der Zeitung stand als in den Jahren zuvor (lacht). Und das ist auch richtig so.

Professor Winfried Huck: Ich hatte es für möglich gehalten, dass der US-Präsident Donald Trump das atlantische TTIP und das pazifische TPP unter anderem Namen weiter verhandeln würde. Das ist nicht passiert.

Wolf-Michael Schmid:
Ich hatte warnend auf die mögliche Überraschung durch einen Crash auf den europäischen Finanzmärkten hingewiesen. Dieser ist zu meiner Freude nicht eingetreten. Die Verhinderung wurde aber teuer erkauft, und die Gefahr ist leider für die Zukunft nicht gebannt.

Professor Ulrich Menzel:
Meine Prognose für die FDP. Dass 1,5 Millionen Stimmen von der Union zur FDP gewandert sind, habe ich nicht für möglich gehalten, während meine Vorhersage, dass im Osten viele Stimmen von der Linken zur AfD gewandert sind, zugetroffen hat. Beides ist Ausdruck dafür, wie stark die Parteibindungen in der Wählerschaft sich auflösen. Stammwähler sind bald eine Minderheit.

Welche Entwicklung hat Sie 2017 überrascht?

Professor Jürgen Hesselbach:
Dass die Regierungsbildung sich derartig verzögert. Ich hatte gedacht, dass es schon irgendwie so läuft, wie es bisher bei uns üblich war. Ich habe auch den Eindruck, dass es da einen Paradigmenwechsel gibt – wenn zum Beispiel auch hier im Land Niedersachsen die FDP sagt, sie wolle eigentlich nicht regieren. Das ist neu. Außerdem hätte ich nicht erwartet, dass die SPD im Bund so stark abstürzt. Überrascht hat mich auch die Entwicklung in der Nordkorea-Frage. Das ist ein Pulverfass.

Professor Winfried Huck: Mich hat die die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens gegenüber Spanien überrascht. Spanien ist ein demokratischer und auf dem Rechtsstaatsprinzip gegründeter Mitgliedsstaat der EU. Eine Unabhängigkeit Kataloniens würde zu einer Herauslösung nicht nur aus Spanien, sondern auch aus der EU, der Währungsunion und weiteren internationalen Organisationen führen, mit denen Katalonien neu verhandeln müsste, zum Beispiel auch mit der WTO. Spanien und Katalonien würden erheblich geschwächt.

Wolf-Michael Schmid: Der sehr deutliche Wahlsieg von Emmanuel Macron in Frankreich mit einer völligen Veränderung der dortigen Parteien-Landschaft.

Professor Ulrich Menzel: Wie rasch der Prozess voranschreitet, dass die USA als internationale Ordnungsmacht von China abgelöst werden. Trump verpasst aus seinem Ansatz des „America First“ keine Gelegenheit, Positionen zu räumen, in denen die USA jahrelang Verantwortung übernommen haben. Umgekehrt profiliert sich China aus dem Interesse einer Exportnation als Garant einer liberalen Weltwirtschaftsordnung. In Wirklichkeit arbeitet es an der Restauration einer alten Ordnung, die nicht global, sondern auf das Zentrum China ausgerichtet ist.

Mit welchem Ereignis wird 2017 immer verknüpft sein?

Professor Jürgen Hesselbach: Mit der Geburt meiner Enkelin Frieda Margarethe (lacht). Aber im Ernst: Mit dem berühmt gewordenen „America First“ wurde klar, dass sich etwas ändert. Es gäbe noch viel mehr: Brexit-Ernüchterung, Macron in Frankreich, G20-Gipfel, Ehe für alle. Aber gewichtet kommt Trump zuerst, weil das massive Auswirkungen auf die Welt hat, wie wir sie bisher kannten: Amerika war immer unser Schutzschild. Nun ist die Verlässlichkeit der Schutzmacht USA, hinter der wir uns verstecken konnten, weggefallen. Das ist eine echte Zäsur.

Professor Winfried Huck: Am 29. März 2017 erklärte zum ersten Mal in der Geschichte der EU ein Mitgliedsstaat, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, in rechtlich verbindlicher Weise den Austritt aus der EU nach Maßgabe des Artikels 50 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Das historisch wichtige Ereignis hat mich beeindruckt.

Wolf Michael-Schmid: Für mich in der Region mit der Eröffnung der Ausstellung „Die Eiszeit-Jägerin: Säbelzahnkatzen – die tödliche Gefahr“ im Paläon in Schöningen. Darüber hinaus die Tatsache, dass die Paläon-Gebäude und die Museumskonzeption im Jahr 2017 weltweit anerkannte internationale Auszeichnungen erhielten.

Professor Ulrich Menzel: Nicht mit einem Ereignis, sondern mit Trends, die sich manifestiert haben. Die Globalisierung ist in Form der neuen Völkerwanderung und im gehäuften Auftreten von islamistischen Gefährdern bei uns angekommen. Das schafft Verunsicherung und schürt Ängste. Populistische Parteien auf der Rechten wie auf der Linken profitieren. Wir erleben den Anfang einer Neuorientierung der deutschen Politik, der sich über Jahre hinziehen wird und womöglich in eine neue Parteienlandschaft mündet, wie das in Frankreich oder Italien bereits der Fall ist.