Wolfsburg. Seit Monaten tritt die EU-Kommissarin für eine Entschädigung europäischer VW-Fahrer ein. Doch die Staaten sind sich noch nicht einig.

Unser Leser Michael Wiedermann aus Danndorf fragt:

Wenn der VW-Konzern in Europa alle Kunden wie in den USA entschädigen müsste, stünde dann nicht die Existenz des gesamten Unternehmens und der davon abhängigen Arbeitnehmerfamilien auf dem Spiel?

Die Antwort recherchierte Christina Lohner mit unseren Agenturen

Zwischen 5000 und 10 000 Dollar erhalten amerikanische VW-Kunden, die einen 2-Liter-Diesel fahren, der vom Abgas-Betrug betroffen ist. Bekämen die rund 8,5 Millionen betroffenen Kunden in Europa 5000 Euro, müsste Volkswagen weitere 42,5 Milliarden Euro zahlen. Nach Einschätzung von Stefan Bratzel, der das Auto-Institut in Bergisch Gladbach leitet, käme der Konzern dann in der Tat in Existenznöte, wie unser Leser meint. Frank Schwope dagegen, Auto-Analyst bei der Nord-LB, traut VW eine noch größere Belastung zu. Der Autobauer müsste sich in diesem Fall Geld beschaffen, etwa durch Kredite, die Ausgabe von Anleihen oder den Verkauf von Beteiligungen. „Dann ginge es ans Tafelsilber“, sagt Schwope. „Das Überleben würde schwieriger, es wäre aber nicht existenzbedrohend.“

Doch so weit wird es nicht kommen, das hiesige Recht sieht solche Entschädigungen nicht vor. EU-Verbraucherschutz-Kommissarin Vera Jourova versucht es deshalb durch die Hintertür, denn sie fordert Zugeständnisse über die Reparatur der Autos hinaus, sei es finanziell oder etwa in Form von Serviceleistungen. Am Dienstag traf sie sich mit Vertretern der nationalen Verbraucherschutzbehörden. Aus einer gemeinsamen Feststellung, dass VW gegen EU-Recht verstoßen habe, wurde am Ende allerdings nichts. Aus Sicht der Kommission könnten nationale Behörden auf dieser Grundlage auch Strafzahlungen gegen VW verhängen.

Jourovas Sprecher teilte anschließend mit, es gebe „ein klares Einvernehmen, dass die niederländische Behörde eine gemeinsame Durchsetzungsinitiative vorbereiten wird“. Die Kommission werde dies unterstützen. Bis Ende des Monats sollen konkrete Ergebnisse vorliegen. Jourova habe alle Behörden ermuntert, alle Mittel zum Verbraucherschutz zu nutzen.

Die EU selbst könne in diesem Fall wohl keine Strafen einfordern, erläutert Winfried Huck, Professor für internationales Wirtschaftsrecht an der Ostfalia-Hochschule. Sie könne zwar den nationalen Behörden eine Steilvorlage zur Begründung von nationalen Strafen liefern – ob diese sie auch nutzten, stehe jedoch auf einem anderen Blatt. Huck ist hier skeptisch. Es gebe keinen Automatismus für Strafzahlungen, stellt der Jurist klar. „Das ist keine sehr überzeugende Strategie.“

Wenn überhaupt, seien keine exorbitant hohen Strafzahlungen zu erwarten, glaubt Huck. Weitere finanzielle Konsequenzen könnten VW allerdings bei den Klagen von Kunden drohen. Eine Erklärung über einen Rechtsverstoß würde diesen neue Munition liefern. Die US-Kanzlei Hausfeld beispielsweise will auch in Europa eine Entschädigung für Kunden erstreiten. Sie vertritt die Online-Plattform My-right.de, bei der sich bisher nach eigenen Angaben deutlich mehr als 20 000 Kunden registriert haben.

Jourova verhandelt seit Monaten mit VW und hatte mit dem Autobauer einen „Aktionsplan“ vereinbart. Bis Ende 2016 sollten alle betroffenen Besitzer informiert und bis Herbst 2017 alle Wagen repariert sein. Die EU-Kommission hält VW vor, den Plan nur teilweise umgesetzt zu haben. So seien noch nicht alle Autobesitzer informiert worden. Zudem sei den Verbrauchern nicht deutlich gesagt worden, dass die Fahrzeuge ihre Zulassung verlieren könnten, wenn die Halter das Angebot zur Reparatur nicht annehmen. Unter anderem darin sieht die Kommission einen Verstoß gegen die EU-Richtlinie gegen unlauteren Wettbewerb.

VW kann Jourovas Haltung nicht nachvollziehen. Ihre Ankündigungen könnten Kunden davon abhalten, in die Werkstätten zu kommen, sagte ein Konzernsprecher. „Damit stellt die Kommissarin ihr eigenes Ziel in Frage.“ VW halte sich an die Absprachen und werde die europaweiten Service-Maßnahmen weiter umsetzen. „Die Erfolge sind offensichtlich“, so der Sprecher. Obwohl die Maßnahme in fast allen EU-Ländern freiwillig seien, hätten in ganz Europa bereits 50 Prozent der Kunden daran teilgenommen, in Deutschland 65 Prozent. „Weitere Schritte zur Entschädigung sind nicht geplant“, stellte der Sprecher klar.

In Bratzels Augen hingegen wären die Wolfsburger zur Kundenbindung gut beraten, eine symbolische Entschädigung im Wert von 100 bis 200 Euro pro Kunde anzubieten, etwa eine kostenlose Serviceleistung. „Das würde viel Wind aus den Segeln nehmen.“ Das Gefühl der Ungleichbehandlung sei bei den europäischen Kunden nun einmal da. Zwar sei die Rechtslage eine andere, doch in den USA bekämen die Kunden für einen sehr ähnlichen Fall eine erhebliche Entschädigung.

Allerdings müsse die Politik sowohl auf deutscher als auch europäischer Ebene die wirtschaftliche Stabilität und damit die Arbeitsplätze bei VW im Blick behalten, findet der Branchenexperte. Gleichzeitig gelte es nun aber, die Rechtsvorschriften klar zu formulieren und zu kontrollieren. „Es gab eine Kultur des Wegschauens“, sagt Bratzel. „Das war auch nicht im Interesse der Autoindustrie und Dieseltechnologie.“