Wolfsburg. Die Digitalisierung wird die Autobranche stark verändern. VW sei gut vorbereitet, sagt der Aufsichtsratschef.

Im zweiten Teil unseres Interviews mit Hans Dieter Pötsch spricht der VW-Aufsichtsratschef über die Motivation der Mitarbeiter, interne Meinungsverschiedenheiten, die Bedeutung von Strategie, die Rolle der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch und die Digitalisierung. Das Gespräch führten Armin Maus, Andreas Schweiger und Jörg Quoos.

Automobile sind nicht die alleinigen Verursacher von Schadstoffen. Haben Sie den Eindruck, die Automobil-Industrie soll dennoch zum alleinigen zum Sündenbock gemacht werden?

Diese Diskussion ist müßig. In den Städten drohen Fahrverbote, die nicht nur nach unserer Meinung drastische Folgen für die Autoindustrie und die gesamte Gesellschaft hätten. Es war daher sehr wichtig, dass die deutschen Automobil-Hersteller signalisiert haben: Wir haben verstanden. Und wir sind Teil der Lösung. Deshalb wurde das, was vertretbar ist, auf den Diesel-Gipfeln zugesagt – zum Beispiel freiwillige Software-Updates, die Unterstützung des Umweltfonds in dreistelliger Millionenhöhe oder die Modernisierung der Flotten durch Umstiegsprämien. Für mich ist dieses Engagement eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Die ausländischen Hersteller ziehen dabei nicht mit, ärgert Sie das?

Ja. Wer einen Marktanteil von rund 30 Prozent hat, kann sich nicht einfach aus seiner Mitverantwortung stehlen.

Digitalisierung und autonomes Fahren sind für Ihre Branche zentrale Zukunftsthemen. Wie sehen Sie Volkswagen im Vergleich mit dem Wettbewerb?

Die Digitalisierung wird unser aller Leben und Arbeiten zunehmend durchdringen. Bei uns betrifft dies vor allem die Fahrzeuge selbst, aber auch Werke und Arbeitsprozesse. Daher benötigen wir einen ganzheitlichen Ansatz – und den verfolgen wir. Wir denken, dass wir da vergleichsweise sehr gut unterwegs sind. Digitalisierung steht zugleich für ein besonderes Maß der Veränderung. Das trifft für einige Unternehmensbereiche besonders zu, zum Beispiel für den Vertrieb, weil sich durch die Digitalisierung Technik und Kundenverhalten grundlegend verändern.

Was wird sich dort konkret verändern?

Dort werden sich einerseits Prozesse beschleunigen, andererseits müssen wir neue Geschäftsfelder erschließen. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele: Uns muss es gelingen, die Kunden nicht zu verprellen, die nach wie vor zum Händler gehen, um dort ein Auto auszuwählen und zu kaufen. Gleichzeitig müssen wir junge Kunden erreichen, die sich ihr Auto in einem virtuellen Showroom aussuchen wollen.

Durch die steigende Zahl der E-Fahrzeuge wird wiederum die Marge der Händler unter Druck geraten, weil diese Autos wartungsärmer sind. Durch neue Geschäftsmöglichkeiten können wir für einen Ausgleich sorgen.

An welche Geschäftsfelder denken Sie?

Unsere Tochter Volkswagen Financial Services vermarktet beispielsweise sehr erfolgreich Servicepakete, zum Beispiel für Wartung, Verschleißteile oder Reifen. Durch diese Dienstleistungen kommen die Kunden zum Händler und in die Werkstatt.

Wie bewerten Sie den Entwicklungsstand von Volkswagen beim autonomen Fahren?

Wir sind sehr gut im Wettbewerb unterwegs und bringen die wichtigen Voraussetzungen für dieses große Zukunftsthema mit. Denn diese Technik erfordert sehr hohe Vorinvestitionen. Dabei hilft uns unsere Größe, um diese Investitionen aufbringen und später durch entsprechende Absatzzahlen wieder refinanzieren zu können. Auch technisch sind wir vorbereitet, weil wir kompetent sind in den drei Feldern IT, künstliche Intelligenz und klassischer Automobilbau. Sie bilden die Schnittmenge des autonomen Fahrens.

Brauchen Sie angesichts des technischen Wandels ein Vorstandsressort Digitalisierung?

Ich persönlich finde, dass dies ein interessanter und erwägenswerter Gedanke ist. Die Koordination aller Themen rund um die Digitalisierung im Konzern ist sicherlich ein sehr wichtiger Punkt. Entschieden ist dazu allerdings noch nichts.

Wie zufrieden sind Sie mit der Zusammenarbeit zwischen Volkswagen und den Forschungseinrichtungen und den Hochschulen in unserer Region?

Die Zusammenarbeit ist in vielen Bereichen bereits intensiv. Durch die Forschungsdichte gibt es eine einmalige Grundlage der Zusammenarbeit – auch wenn es um neue Themen wie das autonome Fahren geht.

Vor zwei Jahren wurde beschlossen, den Konzern und die Marke VW stärker zu trennen. Ist dies ausreichend gelungen?

Die Trennung von Konzern und Marke war und ist ein Bestandteil in unserer Neuausrichtung. Während die Marken und Regionen mehr Eigenständigkeit erhalten, konzentriert sich der Konzernvorstand voll auf seine zentrale Aufgabe: das Vorantreiben der großen, übergreifenden Zukunftsthemen sowie auf Synergien, Steuerung und Strategie. Alle strukturellen Veränderungen zielen letztlich darauf, Komplexität in der Steuerung zu verringern und die Führbarkeit des Konzerns langfristig zu sichern. Wir sind hier bislang gut vorangekommen, aber noch nicht am Ende angelangt.

Volkswagen PKW hat, wie alle unsere Marken, unter dem Dach der Konzernstrategie seine eigene Markenstrategie ausgearbeitet und ist unter Herbert Diess bei der Umsetzung auf einem sehr guten Weg. Die bisherigen Ergebnisse sprechen für sich. Parallel dazu hat Matthias Müller als Vorstandsvorsitzender des Konzerns das gesamte Unternehmen neu ausgerichtet, zum Beispiel mit der Mobilitätsmarke Moia, die neue, digitale Geschäftsfelder erschließen soll. Wir sind in einem guten Rhythmus der Erneuerung.

Sie stellen beiden Managern also ein gutes Zeugnis aus?

Die Marke VW hat unter Führung von Herbert Diess im vergangenen und im laufenden Jahr große Schritte nach vorne gemacht. Mit zugkräftigen neuen Produkten wie beispielsweise dem T-Roc und dem Arteon, mit einer mutigen Zukunftsstrategie und mit vielen Initiativen für mehr Effizienz und Produktivität. Dies alles zahlt sich zunehmend aus – abzulesen nicht zuletzt an der überaus ermutigenden Ergebnisentwicklung unserer Kernmarke, mit einer Verdoppelung des operativen Ergebnisses vor Sondereinflüssen im laufenden Jahr.

Matthias Müller treibt die Veränderungen bei Volkswagen gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen mit großer Tatkraft, hoher persönlicher Glaubwürdigkeit und Mut voran. Mit der „Together- Strategie 2025“, die maßgeblich seine Handschrift trägt, wurden neue, ehrgeizige Ziele für den Konzern gesetzt. Wichtige Zukunftsthemen wie E-Mobilität, Digitalisierung und autonomes Fahren werden seitdem konsequent vorangetrieben. Bestes Beispiel ist die „Roadmap E“, mit welcher der Volkswagen-Konzern die umfassendste Elektrifizierungsoffensive der Automobilindustrie gestartet hat.

Ziehen die Mitarbeiter beim Umbau und der Neuausrichtung mit?

Ja, weil die Identifikation mit Volkswagen sehr groß ist. Die meisten Mitarbeiter leben in den Regionen rund um die Standorte, und sie leben gerne dort. In Wolfsburg wissen die Mitarbeiter, dass hier die Konzernzentrale und das Innovationszentrum sind. Und sie wissen, dass sie die Chance haben, an dieser Entwicklung mitzuwirken und teilzuhaben. Ihnen ist auch bewusst, dass VW ihren Familien eine Perspektive bietet. Nur mit einer starken Mannschaftsleistung der Mitarbeiter konnten wir den Konzern und eine Marke wie Volkswagen durch die vergangenen zwei Jahre bringen und das Unternehmen in eine neue Richtung bewegen. Wir haben die perfekten Voraussetzungen, all die Herausforderungen zu meistern.

Allerdings hat Betriebsratschef Bernd Osterloh jüngst kritisiert, dass der Vorstand seit zwei Jahren versuche, die Mitbestimmung zurückzudrängen. Droht damit ein neuer schwerer Konflikt, zumal es zwischen Osterloh und Markenchef Diess in der Vergangenheit schon häufiger geknallt hat?

In den letzten zwei Jahren wurden hier auf Grundlage der Mitbestimmung viele Probleme gelöst und Weichenstellungen von großer Tragweite getroffen. Dies haben alle Beteiligten mit viel Engagement getan. Und mitnichten haben wir sämtliche Dinge verarbeitet und bewältigt. Dass weiterhin viel Arbeit und Anstrengungen vor uns liegen, um den Konzern zukunftssicher zu machen, haben sowohl Bernd Osterloh als auch Herbert Diess völlig zu Recht betont. Deswegen sind fortgesetzte, konstruktive Gespräche aller Beteiligten jetzt und künftig unabdingbar.

Die Mehrheit der stimmberechtigten VW-Aktien befindet sich im Besitz der Familien Porsche und Piëch. Vertreter der Familien sitzen im Aufsichtsrat des VW-Konzerns und in Aufsichtsräten einiger Konzern-Marken. Wie bewerten Sie die Rolle der Familienmitglieder? Ihnen wurde schon fehlende Sachkenntnis nachgesagt.

Das kann ich nicht nachvollziehen. Die Familien sind Anteilseigner, die sich in den Aufsichtsräten sehr einbringen. Die Familien sind seit Jahrzehnten im Automobilbau engagiert. Ihnen ging es immer um eine nachhaltige Unternehmensentwicklung und nicht um kurzfristige Profitmaximierung. Wir können froh sein, dass wir solche Anteilseigner haben. Das gilt auch für das Land Niedersachsen und das Emirat Katar.

Nach der Landtagswahl in Niedersachsen bildet die SPD mit der CDU eine Koalition. Deren Landesvorsitzender Bernd Althusmann ist nun in seiner Funktion als niedersächsischer Wirtschaftsminister Mitglied des VW-Aufsichtsrats. Was erwarten Sie sich von der Zusammenarbeit?

Die Mitglieder des Landes Niedersachsen haben sich immer hoch professionell in die Diskussionen im Aufsichtsrat eingebracht. Es war stets erkennbar, dass sie sich im besten Unternehmensinteresse engagieren. Ich bin sicher, dass dies auch mit Herrn Althusmann nicht anders wird.

In der Autostadt in Wolfsburg ist mit dem Ausscheiden des bisherigen Chefs Otto Ferdinand Wachs eine Ära zu Ende gegangen. Wo geht die Reise nun hin?

Ich rate dem neuen Führungsteam zu einer Bestandsaufnahme. Es soll prüfen, welchen Beitrag die Autostadt zu den neuen großen technischen Themen leisten kann. Ich blicke vertrauensvoll auf die weitere Entwicklung der Autostadt, sie wird ihre herausragende Position halten.